Pannen, Fehleinschätzungen

Gesellschaft | Medea Benjamin: Drohnen-Krieg

Einleitend schildert die Autorin den Widerspruch, den unsere neuesten Technologien allesamt präsentieren: Sie verheißen Präzision und bleiben leere Versprechung, weil sie in der Realität weit mehr schaden als nutzen. Das reicht heutzutage bekanntlich von der »Kernenergie« – wer hat sich nur dieses Wort einfallen lassen – bis zu Diagnosemethoden bei Prostata oder zur Mammographie. Von WOLF SENFF

Medea Benjamin. Drohnen-Krieg
Medea Benjamin zählt in den USA zu den prominentesten Aktivisten. Sie gehört zu den Gründern der antimilitaristischen Gruppe Code Pink, zu den Initiatoren der Gaza-Solidaritätsflotte und wurde 2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Ihr unlängst erschienenes Sachbuch zeigt das naive, durch wenig Realitätssinn getrübte Vertrauen, das seitens der US-Politik in die Drohnen-Kriegstechnologie gesetzt wird, schildert das Elend der Opfer und belegt den weltweiten Widerstand gegen die Politik gezielter Tötung durch Drohnen.

Wenn die mediale Öffentlichkeit doch nur genauer hinsehen würde. Die jeweils jüngsten Technologien wachsen erfahrungsgemäß am schnellsten, und niemand durfte überrascht sein, dass der Iran über Drohnen verfügt; israelische Streitkräfte, so die Autorin, schossen während des Libanonkriegs 2006 mehrere Aufklärungsdrohnen der Hisbollah ab, die diese vom Iran erhielten.

Viel, viel Geld
Wie bei jeder neuen Technologie gibt es den durch finanzintensive Lobbyarbeit gesponsorten Hype, stets verbunden mit Realitätsverlust, und erfahrungsgemäß lässt sich so etwas durch Vernunft selten aufhalten. Medea Benjamin weist darauf hin, dass jede Stunde Einsatz in der Luft zwischen 2.000 und 3.500 $ kostet, Angaben der Luftwaffe zufolge werden 168 Personen benötigt, um eine Predator-Drohne vierundzwanzig Stunden lang einzusetzen. Da ist höchst zweifelhaft, ob man zurecht von einer kostengünstigen Alternative reden darf.

Medea Benjamin
Medea Benjamin – Foto: Verlag

Auch der von Barack Obama forcierte innere Einsatz von Aufklärungsdrohnen ist in den USA heftig umstritten. Die Aufrüstung sei dennoch, so die Autorin, kaum aufzuhalten. Sie erinnert daran, dass die US-Armee im September 2011 den Abschluss eines $ 4,9 Mio-Vertrags über die Lieferung einer rucksackgroßen Drohne bekanntgab, die sich wie ein Kamikaze-Objekt auf ihr Ziel stürzt. Ein neuer Rüstungswettlauf habe längst begonnen, und die Sprache der Propaganda kenne keine Mängel.

Echtzeitvideos sind Stressfaktor
Es kommt vor, dass die Fernsteuerung unterbrochen ist. Deshalb musste 2009 eine US-Drohne vorsorglich abgeschossen werden. Eine in Israel hergestellte Drohne wechselte 2008 ihr Programm, steuerte vom Tschad, wo sie von irischen Blauhelmsoldaten eingesetzt wurde, den Rückweg nach Irland an und stürzte unterwegs ab. Medea Benjamin beschreibt eine Fülle dieser Fälle von Versagen. »Manchmal wird die Zielperson getötet, manchmal sind die Informationen falsch und eine schlafende Familie oder eine Hochzeitsgesellschaft zahlt den Preis für die Fehleinschätzung«, zitiert sie den pakistanisch-amerikanischen Anwalt Rafia Zakaria.

Auch die Situation der Drohnen-»Piloten« sei durchaus komplizierter, als man auf den ersten Blick meine, das Töten mit Fernbedienung sei durchaus nicht unpersönlich. »Man beobachtet alles bis zum Einschlag und es ist wirklich plastisch, es ist unmittelbar vor einem und sehr persönlich. Und darum behalten die Leute das lange in Erinnerung« (Oberst Albert K. Aimar). Die Echtzeit-Videos anzusehen, sei oft der größte Stressfaktor, die problematischen Arbeitsbedingungen werden von Medea Benjamin detailliert geschildert, und auch hier zeigt sich der krasse Gegensatz zwischen staubfrei glänzender Propangandaversion und der bedrückenden Realität. Das Militär wartet auf den Einsatz von vollständig automatisierten Abläufen, in die auch die Selektion der Opfer integriert ist, also auf reine Kampfroboter.

Von Wahnsinn und Methode
Mit einem normalen westlichen Alltagsverstand ist nicht zu verarbeiten, was in den Regionen konzentrierten Drohneneinsatzes abläuft. Die Autorin schildert eine Reihe von erschütternden Beispielen ziviler Opfer. Das pakistanische Waziristan ist jedoch eine no-go-Zone für Journalisten, und die Informationen sind dürftig. Die Bevölkerung lebt dort inmitten von Taliban, der pakistanischen Armee sowie der seitens der USA angeheuerten Agenten.

Die Obama-Administration stuft von vornherein jeden Mann im kampffähigen Alter als feindlichen Kämpfer ein, und klar sei, dass man dann verkünden könne: »Dank der außerordentlichen Professionälität, der Präzision und der Fähigkeiten, die wir entwickeln konnten, hat es keinen einzigen kollateralen Todesfall gegeben.« (John O. Brennan, Berater Obamas, im August 2011). Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Bekannt ist seit längerem – Geheimgefängnisse in Rumänien, in Polen, ›Kombattanten‹status, Guantanamo, Folter in Abu Ghraib –, dass sich die USA, freundlich formuliert, in rechtlichen Grauzonen bewegen. Das gilt seit Snowden ebenso für NSA und verwandte Geheimdienstinstitute.

Gezielte Tötung als Kriegführung
Die Autorin erinnert daran, dass nur zwei Monate vor den Anschlägen vom 11. September der amerikanische Botschafter Martin Indyk die israelische Politik gezielter Tötungen von Palästinensern schroff verurteilte: »Es handelt sich um außergerichtliche Tötungen, und so etwas unterstützen wir nicht.« Die Rechtslage habe sich seitdem nicht geändert, und selbstverständlich sei das Handeln der USA mit dem Völkerrecht nicht vereinbar.

Das gilt, wie Medea Benjamin zeigt, in vielerlei Hinsicht, für die Praxis der Tötung statt Gefangennahme, für die Vereinnahmung prinzipiell des ganzen Planeten als Kriegsschauplatz, für die Praxis der »Double Taps« u.a.m. Sie erinnert daran, dass auch das Eingreifen der USA in Lybien auf Grundlage einer »bizarren Definition des Krieges« stattfand, und weist darauf hin, dass das US-Verteidigungsministerium Videoclips von Kampfeinsätzen bei Youtube einstellt, um bei der Bevölkerung für Drohnen zu werben und den potentiellen Feind einzuschüchtern. Die eigenen Soldaten nennen diese Clips »Kriegspornos«. Sie seien ein unfassbarer Erfolg und weit über zehn Millionen Mal angeklickt.

Im abschließenden Teil informiert Medea Benjamin über den Widerstand in den USA gegen den Einsatz von Drohnen, über die »Creech 14«, die »Hancock 38«, die Friedenorganisation »Codepink«, über den erfolgreichen Widerstand gegen die Requirierung einer Fläche von 276.000 km² Land zwischen Aspen im Norden Colorados und Albuquerque in New Mexico, wo eine Flugzone für Roboterflugkörper eingerichtet werden sollte, ebenso über die massiven Proteste in Pakistan, wo Zehntausende in Peshawar und Karachi demonstrierten und in Nord-Waziristan Generalstreiks stattfanden. Abschließend bleibt, was uns betrifft, zu fragen, weshalb eigentlich unsere Medien so verhalten über diesen Widerstand berichten.

| WOLF SENFF

Titelangaben:
Medea Benjamin: Drohnen-Krieg. Tod aus heiterem Himmel
Hamburg: Laika 2013
201 Seiten. 19 Euro

Reinschauen
Medea Benjamin. Drohnen-Krieg
Ausgebuffte Kampagnen – Wolf Senff zu Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung
Wovon de Maizière wirklich spricht – Wolf Senff zu Heathcote Williams: Der Herr der Drohnen
Nicht einmal mehr Bienen sind noch das, was sie waren – Wolf Senff zu Hans Arthur Marsiske: Kriegsmaschinen

Veranstaltungskalender mit Medea Benjamin in Deutschland

Berlin
Dienstag, 10. Dezember, 19 Uhr
Vortrag und Diskussion
Luxemburg Lecture: »Drone Warfare – Origins, Consequences and the Worldwide Resistance to it«
Volksbühne, Grüner Salon, Linienstraße 227
Mit Simultanübersetzung.
Eintritt frei

Hamburg
Mittwoch, 11. Dezember, 19.30 Uhr
Buchvorstellung mit Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Es liest die Schauspielerin Annette Uhlen. Anschließende Diskussion mit Medea Benjamin, Jan van Aken (Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag), Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht (Professor em. für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main).
Kampnagel, Jarrestraße 20
Eintritt € 7

Berlin
Freitag, 13. Dezember, 12 Uhr
Übergabe einer Erklärung von Medea Benjamin an Kanzlerin Merkel
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1

Leipzig
Freitag, 13. Dezember, 18 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Liebknechthaus, Braustraße 15
Eintritt frei

Berlin
Samstag, 14. Dezember, 9.30 Uhr
Podiumsgespräch mit Medea Benjamin
»Why drones? The function of drone warfare in the US war on terror«
Im Rahmen der Außenpolitischen Jahreskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung: »Deutsche Außenpolitik. Alternativen«
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1
Eintritt frei

Stuttgart
Samstag, 14. Dezember, 19.30 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
ver.di tHeo.1, Theodor-Heuss-Str. 2
Eintritt frei

Stuttgart
Sonntag, 15. Dezember, 11 Uhr
Demonstration vor dem AFRICOM
Zusammen mit MdB Heike Hänsel
Plieninger Straße

Frankfurt am Main
Sonntag, 15. Dezember, 16 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Bildungsraum, Schönstr. 28
Eintritt frei

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