Die Träume der Erwachsenen

Jugendbuch | Elisabeth Schmied: Der Penner im Pyjama ist mein Papa

»Wir wissen, was für dich gut ist.«, »Du sollst es einmal besser haben.«, »Das wirst du verstehen, wenn du älter bist.«, sind Sätze, die Heranwachsende nur zu gut kennen. Eltern richten ihnen das Leben ein, damit alles in geordneten Bahnen läuft. Ein elterlicher Traum wird Wirklichkeit. Doch was geschieht, wenn ein Elternteil plötzlich einen anderen Traum verwirklichen will und die geordneten Bahnen verlässt? Elisabeth Schmied, junge Autorin aus Österreich, jagt in »Der Penner im Pyjama ist mein Papa« eine Musterfamilie in einen Albtraum, unter dem vor allem die beiden Teenager-Töchter leiden müssen. Von MAGALI HEISSLER

pyjama
Es beginnt mit einem Knall. Ein Auto fährt mit Wucht gegen eine Mauer, die Insassen aber steigen aus und lachen. Es ist nur ein Kurzfilm. Karla erzählt davon, die ca. sechzehnjährige jüngere der beiden Töchter. Sie erzählt davon, weil ihr Vater eben die Familie an die Wand gefahren hat, im übertragenen Sinn, versteht sich. Er hat beschlossen, nicht mehr arbeiten zu gehen. Ehefrau und Töchter staunen, zunächst. Immerhin hat Papa einen Plan gemacht, in dem es um das geht, was sich bald als das Wichtigste herausstellt, das Geld.
Die Familie, bislang wegen Papas Beruf als Unternehmensberater ganz gut betucht, muss mit einem Mal ans Sparen denken. Um den Haushalt zu entlasten, will Papa fortan Gemüse anbauen. Nicht, dass er etwas davon verstünde, aber jeder fängt einmal klein an und mit etwas gutem Willen kann man Berge versetzen.
Das sind Sprüche, die Karla nicht mehr hören kann. Abgedroschene Redensarten, die gar nichts bringen. Sie sammelt sie und notiert sie auch für die Leserinnen des Buchs fleißig auf.
Ihre Schwester Jenny, die kurz vor dem Abitur steht, glaubt an eine vorübergehende Verwirrung des Vaters, ein Burn out. Midlifecrisis. Schließlich hat sie ihr Leben schon durchgeplant. Sie war immer die Mustertochter, das Vorzeigekind. Es kann doch wohl nicht angehen, dass das keine Früchte tragen wird? Abitur, Auto, Studium in Wien, ein paar Reisen, eine schöne Wohnung, das ist doch wohl nicht zu viel verlangt? Die Zeit vergeht, Papa kommt nicht zu Verstand. Und Jenny wird schrecklich wütend.

Vorgegebenen Bahnen folgen

Schmied versucht, eine möglichst genaue Innensicht dieser Familie zu geben. Erzählerinnen sind abwechselnd Karla und Jenny. Karla, noch recht jung und zunächst abenteuerlustig, spricht unbekümmert aus der Ich-Perspektive. Jenny dagegen ist die personale Sicht vorbehalten. Das irritiert immer dann ein wenig, wenn die Erzählerinnen wechseln, weil Jenny auf diese Weise zuerst distanzierter wirkt. Erst nach einiger Zeit wird deutlich, dass diese Perspektive viel eher zu ihr passt, weil sie zwar das egoistische »Ich« durchaus beherrscht, aber noch nicht gelernt hat, ihr Ich mit Leben zu füllen. Jenny ist die Vollendung der Träume vor allem ihrer Mutter. Schon in sehr jungen Jahren hat sie gelernt, eigene Wünsche zurückzudrängen, um die Eltern zufriedenzustellen. Schöner Schein war wichtiger, als das, was ihr wirklich nahe liegt. Unterwerfung hat sich immer gelohnt für sie und die Belohnung darin bestärkt, dass sie das Richtige tut. Die Entscheidung ihres Vaters ist für Jenny Verrat, den sie lange nicht vergeben kann.
Schmied thematisiert sehr schön das Unglück, in das Jugendliche gestürzt werden, wenn sie allumfassend versorgt, nicht selbst Entscheidungen treffen dürfen. Wenn sie Projektionsfläche für die Wünsche und Pläne der Eltern sind, die eigentlich selbst gescheitert sind. Jenny muss ein paar Schritte zurückgehen, um wieder ihren Weg zu finden. Karla dagegen muss überhaupt auf einen Weg gebracht werden. Dass sie dabei zunächst fehlgeht, ist verständlich und überzeugend erzählt.
Insgesamt allerdings ist das Ganze ein wenig behäbig dargeboten. Die Kapitel werden mit Ausschnitten aus Songtexten der Lieblingsgruppen der Autorin eingeleitet und stimmen so auf das Kommende ein. Eine schöne Idee. Noch schöner wäre es gewesen, hätte Schmied die Stimmung selbst eindringlich gestaltet, als sich auf Äußerlichkeiten zu verlassen. Es gibt auch im Handlungsverlauf wenig Überraschungen, ebenso wenig in der Figurenzeichnung. Spannung ergibt sich vornehmlich aus der Frage nach dem Motiv des Vaters, aber auch hier versickert die Geschichte am Ende im nahezu Belanglosen.

Geld oder Leben?

Bestimmend für das Handeln der Figuren sind die finanziellen Zwänge. In der Familie war Geld der Mittelpunkt des Lebens, es ermöglichte einen Standard, den die Mitglieder nun so sehr vermissen. Papa will seine Rolle als Versorger aufgeben, Mama hat eine Halbtagsstelle. Sie hat nie einen Beruf gelernt. Karla entdeckt, dass sie ihr Talent fürs Filme machen gut verkaufen kann. Aber das ist auch nicht das Richtige, es verdirbt ihr Freude daran. Jenny setzt auf einen zukünftigen reichen Mann. »Geld oder Leben« fragt die Autorin, aber es gelingt ihr nicht, dieses Thema überzeugend umzusetzen. Noch, die Frage zu beantworten. Gerade ein jugendliches Lesepublikum bleibt hier etwas hilflos zurück.
Die Versuche, sparsamer zu leben, sind weniger lustig, als lächerlich. Die Neuordnung des Familienalltags ebenso. Hier macht es sich bemerkbar, dass die Figur der Mutter nahezu inexistent ist. Sie hat ihrem Mann offenbar nichts entgegenzusetzen und ist auch keine Stütze für die Töchter. Die Entscheidung des Vaters erweist sich am Ende vor allem als egoistisch. Allerdings ist er damit keine Ausnahme in diesem Kreis. Von daher gesehen, ist dieser Jugendroman eigentlich eine sehr traurige Geschichte vom Scheitern des kleinbürgerlichen Familienlebens.
Die Autorin hat sich – und das ist schade – dafür entschieden, eine Art rosarote Tragikomödie daraus zu machen. Deswegen endet das Ganze mit einem zweiten großen Knall, ein Blitzschlag vom Himmel – das ist wörtlich zu nehmen – setzt den Schlusspunkt unter das seltsame Abenteuer. Die Töchter sind gereift, ein Töpfchen hat ein neues Deckelchen gefunden und nun geht’s ans Aufräumen. Da schließt die Autorin auch schnell die Haustür hinter ihnen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Elisabeth Schmied: Der Penner im Pyjama ist mein Papa
Berlin: Schwarzkopf&Schwarzkopf 2013
240 Seiten. 14,95 Euro
Ab 14 Jahren

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