/

Die Inseln der Unsterblichen

Kulturbuch | Yoko Kawaguchi: Japanische Zen-Gärten

In ihrer Reduktion auf wenige, metaphorische Gestaltungselemente sind sie schlicht und beeindruckend zugleich: Japanische Zen-Gärten. Die Autorin Yoko Kawaguchi und der Fotograf Alex Ramsay präsentieren einen traumhaft schönen, höchst informativen Bildband zu Geschichte, Entstehung und Bedeutung dieser Anlagen. Von INGEBORG JAISER

Yoko Kawaguchi: Japanische Zen-Gärten

Fein geharkter Marmorkies schlängelt sich wellenförmig über einen Innenhof. Kissenförmig geschnittene Azaleen schmiegen sich an eine Steinwand. Über eine Mauer ergießt sich ein Schwall blühender Kirschzweige. Ein dichter Moosteppich überzieht einen lang gestreckten Hügel. Eine verwitterte Steinplatte überspannt einen kleinen Teich. Drei Monolithen neigen sich wie im Gespräch einander zu.

Reduktion und Minimalismus

Die Ruhe und Ausgeglichenheit asiatischer Gärten beeindruckt seit Jahrhunderten: Adlige, Mönche, Besucher. Eine besondere Faszination geht vor allem von Zen-Gärten aus, die als Trockenlandschaftsgärten (»kare-sansui«) mit ihrer minimalistischen Reduktion und ihrer sparsamen Beschränkung auf wenige Gestaltungselemente weitgehend auf größere Pflanzen verzichten. Sie verstehen sich als idealisierte Darstellungen der Natur, dienen dem Entdecken und Erkennen, der Betrachtung und Meditation. Entstanden sind sie im Zusammenspiel von japanischen und chinesischen Traditionen der Kunst, meist im Umfeld von Tempeln des Zen-Buddhismus. Ihr einzigartiger Stil setzt sich noch heutzutage fort im prägenden Vorbild für zahlreiche zeitgenössische Gartenanlagen.

Seit langem beschäftigt sich die in Tokyo geborene Autorin Yoko Kawaguchi mit der Gestaltung und Geschichte von Gärten. In Japanische Zen-Gärten legt sie ihr profundes Wissen und ihr tiefes Verständnis auf nachvollziehbare Weise auch westlichen Lesern offen. Erklärt Symbolik und Interpretation, Hintergründe und Lesarten. Denn die Geisteshaltung, mit der man sich einem Zen-Garten nähert, ist von größter Bedeutung.

Kranich und Schildkröte

Mit beeindruckender Ausführlichkeit und großem Feingefühl stellt Yoko Kawaguchi eine Vielzahl meist historischer Beispiele vor und erläutert die wichtigsten Motive und Gestaltungselemente. So ist die Bildsprache japanischer Zen-Gärten sowohl auf eine buddhistische Kosmographie und Mythologie, als auch auf Fabeln und Allegorien zurückzuführen. Fein geharkter Kies erzeugt die Illusion einer weitläufigen Wasserfläche. Steinformationen stellen die Inseln der Unsterblichen dar, wobei Kranich und Schildkröte als Metaphern für langes Leben zu sehen sind. Auch Kompositionen mit drei Steinen sind beliebt – stehen sie doch traditionell für die Darstellung eines Buddhas mit zwei Begleitern.

Formvollendet werden Yoko Kawaguchis Texte von rund 140 eindrucksvollen Fotografien des international tätigen und vielfach ausgezeichneten Fotografen Alex Ramsay begleitet. Sie vermitteln stimmungsvolle, kontemplative Bilder der Atmosphäre traditioneller Zen-Gärten. Dabei spielt die Perspektive eine große Rolle, erschließt sich doch die angestrebte Panoramawirkung oftmals erst im Sitzen vollständig. Schematische Gartengrundrisse, ein historischer Abriss, fundiert recherchierte Adressen und Öffnungszeiten zahlreicher japanischer Tempelgärten, sowie ein ausführliches Glossar vervollständigen diesen opulenten und höchst informativen Bildband. Ein Traum für alle Gartenliebhaber und Anhänger fernöstlicher Philosophie.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Yoko Kawaguchi: Japanische Zen-Gärten. Wege zur Kontemplation
Fotos von Alex Ramsay. Übersetzung von Claudia Arlinghaus
München: DVA 2014
207 Seiten. 49,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Aufbruch in den Favelas

Nächster Artikel

Ein TATORT möchte hoch hinaus

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

»Who is who« der vergessenen Dinge

Kulturbuch | Thomas Blubacher: Wie es einst war Der Insel Verlag hat wieder ein Händchen für schöne Dinge bewiesen. Im gewohnt liebevollem Outfit der Insel-Reihe widmet sich Thomas Blubacher in ›Wie es einst war. Schönes und Nützliches aus Großmutters Zeiten‹ den Dingen, die wir nicht mehr benennen können, weil sie für unsere Zeit obsolet geworden sind. So fungiert das Buch auch als Maß zur Feststellung des eigenen Alters. Welche Begriffe sind einem noch geläufig und wie alt ist man dann wirklich? VIOLA STOCKER unterzog sich einem Test.

Unser großes, weißes, mittleres Meer

Kulturbuch | David Abulafia: Das Mittelmeer Traumziel bleicher Nordmenschen, Sehnsuchtsort klassischer Bildungsbürger – Wiege der Kultur plus Demokratie, ganz zu schweigen von guter Küche, quecksilbrigem Geist und kreativem Müßiggang – und Fußpunkt der drei großen monotheistischen Religionen: das Mittelmeer. Soweit der Blick aus der Landrattenperspektive. Wer sich aufs Wasser hinaus begibt, merkt schnell: Ein sanftes Binnenmeer ist das nicht. Es ist sprunghaft, tückisch, gewalttätig. Es brodelt, klimatisch wie politisch, und seit einiger Zeit wieder sehr augenfällig – Lampedusa, Gaza, Arabischer Frühling. Von PIEKE BIERMANN

Über allen Wipfeln

Kulturbuch | Pete Nelson: Die wunderbare Welt der Baumhäuser Glücklich, wer als Kind ein Baumhaus bauen konnte, eine luftige, aus Sperrholz und schiefen Latten gezimmerte Bretterbude auf der Wiese hinterm Haus. Manche retten sich diesen ewigen Kindheitstraum ins Erwachsenenalter hinein, aber nur wenige perfektionieren ihre Passion. Pete Nelson ist so einer. Sein Universum ist Die wunderbare Welt der Baumhäuser. Von INGEBORG JAISER

China, China, China!

Kulturbuch | Jing Liu: Chinas Geschichte im Comic Die internationalen Beziehungen verändern sich rasant. Was gestern noch unverrückbar erschien, bricht heute zusammen, das betrifft vor allem die globalen Machtzentren: eine zerstrittene EU, eine sich zerlegende USA, ein bedrängtes Rußland und ein noch immer eher rätselhaftes, aber kontinuierlich aufstrebendes China. Von WOLF SENFF

Vordenker der Befreiung

Kulturbuch | Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires Die koloniale Ausbreitung Europas (und der USA) über die ganze Welt im 19. Jahrhundert mag einem in der Schule oder an der Universität begegnet sein. Die brutale Herrschaftspraxis des Kolonialismus ist aber nirgends Inhalt des Lehrplans. Und schon gar nicht die überaus mühselige politische und geistige Befreiung der farbigen Völker. Der indische Wissenschaftler und Essayist Pankaj Mishra stellt einige der wichtigsten Vorläufer dieser Befreiung in Aus den Ruinen des Empires vor. Von PETER BLASTENBREI