Die Hauptstadt der Zwietracht

Roman | Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes

»Was tut die Hand des Papstes, wenn sie nichts tut?« – Diese Beobachtungsaufgabe stellt sich dem Protagonisten, nachdem er den heiligen Vater am Karnevalssonntag 2011 ohne »autoritätsverheißende Tracht« in einer protestantischen Kirche antrifft. PETER MOHR rezensiert den neuesten Band des Büchnerpreisträgers F.C. Delius – Die linke Hand des Papstes.

Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes
Als »kritischen, findigen und erfinderischen Beobachter« hatte die Darmstädter Akademie Friedrich Christian Delius 2011 in ihrer Urteilsbegründung zur Georg-Büchner-Preis-Verleihung gerühmt. Kritisch, findig und erfinderisch geht es auch im neuen schmalen Bändchen des 70-jährigen Schriftstellers zu.

Delius schickt darin einen früh pensionierten Archäologen, der einem Nebenjob als Fremdenführer nachgeht, als leidenschaftlichen Rom-Flanierer durch die heilige Stadt. Ausgehend von dieser stillen, hervorragend arrangierten und geradezu meditativen Szene lässt Delius seine Hauptfigur über (im wahrsten Sinne des Wortes) Gott und die Welt und vor allem über Rom schwadronieren. Es werden historische Brücken geschlagen, Vergleiche angestellt und endlose Klagelieder über den Verfall der Werte und über das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit intoniert.

»Rom ist die Hauptstadt der Zwietracht«, resümiert Delius’ pointensicherer Protagonist, der uns auch mit der Doppelmoral der professionellen Fremdenführer vertraut macht, nach der die Besucher »betrogen« werden wollen. Deswegen zeige man auch nur, was die Leute wirklich sehen wollen.

Nein, mit dieser Delius-Figur wird man als Leser nicht richtig warm. Sein negativer Eifer, sein Drang zur Simplifizierung und sein Streben nach headline-tauglichen Formulierungen wirkt auf die Dauer eher ermüdend als originell. »Theologen aller Fraktionen eiern herum und schlagen Purzelbäume«, da ist von »violettem Lächeln« die Rede, Berlusconi und Gaddafi (»Sie hatten den religiösen Eifer des Gastes als Folklore abgetan.«) werden mehrmals in einem Atemzug genannt, und wir erfahren, dass die höchste Stufe der römischen Weisheit erreicht ist, wenn man »gleichzeitig ja und nein sagen« kann.

Mehr als ein gnädiges, zustimmendes Nicken kann diese Form der verkündeten »Weisheiten« nicht auslösen. »Ich rede nie schlechter über Italien als meine italienischen Freunde und meine italienische Frau, die ihren Staat sogar einen Schurkenstaat nennt«, lässt Delius seine Hauptfigur geradezu entschuldigend stammeln.

Wir wissen, dass dieser Autor erheblich mehr kann als er uns in diesem Bändchen gezeigt hat. Bei allem Verständnis für Delius’ Hassliebe zu seiner Geburtsstadt Rom, in der er heute noch einen Zweitwohnsitz hat, aber die Figur seines dauerkalauernden Hobby-Reiseführers und dessen Traum von der Verschmelzung der beiden großen Kirchen hätte er uns ersparen sollen. Wer ein eindrucksvolles Rom-Buch aus Delius’ Feder lesen möchte, sollte daher lieber noch einmal auf die wunderbare Erzählung Bildnis der Mutter als junge Frau aus dem Jahr 2006 zurückgreifen. Es war das bislang poetischste und emotionalste Buch aus der Feder des Georg-Büchner-Preisträgers.

| PETER MOHR

Titelangaben
Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes
Berlin: Rowohlt 2013
123 Seiten. 16,95 Euro

Reinschauen
Leseprobe
F.C. Delius im TITEL-Kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ist das schon Sozialtourismus?

Nächster Artikel

F wie …

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Delfter Kacheln und Knochenzäune

Roman | Dörte Hansen: Zur See

Um die Meere und ihre Seefahrer ranken sich sagenumwobene Mythen, von Kaventsmännern, weißen Wänden und den drei Schwestern. In den vermeintlich gezähmten Naturgewalten suchen viele Festlandbewohner ihr kleines Inselglück, das dennoch meistens trügt. »Die Nordsee ist für sie ein Freizeitpark mit Fahrgeschäften. Sie glauben, alles sei gebucht: Gezeiten, Nebel, Strömungen und Sturm.« Dörte Hansen erzählt in ihrem neuen Roman Zur See von Verirrten und Gestrandeten, Ungetrösteten und Unerhörten. Ein modernes Sittengemälde vor stürmischem Grund. Von INGEBORG JAISER

Schreibend ein neues Leben beginnen

Roman | Friedrich Christian Delius: Die Liebesgeschichtenerzählerin »Viel wichtiger war, dass sie nach dreißig Wartejahren endlich zum richtigen Schreiben kam und die Zeit als Tippse von Doktorarbeiten aufhörte und mit der Schreibmaschine ein neues Leben beginnen konnte«, heißt es über die Protagonistin Marie von Schadow (verheiratete von Mollnitz), die sich Ende der 1960er Jahre am Strand von Scheveningen dazu entschließt, ihre Familiengeschichte, genauer: drei exemplarische Beziehungen, zu rekonstruieren. Den neuen Roman von F.C. Delius Die Liebesgeschichtenerzählerin hat PETER MOHR gelesen.

Alles, was ich über Onkel Grischa weiß

Roman | Lena Gorelik: Die Listensammlerin Ein totgeschwiegener Onkel, eine sterbende Großmutter und eine schwerkranke Tochter lassen die Nerven blank liegen. Und dennoch vermag es Die Listensammlerin – und natürlich Lena Gorelik –, mit Verve und Einfallsreichtum die Bruchstücke einer ungewöhnlichen Familienchronik zu schreiben. Von INGEBORG JAISER

Hiob begegnet Ödipus oder Bucky macht sich zum Sündenbock

Roman | Philip Roth: Nemesis Philip Roths »Pest« heißt »Nemesis«; so der Titel des jüngsten Romans einer Tetralogie von kürzeren Spätwerken des einst von dem heute 77-jährigen amerikanischen Erzähler Philip Roth umfänglicher ausgeführten epischen Genres, ist (laut Duden) der Name einer griechischen Göttin der »ausgleichenden, vergeltenden, strafenden Gerechtigkeit«. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Ausgeprägt origineller Stil auf hohem Niveau

Manfred Wieninger: Der dreizehnte Mann Manfred Wieninger zeigt in bester Tradition von Chandler und Hammett (aber eben auf die österreichische Art des Manfred Wieninger!) den Kampf des nicht anerkannten Einzelgängers gegen ein versumpftes Establishment. Von THEO BREUER