Neulich im Untergrund

musik | toms plattencheck

Tony, eine moderate Supergroup und andere Underground Lovers. Von TOM ASAM


Who the f… is Tony? We are Tony sind fünf Musiker um den aus Seattle stammenden, aber schon lange Zeit in Deutschland lebenden Sänger Tony Potts. Heimathafen der Tonys ist Hamburg, jene Stadt, die in Deutschland immer wieder für die Extra Portion Soul in der Poplandschaft sorgt. So auch unsere fünf Tonys, deren Motto sein könnte: »Vintage ja, Retro nein«. Der Hörer erfreut sich an der tollen Stimme des Sängers gleichermaßen wie an perlenden Fender Rhodes Einlagen, funky Bassläufen und erdigen Drums. We are Tony versuchen dabei nicht so zu klingen als wären wir in den 60ern Detroits – und zum Glück klingt das Ganze trotz vielen ruhigeren, emotionalen Stücken auch niemals nach Mannheim. Die eingängigen Soulpop-Nummern sind abwechslungsreich arrangiert und greifen diverse Einflüsse der letzten Pop-Jahrzehnte auf – Rockgitarre, Disco Groove und auch mal eine Rap-Einlage inklusive. Von Stevie Wonder bis Living Colour fallen einem da gleich diverse Platten ein, die man nachlegen will, wenn Seven kinds of crazy gehört ist. Die Band liefert einen Dictionary-Eintrag mit, der über die verschiedenen Bedeutungen von ›crazy‹ aufklärt: neben mentally deranged oder senseless gibt es da die Konnotation unusual oder auch die Slang-Bedeutung wonderful, excellent. Entsprechend vielfältig sind auch die behandelten Themen. Vom Beziehungs-Abgesang Off with your head bis zur Auseinandersetzung mit neuer Armut und Gewalt- exzessen in den USA (Billy -passende Meldung dieser Tage hierzu: die Kommune der Soul City Detroit hat Insolvenz beantragt!) sind hier viele Aspekte dessen vertreten, was der crazy Alltag des Menschen so mit sich bringt.

Nach dem crazy Auftakt geht es Moderat weiter. Es hat sich herumgesprochen: Hierbei handelt es sich um die Fusion der Erfolgsmodelle Modeselektor (Gernot Bronsert und Sebastian Szary) und Apparat (Sascha Ring). Es ist wohl nicht vermessen hier von ›Electronic Supergroup‹ zu sprechen. Mit ihrem gemeinsamen Debütalbum (dem eine EP vorausging) definierten sie eindrucksvoll ihren Sound, der die Struktur des Indiepopsongs mit Bass und Beat zu einem hymnenhaften und gleichzeitig filigranen Ganzen verschweißt. Das scheint eine Signatur zu sein, die sehr viele Menschen anspricht, dem einzelnen Hörer aber irgendwie das Gefühl gibt, alleine mit diesen Klängen unter dem Himmelszelt zu weilen. Die Euphorie der Party und traumhafte Melancholie des übernächtigten Heimkehrers sind in Stücken vereint, die sofort Hirn und Herz gleichermaßen ergreifen, ihre Tiefe und ausgefeilten Details dann erst im Wiederholungsgang preisgeben und so auch für längeren Hörgenuss sorgen. Zwischen Rave und Pophymne wirkt Moderat II bei aller Abwechslung wie aus einem Guss – abgerundet durch die überzeugende grafische Gestaltung der Verpackung.


Mehr fürs Auge bietet übrigens noch der vor Kurzem erschienene, etwas andere Doku-Film We are Modeselektor. Der sympathisch private und unspektakulär gehaltene Streifen vermittelt bestens die Notwendigkeit von Freiräumen vor allem für junge Kreative, ohne die eine rein auf materielle Selbstoptimierung getrimmte Gesellschaft den Laden bald zusperren kann.

Der Bandname Underground Lovers verrät den Fan im Musiker. Die dahinter stehende Band aus Down Under hat im alten Jahrtausend bereits sechs Alben veröffentlicht und zeigt sich nach etwa einem Jahrzehnt Pause seit ein paar Jahren wieder engagiert beim liebevollen Vereinen persönlicher Herzensmusik. Die Vorgehensweise könnte man sich am Albumtitel Weekend verdeutlichen. Der Name bezieht sich auf den cineastischen Klassiker von Luc Godard, der ähnlich episodenhaft funktioniert wie das gar nicht verflixte siebte Album der Australier. Die verbinden Pop-Einflüsse aus dem Weekend-Jahrzehnt (ja, die 60er) vor allem mit verschiedenen Indie-Nischen der 80er. Die Landsleute von The Go Betweens, frühe REM, Dreampop, Klassiker des 4AD Labels klingen hier an. Zusammen mit gelegentlichen Electronic-Einflüssen ergibt das eine subtile und abwechslungsreiche, mit großer Liebe zu anrührenden Popmomenten geschaffene Platte.

| TOM ASAM

Titelangaben
We are Tony: Seven kinds of crazy – Membran/ Sony
Moderat: II – Monkeytown Records /RTD
DVD: We are Modeselektor: Monkeytown/Sense Music MediaUnderground Lovers: Weekend – Rubber Music / Cargo Records

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Feministin und Patriotin – Zum 100. Todestag von Lesja Ukrajinka

Nächster Artikel

What to listen to, if you’re too intelligent for Jay-Z

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Wenn ich ’nen See seh …

Musik | Toms Plattencheck … brauch ich kein Meer mehr! Keine Sorge! Auf diesen Alben sind nur die Cover verwässert. Die Musik hingegen klingt reif und erdverbunden. Und gipfelt im Hochland-Jazz! Von TOM ASAM

Ein Haufen Sampler und eine Menge Dope

Musik | Knxwledge: Buttrskotch Ein erwachsenes Kind, ein Haufen Sampler und eine Menge Dope. Das ist die Mischung, die diese kleine kreative Explosion erschaffen hat. Und tatsächlich klingt es ein wenig, als hätte ein kleiner Junge seine Spielzeugkiste ausgeschüttet. MARC HOINKIS hat es sich angehört.

If I Think Of Love, I Think Of You: New Release Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world With the autumn season firmly upon us most of us want nothing more than to lock our doors and peacefully hibernate for a month or two. What we need now are records made for listening to in the cosiness of your own home (or at least a club with a decent heating system). This week I will be raving about some new releases which make the perfect soundtrack for escaping the perils of the outside world. By JOHN BITTLES