Mafiasound und Kinderchor

Musik | Toms Plattencheck

Teitur Lassen ist anders. Allein seine Herkunft von der Färöer Inseln ist etwas Besonderes. Aber auch sein Weg als Songwriter.

teitur
Während andere Künstler auf Teufel komm raus den Weg ins kommerzielle Nirwana suchen, scheint Teitur – so sein verkürzter Künstlername – tatsächlich auf sein Bauchgefühl zu hören. Sein internationales Debüt Poetry & Aeroplanes war ein schönes, relativ leicht zugängliches Album, das bei Kritik und Hörer gleichermaßen ankam und Vergleiche mit den ganz Großen nach sich zog. Es wäre sicher ein Leichtes gewesen, diese Schiene gewinnträchtig weiterzufahren. Stay under stars (2006) wirkte aber deutlich individueller und überzeugte mit skurrilen kleinen Geschichten wie I run the Carousel oder Hitchhiker. Im Titelstück vom Nachfolger The Singer beschreibt Teitur mit seinem ganz eigenem Humor, wie er sich darüber wundert, dass die Leute Hunderte von Kilometern zu seinen Konzerten anreisen und bei Liedern eines Fremden zu Tränen gerührt werden – er sei der Sänger und gewöhne sich langsam daran. Alleine schon die Covergestaltungen von The Singer oder dem bisher letzten Album Let the dog drive home zeigen deutlich, dass da jemand seinen Stiefel durchzieht – Schielen nach großen Fanmassen sieht anders aus.

Nun also Story Music. Diesmal sehen wir ein Foto auf dem Cover, auf dem der Künstler fast schon mit dem Wurzelwerk eines Baumgiganten zu verschmelzen scheint. Und die Natur hat diesmal auch einen besonders großen Einfluss ausgeübt, hat Teitur – der seit Jahren, den Großteil seiner Zeit in Großstädten wie London und auch LA verbracht hat – doch erstmals in seiner Heimat, auf den Färöer Inseln, aufgenommen. Und zwar fast ausschließlich mit einheimischen (Hobby-)Musikern im Alter von 8-83 Jahren. Von hier aus scheinen die hektischen Stadtmenschen gar befremdlich zu wirken, was seinen Niederschlag findet in Songs wie Anthony and his mobile phones oder dem schönen Abgesang auf großstädtisches Hipstertum Indie Girl.
Auch was Instrumentierung und Songstrukturen anbelangt, testet Teitur neue Ansätze: Harfe, Streicher, Piano, Banjo, Marimba…die Klangfarben sind vielfältig, die Stücke dagegen teilweise sehr schlicht, wie Melodien, die man spontan alleine vor sich hinpfeift. Nur stimmen dabei immer wieder andere Musiker mit ein – in Walking up a hill ein ganzer Kinderchor.

Im Kontrast zu Naturbezug und menschlichem Vielklang stehen experimentelle Ansätze wie etwa in if you wait. Ähnlich wie Bill Callahan vor ein paar Jahren baut er einen Song auf, in dem ausgehend von einem Wort immer eines hinzugefügt und das Ganze wiederholt wird: »If…If you…if you wait«…etc. Bis daraus »if you wait a little longer than you normally would…« wird und das Spiel von vorne beginnt. »The most…the most amazing«…etc.. »…the most amazing thing may appear.« Was dieses Formspiel wieder zu einem echten Teitur macht ist der abschließende Kommentar: »Most likely nothing will happen!« Teitur bleibt eine eigene Marke, was besonders live deutlich wird. Seine Konzerte bringen einen in der Tat zum Lachen und Weinen. 25.10-27.10.: HH/Berlin/ München!

dobreNoch einer, der von der Insel (der weißblauen Glückseligkeit: München) nach London gegangen ist – aber in heimischen Gefilden aufnahm: Das Singer-Songwriter-Talent Joe Dobroschke und seine Formation Dobré. United heißt das zweite Album – ein Titel der von Judas Priest bis Phoenix schon so manches Scheibchen verzierte, aber wohl selten so wunderschön künstlerisch-graphisch begleitet wurde. Die Thanx im Booklet verdeutlichen, wie man heutzutage auch ohne Rockstar-Geldbeutel zwischen verschiedenen Standorten verbunden bleibt, ist da doch neben friends and mates auch dem Flughafen Memmingen gedankt!
Zur Musik: Gleich der Opener Going under deutet mit seinem Refrain wieder Dobroschkes Gefühl für tolle Melodien an, das folgende But seine Liebe zu Dylans jungen Jahren. 60´s Pop, flockiger Softrock und Blue Eyed Soul kommen auf United in feinster Weise zusammen. Was beim ersten Höreindruck vielleicht nicht ganz so spektakulär wie das mit einigen offensichtlichen Hits versehene Debüt daherkommt, überzeugt nach kurzer Zeit umso mehr. United ist ein routiniertes und gleichzeitig verspieltes Stück Pop, das von großem Selbstbewussten und einer starken Mannschaftsleistung zeugt.

tarantellaDer traditionelle Tanz Süditaliens ist die Tarantella. Es gibt die Tarantella der Anbandelung, getanzt von Männern und Frauen – und die Tarantella des Gebets, die zu wichtigen Terminen im Kirchenkalender gespielt wird. Die klassische Tarantella – um die es bei La Tarantella Calabrese geht, wird streng unter Männern zelebriert; Bauern, Roma und Mafiosi. In der Parallelwelt Kalabriens, der Welt der Ndrangheta, hat die Tarantella angeblich noch die Bedeutung eines Tanzes des Kampfs. Der Tanz wird nur von zwei Personen ausgeübt, die sich gegenseitig beäugen und im Kreis tanzen, wobei ständig das Tempo erhöht wird. Die Zusammenstellung La Tarantella Calabrese bietet eine gelungene Einführung in dieses lebendige Kulturerbe. Die archaischen Klänge stammen von meist aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Musikern – on denen es der ein oder andere als Bewahrer der Tradition zu Berühmtheit brachte. So etwa Fred Scotti (1933-1971), ein ehemaliger Schlachthofarbeiter, der hier mit zwei Stücken vertreten ist; er starb nach Streitigkeiten mit einem Mafiaclan selbst eines gewaltsamen Todes.

Der 1934 geborene Otello Profano stammt wie Scotti aus dem Ort Cosenza und gilt mittlerweile als wichtigster lebender Sänger kalabrischer Lieder. Als Sänger und Texter soll er es in den letzten Jahrzehnten auf mehrere Millionen verkaufte Platten gebracht haben! Die Aufnahmen stammen überwiegend von Field Recordings. Viele ursprüngliche Tarantellen wurden nur mit Akkordeon und Tamburin eingespielt, zu hören sind hier aber auch die Chitarra Battente, eine für die Region typische flache Gitarre sowie die Zampagna a chiave, ein großer Dudelsack. Die Veröffentlichung der Zusammenstellung wird flankiert von der Ausstellung The Culture of violence im Haus der Kulturen in Berlin (24.-27.10). Etwas übertrieben scheint die Behauptung »Diese CD enthüllt erstmals die archaische Bedeutung des kalabrischen Tarantella-Tanzes…« Es handelt sich ja hier nicht um eine ausgestorbene Kulturform, die man wiederentdecken müsste. Und auf CD zu hören gab es so etwas auch hierzulande früher schon, etwa auf der ebenfalls empfehlenswerten Zusammenstellung Il Canto di Malavita – Il musica della mafia.

boardwalkDie verträumt-verhuschte Note innerhalb eines Universums formerly known as Indiepop klingt spätestens seit dem Mega-Erfolg von The XX in verschiedenster Weise gerne an. Jetzt haben sich auch die Macher von Stones Throw ein passendes Duo ins Label-Raster geholt. Amber Q und Mike Edge aka Boardwalk reihen sich ein in die Erbreihe von Mazzy Star, jener legendären Truppe um Hope Sandoval, die ja gerade erst nach 17 Jahren Abwesenheit wieder auf der Bildfläche erschienen ist. Die Sängerin mit kubanischen Wurzeln und ihr texanischer Redneckkumpel bringen maximalen Schmelz in die minimal produzierten Songs. Die Geschichten handeln meist vom Wurm in zwischenmenschlichen Beziehungen; umgesetzt mit nicht viel mehr als gefühlvollem Gesang, Reverb-beladenen Gitarrenriffs und Tamburin-Schlägen. Reiht sich prächtig ein in eine Linie mit Bands wie Beach House, Daughter oder Warpaint.

| TOM ASAM

Titelangaben
Teitur: Story Music – Arlo and Betty Recordings/ Indigo
Dobré. United – Millaphon Records
V/A: La Tarantella Calabrese – Mazza Music/ Tonpool Media
Boardwalk: same – Stones Throw/ Groove Attack

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