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Zwischen den Kriegen

Roman | Krimi | Robert Hültner: Am Ende des Tages

Mit Paul Kajetan hat Robert Hültner in seinem neuen Roman Am Ende des Tages eine Figur geschaffen, mit deren Hilfe es ihm gelingt, seinen Lesern das Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen zu erklären. Die bisher vorliegenden sechs Romane um den unangepassten Mann, dessen Aufrichtigkeit und moralische Integrität ihm Anfang der 20er Jahre seine Polizeikarriere gekostet haben, verbinden spannende Unterhaltung mit einem facettenreichen Zeitporträt. Allerdings sieht es am Schluss des aktuellen Abenteuers ganz so aus, als wäre es Kajetans letzter Fall. – Von DIETMAR JACOBSEN

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Offiziell gilt er als tot, aber Paul Kajetan, Robert Hültners Serienheld, lebt. Und weil es so aussieht, als ob die Nationalsozialisten Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ihre Glanzzeiten bereits hinter sich haben, kann es sich der Ex-Polizist auch erlauben, wieder in München aufzutauchen. Wo in der Tat ein neuer Wind zu wehen scheint in der Polizeibehörde und deren aktueller Chef, Regierungsrat Dr. Rosenauer, ihm sogar seine voraussetzungslose Wiedereinstellung in Aussicht stellt. Allein bis es so weit ist, soll Kajetan nicht am Hungertuch nagen müssen. Und so vermittelt ihn Rosenauer an den jüdischen Rechtsanwalt Herzberger, der Unterstützung braucht, um den zu Unrecht wegen Mordes im Gefängnis sitzenden Bauer Ignaz Rotter endlich frei zu bekommen.

Während Kajetan sich noch einmal in die Umstände jener fast zehn Jahre zurückliegenden Gewalttat hineinarbeitet, Alibis und Zeugenaussagen überprüft sowie den Tatort, einen abgeschiedenen Hof im Chiemgau, in Augenschein nimmt, drückt sich in derselben Gegend der Berliner Privatermittler Kull herum. Im Auftrag des Reichsaußenministeriums soll er die Umstände eines geheimnisvollen Flugzeugabsturzes klären. Die bei bestem Flugwetter aufgestiegene Junkers war von München nach Innsbruck unterwegs, aber weit abseits ihrer eigentlichen Route wie ein Stein vom Himmel gefallen und ausgebrannt. Für Kull steht schnell fest: So wie die Dinge liegen, kann es sich nur um einen Anschlag gehandelt haben mit dem Ziel, einhunderttausend Reichsmark, mit denen die Berliner Regierung den dubiosen »Schutzbund für das Deutschtum im Ausland« unterstützen wollte, in andere Kanäle, womöglich die der gerade ziemlich klammen Nazis, umzuleiten.

Ein Flugzeugabsturz im Chiemgau

Da ein aus der Bahn geratener Weltkriegskrüppel namens Johann Fürst in beide Fälle verwickelt ist – der Ex-Flieger hat die Junkers vor ihrem Start beladen, wusste also um die wertvolle Fracht, und war auch zehn Jahre früher auf dem Hof der Rotters just an dem Tag gewesen, als das Verbrechen an der Bäuerin begangen wurde –, bleibt es nicht aus, dass Kajetan und Kull aufeinandertreffen.

Hültner nutzt das nicht nur dazu, um seine beiden Handlungsstränge miteinander zu verzahnen, sondern auch um in sehr humoristischer Weise süddeutsche und preußische Mentalitäten miteinander zu konfrontieren: hier das Großmaul aus dem Berliner Machtzentrum, dem immer das letzte Wort zu gehören scheint und das mit nicht wenig Verachtung auf alles Provinzlerische herabschaut, da der stille, erdverbundene wenig Aufhebens um sich machende Kajetan, mehr in sich gekehrt, als das manchmal gut ist, aber instinktiv die richtigen Fragen stellend.

Natürlich werden sowohl der Fall um die verschwundenen Reichsmark als auch der Mord an der Bäuerin Franziska Rotter schließlich aufgeklärt. Von einem optimistischen Ende des Romans freilich kann keine Rede sein. Und wenn man sich überlegt, auf welch dunkle und katastrophale Jahre Deutschland nach 1929 zusteuert, versteht man auch, warum der Autor zu keinerlei Kompromiss hinsichtlich des weiteren Schicksals seines Protagonisten bereit ist.

Gelungenes Zeitportrait und spannender Kriminalfall zugleich

Am Ende des Tages ist ein gut gemachter Kriminalroman, der über eine Fülle von unaufdringlich eingearbeiteten historischen Details die Atmosphäre der endzwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts behutsam wiederauferstehen lässt. Ohne das Interesse des Lesers von den beiden im Mittelpunkt stehenden Kriminalfällen allzu sehr abzuziehen, gelingt Robert Hültner dabei das Porträt einer Zeit, in der die politischen Folgen des ersten großen Weltbrands noch deutlich zu spüren sind, während Weltwirtschaftskrise, Zersplitterung der gesellschaftlichen Kräfte und nationalsozialistisches Kräftesammeln im Kampf um die Macht schon den Horizont verdunkeln.

In diese wirre Zeit des Übergangs von einem Schrecken zum nächsten stellt Hültners Roman einen integren Menschen mit einem moralischen Kompass, der ihn einen Weg jenseits aller sich andeutenden Extreme suchen lässt. Die letzten Seiten des Romans allerdings machen auf drastische Weise deutlich, dass für Menschen wie diesen Paul Kajetan in den bevorstehenden dunklen Jahren in Deutschland kein Platz mehr vorgesehen ist.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben:
Robert Hültner: Am Ende des Tages
München: btb 2013
317 Seiten. 19,99 Euro

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