Lyrik | Jan Skudlarek: elektrosmog
STEFAN HEUER rezensiert Jan Skudlareks neue Lyriksammlung elektrosmog. Der bei Luxbooks erschienene Band wurde von Simone Kornappel illustriert.
So sehr man Bücher auch aus den unterschiedlichsten Gründen mögen resp. lieben mag, so sind sie schlussendlich und gnadenlos nüchtern betrachtet doch ein Produkt, das eine entsprechende Aufgabe zu erfüllen hat – die Vermittlung von Wissen, den Anstoß von Gedanken, nicht zu unterschätzen die bloße Unterhaltung. Entsprechend gezielt – geschuldet der aktuellen Interessenlage, der Stimmung und dem Grad der Angespanntheit im Alltag – dürften sich die meisten Buchkonsumenten (um im Terminus zu bleiben) für das Buch entscheiden, das es als Nächstes zu lesen gilt: etwas Unterhaltsames für die Zugfahrt, etwas Geruhsames zur Nacht, etwas sachkundig Fundiertes zur Stillung des Wissensdurstes.
Wie viele notorische Leser verfüge ich über einen unablässig größer werdenden Buchvorrat. In der Zeit, in der ich zwei Bücher lese, kommen mindestens drei neue hinzu, sodass abzusehen ist, dass ich nie alle meine Bücher werde lesen können. Um trotzdem allen Büchern eine Chance einzuräumen, greife ich traditionell mit geschlossenen Augen in die Stapel. So auch vorgestern. Nach der Lektüre eines seitenstarken Sachbuchs mit unzähligen Fußnoten und Querverweisen hoffte ich auf leichten Stoff – ein frommer Wunsch, denn mit elektrosmog, dem 2013 bei Luxbooks erschienenen Lyrikband von Jan Skudlarek, zog ich ein Buch, das sich seinem Leser nicht gerade kampflos an den Hals wirft.
Für den erst zweiten Einzelband (elektrosmog wird allerorten gerne als Debüt bezeichnet, was meinem Gefühl nach nur so halb stimmt, da bereits 2010 in der Lyrikreihe der Parasitenpresse erloschene finger erschien) eines noch jungen Autors hat elektrosmog ein mehr als beachtliches und durchweg positives Medienecho erfahren. Getreu des vor allem in öffentlichen Sitzungen der Kommunalpolitik praktizierten Mottos Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem vermag ich guten Gewissens in das Lob einzustimmen.
Zu Recht bescheinigen die Rezensenten dem 1986 in Hamm geborenen und inzwischen in Berlin lebenden Skudlarek eine fein abgewogene, unangestrengte Sprache, treffende Formulierungen, thematische Vielfalt sowie das Gespür für das richtige Bild. Die etwas schwiemelige Feststellung, der Autor beschäftige sich in seinen Gedichten mit den wirklich großen Themen, mit Liebe und Tod und Natur, darunter mache er es ja nicht, möchte ich vielleicht ein wenig relativieren; relativ weil subjektiv, lebt mancher doch für seinen Fußballverein oder den Modellbau.
Es ist mehr als augenscheinlich und nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei den meisten Rezensenten, die Lyrik besprechen, um geübte oder zumindest der Lyrik sehr wohlwollend gegenüberstehende Menschen handelt, denn, ich sagte es bereits: Die Texte machen es einem nicht immer ganz einfach, und ich könnte es gut verstehen, wenn sie einem ungeübten Leser ab und zu eher ein Fragezeichen ins Gesicht als stehende Ovationen in die Beine zaubern würden.
Viele von Skudlareks Gedichten erschließen sich nicht auf den ersten, vielleicht auch noch nicht auf den zweiten Blick. Wer schnell durchhecheln will, ist hier definitiv falsch. Sperrig im großzügigen Blocksatz ohne Silbentrennung kommt vieles im Stakkato daher, aber: Wer seinen Sinnen die Zeit gibt, sich zu kalibrieren, wer sich auf die Texte ein- und sie wirken lässt, der wird belohnt – mit schönen und angenehm unverbrauchten Bildern, vor allem aber mit einem sich immer deutlicher herausschälenden, von karger Melancholie getragenen Sound und Rhythmus. Da passt dann ein halbes Leben in wenige Zeilen:
freeze frame
ein schwarzweißfoto, das ins auge sickert. brachland
im hintergrund. menschentrauben. eine nahezu lunare
weite. ich händige es aus. amnesie, modrige
schubladen folgen. was tun, wenn die innere stimme
versagt
Wie gesagt: Wer dieser Art von Gedichten nicht folgen kann oder mag, ist für mich nicht gleich seltsam oder arm dran. Und Mitleid, wie es ein anderer Rezensent nahelegt, muss man mit diesen Menschen auch nicht haben, denn es gibt ja genug andere Bücher und die Geschmäcker sind nun mal verschieden, und man muss ja auch gar nicht lesen – und ich habe ja auch nicht automatisch Mitleid mit Menschen, die nicht gerne Snooker spielen, nur weil ich gerne Snooker spiele.
Und wem die Gedichte nichts sagen, der kann sich ja immer noch mit den Illustrationen von Simone Kornappel vergnügen, die für Cover und Innenteil wunderbare Collagen in der dadaistischen Tradition einer Hannah Höch oder eines Raoul Hausmann beigesteuert hat.
Für mich ein ausgesprochen bereicherndes Buch, das ich mal lieber nicht so weit weg legen werde. Hut ab!
| Stefan Heuer
Titelangaben:
Jan Skudlarek: ELEKTROSMOG
Illustriert von Simone Kornappel
Wiesbaden: Luxbooks 2013
90 Seiten. 19,80 Euro