Das Mikrofon im Hintern des Haustiers

Musik | Toms Plattencheck

Neuester Output der REV.Lab.series ist eine Zusammenarbeit des experimentierfreudigen Noise-forschers Deison mit Andrea Gastaldello aka Mingle. Deison, der schon auf diverse, namhafte Kollaborations-Partner verweisen kann (u.a.Thursten Moore, KK Null oder Teho Teardo) erscheint in seiner neusten Ausgabe deutlich variabler und dynamischer als zuletzt. Von TOM ASAM

Deison MingleNicht dass hier Melodien zum Mitpfeifen eine Rolle spielten; Everything collapse(d) ist eine um die Themen Melancholie und Abgeschiedenheit zirkelnde Innenschau. Hier herrscht aber nicht kühles Maschinenbrummen vor, vielmehr denkt man an eine untrennbare Verbindung von Mensch und Maschine auf dem Weg in die Weiten des Alls. Drones, Field Recordings und Loops werden mit Harmoniefragmenten, Pianotönen – und sogar mit etwas Gesang gepaart. Nachdem man sich wundert, wo denn der im Booklet genannte Swans-Coversong Failure sein soll (der nicht in der Tracklist zu finden ist), wird man erst nach einer Pause, die den gelisteten 8 Songs folgt, mit dieser Zugabe überrascht. Zwischen einem ambienten Pianostück wie An estranged perspective und dem von Clicks and Cuts und einem nach Waldhorn klingenden Drone-Sound geprägten Titelstück gibt es eine relativ breite Stilvielfalt auf diesem kosmischen Album zu entdecken. Dabei wirkt everything collapse(d) angenehm unverkopft und sollte auch Hörer komplexerer Club-Sounds nicht enttäuschen, die hier vielleicht unhörbares Avantgarde-Gedröhne erwarten. Einstiegstipp: das im Downtempo dahinschwebende Nessun desiderio.

Connect_IcutZurück aus dem Kosmos, hinein in die Small town by the Sea von CONNECT_ICUT. Der kanadische Produzent war letztes Jahr auch schon in der REV.Lab Reihe vertreten, kommt nun mit einem »normalen«Aagoo-Release zurück. Small Town ist im Vergleich zur letztjährigen Veröffentlichung zugänglicher und abwechslungsreicher und verweist somit auf frühere Werke des Künstlers, die neben elektronischen Experimenten auch Bezüge zu Pop aufwiesen. Zu verfremdeten Field Recordings gesellt sich hier leicht psychedelische Freakpower, zusammengehalten wird das Ganze aber durch ordnende Songstrukturen. Man hört Vogelgesang, Regen, Wellen und mechanische Klänge (wird in Bathroom Mirror eine Knarre zusammengebaut – und in 74 Guitars abgefeiert?), doch wirkt die Klangvielfalt nie beliebig. Könnte durchaus auch Freunde massenkompatiblerer Künstler wie Four Tet oder Future Poppern wie Atlas Sound oder Panda Bear ansprechen.

EdgingErst kürzlich erreicht mich ein Päckchen aus Japan, das unter anderem das bereits 2013 erschienene Album Edging des eingangs erwähnten K.K. Null enthielt. Während obige Veröffentlichungen unerwartet leicht ins Ohr gehen, muss man sich bei diesem Werk von Kazuyuki Kishino schon etwas mehr Zeit und Muße gönnen. Der 1961 geborene Kishino wurde bekannt als Mastermind der progressiven Hardcore-Band Zeni Geva, arbeitete aber auch im Merzbow-Umfeld und als Soloartist mit musikalischen Erneuerern wie ZÉV oder Fred Frith. Bei Edging handelt es sich um einen Soundtrack for dance theatre piece –so der Untertitel. In der Tat hören wir die klangmalerische Begleitung des letzten November (u.a.) in Paris aufgeführten Tanztheater-Stückes Edging (Choreograph Guillaume Marie und Dramaturg Igor Dobričić). Wir werden also eher daran erinnert, dass Kishino auch Butoh-Tanz studiert hat – und nicht nur Gitarrist und Komponist ist. Die Gitarre hat er ja schon lange zugunsten elektronischer Maschinen und Spielereien vernachlässigt. Auf Edging kann das so aufregend sein, wie es der Titel verspricht. Der Begriff steht nämlich (auch) für die sexuelle Praxis der ständig an der Grenze zum Orgasmus wandelnden Stimulation. Die hier stattfindenden Noiseattacken finden auch immer wieder zurück in ruhigere Passagen und kurze Erholungsmomente. Das macht es nur umso spannender. Denn vom harmlosen Zwitschern, Vinylknacken und Tröpfeln reichen die Sounds über Bleeps, Clicks´n Cuts bis hin zu Sphären, die die Sicht- (bzw. gewöhnliche) Hörweise des Menschen vergessen lassen. Da hören wir vermeintlich kosmische Schnellzüge entgleisen, Sternschnuppen explodieren, das Mikro im Hintern des Haustieres knacken, galaktische Staubsauger röcheln, unheimliches Rattern und Scheppern, verwunschene klänge aus der SciFi- Hölle, Noisewellen,- Tropfen und –Stalaktiten. Wie und warum das Ganze produziert wurde, vergisst man bald, weil man komplett in den Klangstrudel gezogen wird. Diesen Klang über eine (vermutlich) amtliche Anlage zusammen mit visuellen Tanzelementen und anwesendem Publikum zu erfahren, muss ein wahres Erlebnis sein!

Gitajon - oceanZum entpannten Ausklang sei das Debütalbum der fränkischen Formation Gitajon empfohlen. Das Quartett nutzt »12 Saiten, Stimme und eine Holzkiste« um den Hörer zum Eintauchen in den natürlichen Fluss der Musik zu bewegen. Die Holzkiste nennt sich als Instrument »Cajon«, woraus sich in Verbindung mit »Guitar« das programmatische Hybridwort Gitajon ergibt. Und tatsächlich reichen zwei versierte Gitarrenspieler, der Herr der Kiste und die charakteristische Stimme von Sänger Lyonel Behringer aus, den Hörer in den Klang-Ocean mitzureißen. Trotz reduzierter Instrumentierung und schlichter Produktion entstehen dank ausgefeiltem Songwriting und Mut zum eigenen Ausdruck dynamische Musikstücke, die von Artrock, World Music und Jazz gleichermaßen infiziert sind. Bei Gitajon zeigt sich, dass man Artrock von Progrock zu differenzieren mag; hier sind keine überlangen Stücke, Bach-Verunglimpfungen oder instrumentale Egotrips von Nöten. Die Songs auf Ocean fließen natürlich aber eigenwillig wie das Wasser. Auch wenn man sich in der Spiellänge des üblichen Popsongs bewegt, vermeidet man dabei standardmäßige Strophe/ Refrain-Muster und kommt auch ohne Mitsing-Wohligkeit beim Hörer an. Live am 2. Mai 2014 in der Musikschule Fürth zu genießen; es folgt eine kleine Deutschlandtour im September.

| TOM ASAM

Titelangaben
DEISON & MINGLE: Everything Collapse(d) – www.aagoo.com
CONNECT-ICUT: Small towns by the sea – www.aagoo.com
K.K. NULL: Edging – NUX ORG / www.kknull.com
Gitajon: Ocean – www.gitajon.de

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Aus dem Leben eines Vortragsreisenden

Nächster Artikel

Monotonie in blutigem Rot

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Sweet fruit once bit me

Musik | Loving: Loving Wenn Syd Barrett und Alex Brettin zusammen, frisch verlassen, in den Strawberry Fields liegen und träumen würden, hätten sie wahrscheinlich das gleiche Ergebnis erzielt: Das Album ›Loving‹ der gleichnamigen Band ist eine psychedelische Frühstücksmelancholie. MARC HOINKIS trank seinen Kaffee dazu.

A Girl Walks Home Alone At Night With Her Headphones On: June’s New Singles Part 2.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Just in time for the sanitised hedonism of Ibiza, May and June have brought a slew of turgid house ‚bangers‘ that are so tired and uninspiring they make the decision to insert red hot pokers into both your ears seem like an extremely good idea. Yet, trust me when I tell you that there is some wonderful music out there. To prove the point this follow-up to last weeks article highlights some more amazing singles and EPs, from the likes of Robag Wruhme, Gardens Of God. Felix

In Search Of Captain Starlight: An Interview With Woolfy vs. Projections.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Woolfy vs. Projections create strange, ethereal music composed of the type of sounds that would be a treat for any set of ears. Over the last few years the duo of Simon James and Dan Hastie have released a string of rich, emotional house music tracks which are so sun-kissed they positively glow. Their brand-new album ›Stations‹ hits the shops on the 21st August via esteemed slo-mo disco purveyors ›Permanent Vacation‹ and sees the band reach a creative peak. By JOHN BITTLES

2017: The Albums Of The Year So Far

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world This week I have taken it upon myself to highlight, in no particular order, some of the albums released in the first half of 2017 which have forced me to crack a smile, and convinced me that getting out of bed isn’t a complete waste of time. By JOHN BITTLES

Sanna Kurki-Suonio: The Unparalleled System

Musik | Sanna Kurki-Suonio: The Unparalleled System Die unkonventionelle Finnin Sanna Kurki-Suonio spielt und performt akustischen und elektronischen Indiefolk in Verbindung mit experimenteller Rockmusik und bluesigem Feeling. Von TINA KAROLINA STAUNER