Doppelter Diebstahl

Roman | Martin Suter: Allmen und die Dahlien

Neu aus der Schweiz – Martin Suters Roman Allmen und die Dahlien. Von PETER MOHR
Martin Suter: Allmen und die Dahlien
»Sechzig Jahre lang hält sie das Bild versteckt, und jetzt wird es ihr gestohlen. Welche Ironie des Schicksals.« Die Rede ist von der beinahe 100-jährigen Multi-Millonärin Dalia Gutbauer und einem wertvollen Dahliengemälde.

Zum dritten Mal schickt der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter, der im Februar seinen 65. Geburtstag feierte, in einem Roman seinen Privatdetektiv Johann Friedrich von Allmen auf Ermittlungstour. Der Protagonist trägt viele bekannte Charakteristika von Suter-Figuren: gebildet, kunstsinnig und leicht versnobt. Irgendwo zwischen launiger Gaunerkomödie und spannendem Thriller bewegt sich auch der neue Allmen-Band.

Die Hauptfigur soll mit Hilfe ihres Adlatus’ Carlos und dessen neu hinzugekommener Lebensgefährtin Maria Moreno ein aus einer streng separierten Hoteletage gestohlenes Gemälde von Henri Fantin-Latour (1836-1904) wiederbeschaffen. Diskret und ohne Einschaltung der Polizei, das ist die Bedingung der betagten Auftraggeberin Dalia Gutbauer. Um das Gemälde und das Luxushotel ranken sich abenteuerliche Geschichten. »Man darf im Haus nicht wissen, wonach sie suchen. Das, was verschwunden ist, hat es nie gegeben«, macht Cheryl Tanfeld, die Assistentin der Auftraggeberin, klare Vorgaben für Allmen.

Das Bild begleitete die Seniorin mehr als 60 Jahre, das schönste Blumengeschenk, das ihr je ein Mann gemacht hat. Für sie war es ein Erinnerungsstück, dessen symbolischer Wert offensichtlich den großen materiellen Wert noch überstieg. Nach und nach erschließen sich Allmen abenteuerliche Verstrickungen der Lebenswege der betagten Hoteldauerbewohner.

So stellt sich heraus, dass der beim Abendessen plötzlich verstorbene Hardy Frey eigentlich Leo Taubler hieß, ein vorbestrafter Ganove war und vor langer Zeit etliche Jahre an der Seite von Dalia Gutbauer gelebt hat. »Ich hatte beliebig viel Geld, und er hatte keines«, kommentiert die zickige Diva barsch ihre einstige Beziehung, als Allmen sie mit seinen Erkenntnissen konfrontiert und seine Vermutung, dass Taubler das Gemälde einst für seine Geliebte gestohlen haben könnte, unwidersprochen bleibt.

Doch damit nicht genug der Verstrickungen. Martin Suter schlägt gekonnt eine Brücke aus der Vergangenheit der Gutbauer-Jugend in die Gegenwart, lässt eine zweite Dalia, eine bildhübsche römische Teenagerin auftreten, deren 40 Jahre älterer, steinreicher Geliebter sie ebenfalls mit einem Dahliengemälde von Fantin-Latour als Liebesbeweis beglücken will.

Martin Suter hat sich mit großer Hingabe auch den unendlich vielen Nebenfiguren gewidmet – ob die beiden kauzigen Gondrand-Schwestern, die als Dauerbewohner im Hotel logieren, der um Diskretion bemühte Nachtportier, der mysteriöse Großneffe des verstorbenen Frey (Taubler), Maria, die neue Assistentin, die als Undercover-Putzfrau im Hotel ermittelt, die zurückgezogen lebende Hotelresidentin Teresa Cutress oder der zwielichtige Unternehmer Rebler, der Verehrer der jungen Dalia: Sie alle sind so liebevoll, mit kleinen und großen Marotten gezeichnet, dass sie vor dem Auge des Lesers als Figuren aus Fleisch und Blut auftauchen.

Bei aller Detailverliebtheit bleibt die Spannung, der kriminalistische Touch der Story nicht auf der Strecke. Allmen wird nach einem Treffen mit der jungen Dalia brutal niedergeschlagen, am Ende ist Maria, Allmens neue Helferin, verschwunden, und ein mysteriöser Anrufer stellt eine Forderung: »Was wollen die?, fragte Carlos bange. Die Dahlien, Carlos.«

Ein Roman voller Strudel, man kann sich der unglaublich intensiven Sogwirkung kaum widersetzen. Er spielt auf verwegene Weise mit dem Yellow-Press-Voyeurismus, den neidvoll-staunenden Blick auf die Schicki-Micki-Welt der Multi-Millionäre und all der halbseidenen Möchtegern-Reichen. Diese bisweilen tief ironischen Beschreibungen der »Society« vermischt Martin Suter mit einer brillant konstruierten, spannungsgeladenen doppelten Schurkengeschichte um das millionenschwere Dahliengemälde.

Das ist keine Weltliteratur, aber man muss sich auch nicht schämen, wenn man sich von diesem unglaublich leicht dahin geschriebenen Roman bestens unterhalten fühlt. Ein Urlaubsbuch par excellence, ganz nach dem Motto: Sommer, Sonne, Suter!

| PETER MOHR

Titelangaben
Martin Suter: Allmen und die Dahlien
Zürich: Diogenes Verlag 2013
214 Seiten. 18,90 Euro

Reinschauen
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Was dahinter steckt

Nächster Artikel

Todessymmetrie

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Kalt – sonst ohne Eigenschaften

Roman  | Robert Schindel: Der Kalte Robert Schindel legt seinen zweiten druckfrischen Roman Der Kalte vor: ein Monumentalwerk zur Zeitgeschichte Österreichs der Jahre 1985 bis 1989, Jahre der Aufarbeitung der Shoa, aber auch ein Roman, in dem sich Opfer und Täter aufs Neue begegnen. Schindel setzt hier fast 30 Jahre später ein neues Denkmal am und für Heldenplatz – findet HUBERT HOLZMANN.

Die schwere Bürde eines guten Lebens

Roman | Daniela Krien: Der Brand

Der Brand bringt die zuvor schon dahinschwelenden Eheprobleme eines ostdeutschen Paars erneut zum Auflodern, wobei sich die ländliche Abgeschiedenheit eines Sommerdomizils als Katalysator erweist. Daniela Krien entwirft in ihrem neuen Roman das Psychogramm einer in die Jahre gekommenen, vielfach versehrten Beziehung und das Ausloten unterschiedlicher Lebensentwürfe. Von INGEBORG JAISER

Hass plus Wehmut gleich Liebe?

Roman | Toni Morrison: Liebe

Toni Morrisons neuer Roman ›Liebe‹ ist eine Geschichte um einen Frauenschwarm, der auch dann noch das Leben seiner Anbeterinnen bestimmt, als er längst tot ist. Vor diesem Hintergrund entwirft die Autorin beeindruckende Frauenpsychogramme. Von BARBARA WEGMANN

Psychoanalyse einer Gesellschaftsarchitektur

Roman | António Lobo Antunes: Ich gehe wie ein Haus in Flammen António Lobo Antunes ist Mediziner, ein Psychiater, der seine Patienten zu durchschauen sucht. Persönliche Schicksale erklären sich oft durch die Geschichte einer Gesellschaft. Was der Arzt diagnostiziert, verarbeitet der Autor zu verstörenden und zersetzenden Historiengemälden. In ›Ich gehe wie ein Haus in Flammen‹ begegnet die hoffnungslose Sprachlosigkeit einer ganzen Nation der packenden Geschichte von Einzelnen, die immer wieder nur scheitern können. VIOLA STOCKER darf einer Sitzung beiwohnen.

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein ›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von