/

Ewiges Leben

Roman | Polina Daschkowa: Bis in alle Ewigkeit

Polina Daschkowa ist die Grand Dame unter den russischen Krimiautorinnen. Immer wieder verbindet sie in ihren Romanen Vergangenheit und Gegenwart: Was einst geschah, zeitigt Folgen im Jetzt. In ihrem neuen Roman Bis in alle Ewigkeit lässt sie den Urgroßvater ihrer Heldin im Jahre 1916 eine sensationelle Entdeckung machen. Der Mann ahnt freilich nicht, dass er damit noch fast 100 Jahre später das Leben seiner Nachkommen in Gefahr bringt. Von DIETMAR JACOBSEN
Bis in alle Ewigkeit
Junge, emanzipierte und wissbegierige Frauen stehen häufig im Mittelpunkt der Romane Polina Daschkowas. Belesen, kultiviert und freiheitsliebend gehen sie ihren Weg gegen alle Widerstände, die sich ihnen entgegenstellen. Weil sie sich traditionellen, überlieferten Rollenklischees konsequent verweigern, geraten sie dabei nicht selten in gefährliche Situationen, die sie aber dank ihrer wachen Intelligenz, scharfen Kombinationsgabe und gelegentlich auch aufgrund guter Beziehungen zu mutigen Ordnungshütern oder mächtigen neureichen Oligarchen zu meistern wissen.

Sofja Lukjanowa heißt die neueste Vertreterin dieser Spezies. In Daschkowas elftem ins Deutsche übersetzten Roman Bis in alle Ewigkeit – im russischen Original erschien das Buch bereits 2006 – erhält die Biologin nach dem überraschenden Tod ihres Vaters die Chance, an einem internationalen Forschungsprojekt auf der Insel Sylt mitzuarbeiten. Dass ihr diese Ehre allerdings weniger aufgrund überragender fachlicher Qualifikationen zuteil wurde, sondern weil sie die Urenkelin eines Mannes ist, der während der Kriegs- und Revolutionsjahre 1916 bis 1918 ein Mittel gefunden hat, mit dem sich menschliches Leben beliebig verlängern lässt, ahnt sie nicht.

Zwei Romane in einem

Stärker als in allen bisherigen Werken Daschkowas wird in Bis in alle Ewigkeit die Vergangenheitsebene zu einem eigenständigen Handlungsstrang ausgebaut. Benutzten Romane wie Die leichten Schritte des Wahnsinns (Aufbau Verlag 2001) oder Russische Orchidee (Aufbau Verlag 2003) ihre Rückblicke in die zaristische Zeit bzw. in die Jahrzehnte des stalinistischen Personenkults vor allem dazu, aktuellen Täterprofilen einen psychologischen background zu verschaffen, läuft die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart diesmal über eine Familiengeschichte, die sich sowohl Daschkowas Heldin wie auch ihren Lesern erst ganz am Ende vollständig erschließt.

Die ungewöhnliche Länge des Romans erklärt sich deshalb auch zum Teil daraus, dass er eigentlich zwei Bücher enthält – von denen das im zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts spielende für mich das interessantere war, auch weil Daschkowa ihr Personal in einem gesellschaftlichen Milieu ansiedelt, in dem die Oktoberrevolution, wie es an einer Stelle heißt, nichts war als Teufelswerk, angezettelt durch »eine kleine terroristische Organisation mit marxistischer Ideologie«.

Als der russische Militärarzt Michail Sweschnikow 1916 durch bloßen Zufall ein Mittel findet, mit dem sich Leben – zunächst das seiner Laborratten, später auch jenes von Menschen aus seinem Umfeld – verlängern lässt, ahnt er bereits, welche Kräfte er damit auf den Plan ruft, und versucht, die bahnbrechende Entdeckung geheim zu halten. Allein in einer Zeit, in welcher der Niedergang des Zarenreichs das Aufblühen esoterischer Lehren begünstigt und ein vermeintlicher Wunderheiler wie Grigori Rasputin bis zu seiner Ermordung im Dezember 1916 großen Einfluss besaß, ist das nicht so einfach.

Trotzdem gelingt es Sweschnikow, sein Geheimnis über die Wirren der Revolutionszeit hinwegzuretten. Nur ein Kollege ahnt, welche Macht Sweschnikow in seinen Händen hält, und nutzt eine sich unvermutet bietende Gelegenheit dazu, sich die lebensverlängernde Substanz selbst zu injizieren. Fortan unsterblich, im hohen Alter aber dennoch langsam dahinsiechend, wird er zu der Person, die die Verbindung zwischen den beiden Zeitebenen des Romans herstellt.

Zahllose Klischees und ein paar esoterische Volten

Bis in alle Ewigkeit ist nicht der beste Roman Daschkowas. Allein wenn man bereit ist, sich auf die zahllosen Klischees einzulassen und ein paar esoterische Volten zu akzeptieren, wird man dennoch gut unterhalten. Je näher der Roman freilich den postsozialistischen Zeiten kommt, in denen ein Oligarch namens Colt alles unternimmt, um in den Besitz des noch in der Familie des einstigen Entdeckers sich befindenden Elixiers zu kommen, und ein frustrierter Hochschullehrer sogar mordet, um sich mit fremden Federn schmücken zu können, desto mehr zerfasert der Plot.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Polina Daschkowa: Bis in alle Ewigkeit
Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt
Berlin: Aufbau Verlag 2012
557 Seiten. 10,99 Euro

Reinschauen
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Tips For the Top: Daniel Avery

Nächster Artikel

Ja so san´s, die alten Kriegersleut

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Eine Halbtags- Kriminalistin und ihre falschen Freunde

Roman | Monika Geier: Alles so hell da vorn In ihrem siebten Fall bekommt es die Ludwigshafener Kriminalkommissarin Bettina Boll mit Kinderprostitution zu tun. Und sie muss erkennen, dass sie sich in mehr als nur einem Freund bitter getäuscht hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Neunköpfige Schlange

Film | Im TV: ›TATORT‹ Hydra (WDR), 11. Januar »Woll’n Sie mit der Türkin wieder vor den Neonazis rumwedeln, ja?« Der Umgang unter den Ermittlern ist direkt, auch Peter Faber nimmt kein Blatt vor den Mund, und man sollte außerdem wissen, dass Nora Dalay und Daniel Kossik seit der Abtreibung eh auseinander sind. Schwierig. Die Stimmung ist im Keller. Nun kommt mit dem Mord an Kai Fischer noch das brisante Neonazi-Thema ins Spiel. Von WOLF SENFF

Das Horn in der Brust

Krimi | Leonhard F. Seidl: Viecher Leonhard F. Seidl legt im neuesten Krimi so richtig los. Und auch sein Privatdetektiv Freddie Drechsler gerät in seinem zweiten Fall richtig in Fahrt. Im wahrsten Sinne des Wortes darf er mal richtig die Sau rauslassen, pardon, den Stier an den Hörnern packen. Viecher ist wie schon Genagelt (2014) wieder ein extrem mörderischer, zugleich bajuwarisch burlesker Text – eine Mischung aus gewohntem tiefschwarzen Politsumpf und tierischem Vergnügen. Von HUBERT HOLZMANN

Kopper wieder im Fiat

›TATORT‹ Roomservice (SWR), Pfingstmontag, 25. Mai Wäre es nicht schön, ein ›TATORT‹-Genre zu haben, das – so wie Münster die Spaßgemeinde bedient – gewissermaßen in shakespearehafter Manier die Großen dieser Welt ins Bild setzt. Wir kennen die Experimente mit Shakespeare, der Hessische Rundfunk hatte seinen ›TATORT‹ mit Ulrich Tukur besetzt und mit ›C’era una volta il West‹ eingeleitet – ein Schlag ins Wasser, Fehlanzeige. Von WOLF SENFF

Mörderisches Flickwerk

Roman | Daniel Cole: Ragdoll Je einen Körperteil von sechs Leichen hat ein Mörder benutzt, um eine grauenvolle Flickenpuppe, eine »Ragdoll«, zusammenzunähen und sie der Londoner Polizei in einer gespenstischen Performance zu präsentieren. Aber damit nicht genug: Der Psychopath kündigt über die Medien weitere sechs Morde an. DIETMAR JACOBSEN hat ›Ragdoll‹ von Daniel Cole gelesen.