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Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil III

Thema | Germany’s Next Topmodel

JAN FISCHER hat die erste Folge der neuen Staffel Germany’s Next Topmodel mal gründlich auseinandergenommen. In seinem großen, dreiteiligen Essay findet er unter der bunten Candy-Verpackung der Sendung eine saubere Erzählung von der Dunkelheit am Rande der Stadt.

Zum ersten Teil geht es hier.
Zum zweiten Teil geht es hier.

Bild: abriz44 / CC BY-SA 2.0
Bild: abriz44 / CC BY-SA 2.0

 

»Die Boobs stehen in Konkurrenz zum Kopf«
– Wolfgang Joop

 

Während Heidi mit der Bändigung des Monsters beschäftigt ist, das sie selbst erschaffen hat – das ist eine Erzählung, von der wir noch einiges hören werden in dieser Staffel – arbeiten die Kandidatinnen schnell noch ein paar Riesenthemen im Vorbeigehen ab. Über zwei Werbepausen hindurch wird noch einmal die Spannung über eine Fortführung des Themas »Idealkörper« gesteigert. Eine der Kandidatinnen hat ein Tattoo auf dem Bauch, die Jury hat das Tattoo noch nicht gesehen, sie macht sich Sorgen, dass es ihren Rauswurf bedeuten könnte; es wird für sie, in einer ganz plötzlichen Epiphanie, zum Makel an ihrem vorher durch die Jury als makellos erklärtem Körper. Wir sehen, wie die junge Frau – von einem Moment zu anderen – im wahrsten Sinne des Wortes zusammenbricht, der Möglichkeit ihres Traumes beraubt, sie kann nichts gegen den Makel tun und ist plötzlich allein mitten in Singapur. Es gibt schlechtere Anfänge für große Romane. Man kann sich das gar nicht zu klein vorstellen, ein Vergleich, der sich aufdrängt, ist dieser geradezu altgriechische Schmerz, den Kleinkinder bei der Quengelware an der Supermarktkasse manchmal zeigen (»Du willst mir die Smarties nicht kaufen? Dann zeige ich dir, wie ich leide. Und es wird ein Leid sein, das unermesslich ist«). So ein Zusammenbruch ist das. Tatsächlich ist das eine schöne metaphorische Verknüpfung, die (für die erste Folge) die Klammer um Heidis Kampf gegen den Drachen / sich selbst und dem Körperthema bildet: Stellvertretend für all die Kandidatinnen, die es nicht geschafft haben und es nicht schaffen werden, und die ganzen jungen Frauen, die draußen vor den Geräten nie eine Chance hatten, GNTM zu werden, es aber vielleicht wollen, wird gesagt: Es gibt Körper, die sind ganz einfach nicht geeignet. Du kannst nichts dagegen tun. Es ist nicht deine Schuld. Du konntest es nicht wissen. Die Erzählung wird von Thomas Hayo ins Happy End überführt: Macht nix. Kein Problem. Du bist, wie du bist.

Der Wert des Körpers

Parallel – während alle Heldinnen ihre erste Schritte in den metaphorischen High-Heels tun, sich fotografieren lassen, auf dem Laufsteg laufen, Heidi sich fiebrig krankenhausreif rockt und alle, selbstverständlich, ein ausgiebiges Mittagessen versprochen kriegen schlägt der nächste Erzählstrang – wieder eine aus einer kleinen Nebensächlichkeit großartig hoch konstruierte Geschichte – in die gleiche Kerbe: Die Frage nach dem Aussehen, an dem man nichts ändern kann. Dieses Mal in der Variante »Alltagsrassismus«.

Eine der jungen Frauen macht eine unbedachte, trotzdem rassistische Bemerkung gegenüber einer der drei dunkelhäutigen Kandidatinnen (»Jeder ist schon ein bisschen einzigartig. Das ist jetzt nicht rassistisch gemeint, aber ich glaube, dass es für die dunkleren Mädchen schwer wird, weil relativ viele dunklere dabei sind«). Kurz gesagt also: Die sehen doch alle gleich aus. Sie bekommt ihren Rassismus vorgehalten und will sich entschuldigen – eine Entschuldigung akzeptiert die beleidigte Kandidatin aber nicht. Wieder eine Epiphanie, aber eine, die noch viel brutaler ist: Unter der Erkenntnis, dass sie sich rassistisch geäußert hat und keine Entschuldigung möglich ist, bricht die Kandidatin zusammen. Gleichzeitig dann eben auch unter der Erkenntnis, dass sie gar nicht in der Position ist, sich zu entschuldigen: Dass ihr unbedachter Rassismus nur Symptom eines viel größeren Problems ist, des Problems, wie sie als Mensch überhaupt bis dahin gekommen ist, ihre Bemerkung als nicht rassistisch zu begreifen. Sie begreift (mehr unbewusst als bewusst, nicht ausformuliert), dass ihre Entschuldigung wäre, als würde sich ein Husten für eine weltweite Grippeepidemie entschuldigen. Dass eine Lösung des Problems nicht in ihrer Hand liegt. Sie versucht es trotzdem, was soll sie auch sonst tun, und am Ende gibt es eine Umarmung, aber: Das ist wahrscheinlich außerhalb von South Park mit der erwachsenste Umgang mit Alltagsrassismus, den es im Fernsehen so zu sehen gibt.

Schutzfilm aus Zuckermasse

Das alles sind tolle Erzählungen, tolle Motive, tolle Themen, dicht und kohärent miteinander verstrickt – GNTM weist damit weit über sich und das von vielen Kritikern attestierte hohle Format hinaus, verleitet dann aber durch die großzügig über über der Ernsthaftigkeit und Dunkelheit verteilte Zuckermasse zum vorschnellen Urteil: Das ist ja alles so schön bunt hier, das ist schon nicht so gemeint.

Gleichzeitig ist die Zuckermasse aber auch eine Art Schutzfilm, ohne den Themen wie unmöglich perfekte Körperbilder, Essstörungen und Alltagsrassismus gar nicht angefasst werden könntet – von der erzählerischen Extravaganz der Heldinnenreise ohne distinkte Heldinnen ganz zu schweigen – schon gar nicht auf einem Privatsender zur Prime Time im episch lang ausgewalzten Serienformat. Ohne die sie vielleicht auch gar nicht erzählt werden könnten, ohne dass es schwierig wird, moralisch, bieder eröternd – denn das schöne an GNTM ist, dass alles im Vorbeigehen passiert, so, als sei es nicht so gemeint, als gäbe es diesen ganzen Abgrund zwischen dem bunten Glitter und den ganzen schönen, netten Menschen nicht.

Aber gehen wir mal davon aus, dass da kluge Leute sitzen. Solche, die ihr Handwerk verstehen. Solche, die die Abgründe kennen, die dunklen Erzählungen, die in ihrem Format lauern. Dann wäre nichts ungerechter, als sicher über GNTM lustig zu machen, als eine kulturkritische Distanz zu wahren. Nur wer sich mitten hineinstürzt in den Dreck, findet heraus, ob es sich gelohnt hat.

| JAN FISCHER

Lesen sie heute abend bei @TITEL_Kulturmag, wie unser Autor Jan Fischer die Sendung ab 20:15 live begleitet.

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Erster Teil dieses Essays
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