Theater | Hedge Knights
Hedgefonds-Manager, die Artusritter der Finanzbranche?! Nach der Wirtschaftskrise 2008 wohl kaum. Was sucht dann aber das Verb absichern« (engl. »to hedge«) im Wort »Hedgefonds«? Wer sichert hier wen ab? Der verantwortungsbewusste Hedgefonds-Manager etwa seine Anleger? Oder im Fall eines Verlustgeschäftes nur sich selbst, um sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen? Wie wäre es mit den Kaimaninseln, beliebtester Offshore-Finanzplatz für Hedgefonds. So wären Hedgefonds und Hedgefonds-Manager, quasi Vater und Sohn, am Ende auch topographisch vereint – ein Happy End? Ob glücklich oder tragisch, den Verlauf der Handlung bestimmen die Zuschauer des Theaterstücks Hedge Knights selbst. Von VERENA MEIS
Im FFT Düsseldorf erklingt eine Stimme, erscheint ein Gesicht: »Mein Name ist August Mohr. Ich bin der Manager von Stone Hedge Capital und erkläre Ihnen, weshalb wir der starke und solide Partner für Ihre Investitionsvorhaben sind.« Äußerst bescheiden verortet er sein Team auf der Rückbank eines schnittigen Sportwagens, der Kommandozentrale, von der aus die spekulativen Geschäfte arrangiert werden: »Steigen Sie mit ein! Anschnallen brauchen Sie sich bei uns nicht, ich fahre ja«, beteuert August Mohr den zehn Zuschauern, die sich in seinem Büro im 47. Stock der größten Bank der Welt eingefunden haben.
Bevor auch Investmentbankerin Denise ins große Geldgeschäft einsteigen kann, benötigt sie die Hilfe der Zuschauer: »Oh nein, was mache ich denn jetzt? – Oh nein, was mache ich denn jetzt? – Oh nein, was mache ich denn jetzt?…« – Was nach einem Sprung in der Schallplatte klingt, markiert die erste Challenge des Abends, in der zunächst nicht spekulatives, sondern handwerkliches Geschick gefragt ist. Entscheidungen finanzwirtschaftlicher Art lassen jedoch nicht lange auf sich warten: Lebensmittelspekulationen, ja oder nein? Barausgleich, ja oder nein? CME oder OTC? Long- oder Short-Position?
Reis im Fahrstuhl statt Kohle auf dem Konto
In »Hedge Knights« – dem vierten Level des interaktiven Theatergames des Berliner Theaterkollektivs machina ex – hat der Zuschauer die Qual der Wahl: Spekuliert er über kurz oder lang auf Wertefall oder Wertsteigerung? Fischt er in klaren oder trüben Gewässern? Wer Einblick ins Börsengeschäft bekommen und zugleich Sozialstudien betreiben möchte, ist bei machina ex genau richtig. Sollten Verständnisschwierigkeiten auftreten, leistet ein blaues Heftchen namens »Finanzlexikon von machina ex« Abhilfe. Lediglich seine neun Mitspieler kann man sich nicht aussuchen. So werden vielleicht Entscheidungen von anwesenden Finanzexperten vorschnell und ohne Erläuterung getätigt oder es wird eilig und ohne Absprache auch einmal der Barausgleich verneint. Die Konsequenzen bekommen dennoch alle zu spüren: Reis im Fahrstuhl statt Kohle auf dem Konto.
Unwillkürlich ergreift einen die Lust am Spiel. Moral und Verantwortungsbewusstsein fahren unbemerkt in den Ruhezustand. So wird die nächste Spekulation auch mal gern durch den Würfel entschieden. Stets frage man sich: Bin ich noch Herr meines eigenen Geschäfts oder hat es sich längst verselbstständigt? Sogar das Privatleben der drei Protagonisten ist infiziert: Geschäftskrise heißt zugleich Beziehungskrise. Mit dem Anstieg des Aktienkurses wird zugleich auch die nächste Stufe auf der privaten Leiter erklommen: ein neuer Sportwagen oder gar Heirat? Auch hier hat der Zuschauer Mitspracherecht. Dennoch gilt: Die Gesetzmäßigkeit des Kapitalmarktes hält unbewusst Einzug in die sozialen Beziehungen – der Soziologin Eva Illouz zufolge Ursache dafür, warum Liebe wehtut.
An Spekulanten und Skeptiker gleichermaßen: Freut Euch auf Level Five!
| VERENA MEIS
Fotos: © Paula Reissig
Tourneeplan
ex machina: Hedge Knights
08. – 11. November 2913 in der Gessnerallee in Zürich