Zurück aufs Surfbrett, aber schnell!

Roman | Don Winslow: Vergeltung

Mit der (Wieder-) Entdeckung von Don Winslow hat sich der Suhrkamp Verlag, der, als er begann, Thriller zu publizieren, erst einmal misstrauisch von allen Seiten beargwöhnt sah, schnell Respekt verschafft. Literatur und Nervenkitzel – das bewies der heute 60-Jährige mit jedem neuen Roman – gingen durchaus zusammen. Wo blutig gemetzelt wurde, musste nicht automatisch der Stil leiden. Von DIETMAR JACOBSEN

VergeltungIm Gegenteil: Winslow mit seinen klitzekleinen Kapitelchen, den Sätzen, die einem wie Kugeln um die Ohren flogen und Figuren, deren Moral stimmte, auch wenn sie manchmal für mehr Kollateralschäden sorgten, als eigentlich nötig war, hat den Thriller in den letzten zehn Jahren tatsächlich mehr revolutioniert als jeder andere Autor auf dieser Welt. Umso erstaunlicher, dass sich sein neuer Roman Vergeltung so liest, als wäre dem Mann eines seiner geliebten Surfbretter auf den Kopf gefallen und hätte schwere Schäden hinterlassen.

Al Kaida ist auch nicht mehr das, was es mal war. Nach »OBL«s Tod haben smarte junge Anzugträger wie Abdullah Aziz das dschihadistische Kerngeschäft übernommen. Glattrasiert sitzt der in einem Straßencafé gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof, trinkt »süßen weißen Tee« und sinniert über eine neue Art der Kriegführung gegenüber dem verhassten Westen.

Religiös-fanatische Imame und hoffnungsblinde Märtyrer braucht man höchstens noch fürs Ideologische und die Drecksarbeit. Ansonsten sind »Hacker, Identitätsräuber, Scheckfälscher, Drogendealer, Scharfschützen, in Sondereinsatzkommandos eingeschleuste Spione und Soldaten, die ebenso gut ausgebildet sind wie ihre westlichen Feinde«, inzwischen die probatesten Mittel, um mit einem Gegner fertig zu werden, der nach zehn Jahren »War on terror« ziemlich erschöpft in den Seilen hängt.

Wie erschöpft, das erfährt der Leser ein paar Seiten weiter. Denn nachdem in New York wieder einmal ein Passagierflugzeug vom Himmel geholt wurde, verhält sich die amerikanische Regierung höchst unspezifisch. Kein Drohnenschwarm wird losgeschickt, keine markige Rede vom Stapel gelassen, keine Geheimoperation angeleiert – stattdessen steckt man den Kopf in den Sand und desinformiert die Öffentlichkeit. Bloß in keinen weiteren Konflikt gezwungen werden! Doch man hat die Rechnung ohne David Collins gemacht.

Dave Collins zieht in den Krieg

Den Ex-Delta-Force-Operater, der nach seiner militärischen Karriere als Sicherheitsoffizier am Kennedy-Airport arbeitet, führt man nämlich nicht so leicht hinters Licht. Und weil sich unter den Opfern des Anschlags auf einen amerikanischen Inlandsflug seine Frau Diana und Söhnchen Jake befinden, sieht der Mann dunkelrot und heuert eine internationale Truppe von Söldnern an, mit denen er gegen ein ganzes Terrornetzwerk zu Felde zieht.

Bezahlt wird das bunt gemischte Dutzend mit den Millionen, die die Fluggesellschaft den Hinterbliebenen der Absturzopfer gezahlt hat, damit an dieser Front erst einmal Ruhe herrscht. Aber kaum hat Collins die traumatisierten Väter und Mütter, Töchter und Söhne der mitten aus dem Leben Gerissenen überzeugt, dass ihnen der Staat die Taschen volllügt, weil er kriegsmüde geworden ist, da schwillt auch denen der Kamm und in guter patriotischer Tradition betraut man den erzürnten Kämpen mit dem Geschäft der Rache.

Von da an wird geballert. Über mehr als dreihundert Seiten hinweg fliegen den Dschihadisten um den letztlich chancenlosen Abdullah Aziz und seine Geldgeber und Hintermänner die Kugeln um die Ohren. Abgefeuert aus Waffen, die der Autor dem Leser nicht nur dem – teilweise ziemlich langen – Namen nach, sondern sogar bis auf die millimetergenaue Lauflänge vorstellt. Und wenn es Kugeln nicht mehr tun, muss eben Sprengstoff her. Auch dafür gibt es unter den glorreichen Zwölf des Elitekommandos natürlich einen Spezialisten. Mehr als dieses Dauerfeuer rund um den Globus herum nervt allerdings dessen vollkommene Ironiefreiheit.

Nichts gegen eine flotte Ballerei – aber die macht mit einem Augenzwinkern einfach mehr Spaß. In Vergeltung freilich sucht man vergeblich nach solchen Signalen. Dave Collins befindet sich auf einer bierernsten Mission. Und er hat nur Hohn für deutsche Soldaten übrig, die in Afghanistan ihre Zeit mit Brunnenbauen verplempern statt wie der Teufel mit Schwefel und Feuer unter die Taliban zu fahren.

Wenn gute Menschen nichts tun … triumphiert das Böse

Nach dem, was wir in den letzten Jahren von Don Winslow gelesen haben, war nicht zu erwarten, dass er uns in seinem aktuellen Buch plötzlich als Verfechter eines friedlichen Miteinanders der Menschen entgegenkommen würde. Nein, Gewalt gehörte zu den Romanen dieses Autors schon immer dazu. Ob nun Surfer, DEA-Agenten oder Brandstiftungsexperten – es ging immer rund im Leben seiner Helden. Doch das waren auch keine dumpfen Kampfmaschinen, die sich hinter ihrem Mündungsfeuer verborgen hielten, sondern widersprüchliche Charaktere, gelegentlich bis zum Äußersten herausgefordert durch die Tendenz, kleine Gaunereien zu industrialisieren, bis große Verbrechen aus ihnen geworden waren.

Sich zu wehren gegen die Zumutungen ihrer Zeit – die sie ganz nebenbei grandios beschrieben – war der Grund, weshalb der Surfer Boone Daniels, der Ex- Versicherungsagent Jack Wade oder das Trio Ben, Chon und O(phelia) auf die Barrikaden gingen. Man konnte – so zwielichtig die Typen manchmal auch waren – ihre Motive nachvollziehen. Das will mir und – überschaut man die bereits vorliegenden Kritiken – auch vielen anderen bei Vergeltung nicht mehr gelingen. Zu plump kommt das daher, zu unreflektiert, zu kriegslüstern-patriotisch und gegen Ende auch zu sentimental. Ein Landserheft mit Überlänge, das auf die Fäuste setzt statt aufs Gehirn.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Don Winslow: Vergeltung
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Berlin: Suhrkamp Verlag 2014
491 Seiten. 14,99 Euro

Reinschauen
Leseprobe
Dietmar Jacobsen über Don Winslow in TITEL-Kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lyrische Viten in melancholischem Sound

Nächster Artikel

Moderne Geschichtsstunde

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Schwäche hat einen Sinn

Roman | Mieko Kawakami: Heaven

Der erste Satz liest sich noch recht unverfänglich: »Eines Tages Ende April steckte zwischen den Bleistiften in meinem Federmäppchen ein mehrfach gefaltetes Stück Papier.« Doch dann zieht uns die 45-jährige japanische Schriftstellerin Mieko Kawakami, die mit ihrem Roman Brüste und Eier (dt. 2020) einen internationalen Bestseller gelandet hatte, sogartig in diesen Roman hinein. Von PETER MOHR

Die beste Geschichte gewinnt

Roman | Steve Cavanagh: Fifty-Fifty

Eine bekannte New Yorker Persönlichkeit ist ermordet worden. Frank Avellino war einmal der Bürgermeister der Millionenmetropole. Nun hat ihn eine seiner beiden Töchter getötet, unheimlich brutal, mit 53 Messerstichen. Das Problem nur: Zum Zeitpunkt seines Todes waren beide Frauen im weitläufigen Haus des Vaters. Und jede von ihnen bezichtigt die andere der Tat. Ein Fall also, in dem die Chancen eines Anwalts tatsächlich Fifty-Fifty stehen. Und damit genau die richtige Herausforderung für Eddie Flynn. Aber hat sich der renommierte New Yorker Strafverteidiger mit Sofia Avellino wirklich jene Schwester ausgesucht, die unschuldig ist? Oder verteidigt er guten Glaubens eine gefährliche Psychopathin, die noch während der Vorbereitungen auf den Geschworenenprozess unliebsame Zeugen beseitigt? Von DIETMAR JACOBSEN

Erotik oder Fernsehen?

Roman | Helmut Krausser: Trennungen, Verbrennungen »In Wahrheit bin ich absolut größenwahnsinnig. Ich wollte immer der beste Schriftsteller überhaupt werden. Als ich es dann geschafft hatte, war es gleich langweilig«, hatte Helmut Krausser vor einiger Zeit in einem Interview bekannt. Understatement ist nicht seine Sache, Krausser mag die klare Kante und das offene Wort. Der Schach- und Backgammon-Liebhaber, der mit gerade einmal 54 Jahren nun schon seinen 16. Roman vorlegt und der darüber hinaus auch äußerst fleißig Erzählungen, Gedichte, Tagebücher, Opernlibretti, Hörspiele und Theaterstücke veröffentlichte, pendelt oft und gern zwischen hohem künstlerischen Anspruch und klischeehaften Vereinfachungen. Hier sein neuester Roman

Familiärer Hurrikan

Roman | Jakob Arjouni: Hausaufgaben

Wer eine turbulente Geschichte mit Anspruch und Niveau, Witz und doppeltem Boden sucht, der liegt mit Arjounis neuem Streich genau richtig. Aber Vorsicht: es gibt Stellen, da wird Ihnen der Bissen im Halse stecken bleiben. Von BARBARA WEGMANN

Terroristenjagd ohne Terroristen

Roman | Franz Dobler: Ein Schuss ins Blaue Zum dritten Mal nach Ein Bulle im Zug (2014) und Ein Schlag ins Gesicht (2016) schickt Franz Dobler seinen Ex-Bullen Robert Fallner auf Verbrecherjagd. Diesmal winkt dem in der Sicherheitsfirma seines Bruders Hans Tätigem sogar eine nicht unbeträchtliche Summe, sollte es ihm und seinen Kollegen gelingen, einen islamistischen Extremisten dingfest zu machen, bevor der größeren Schaden anrichten kann. Aber warum verhält sich dieser Iraker so gar nicht wie ein Terrorist, während sich die Atmosphäre um ihn und seine Beobachter herum von Tag zu Tag mehr mit Fremdenfeindlichkeit auflädt? Von DIETMAR JACOBSEN