Monotonie in blutigem Rot

Film | Mel Gibson: Die Passion Christi

Vor zehn Jahren sorgte Mel Gibsons Jesusfilm ›Die Passion Christi‹ für einen Skandal. STEFAN VOLK erinnert sich.

Mel Gibson: Die Passion Christi»Erbarmungslos, brutal!« – »Der umstrittenste Film aller Zeiten!« – Als ›Die Passion Christi‹, Mel Gibsons eigenwillige Interpretation vom Leidensweg Jesu, vor zehn Jahren rechtzeitig zu Ostern 2004 in die Kinos kam, überboten sich die Medien geradezu mit empörten Aufschreien und sensationsheischenden Überschriften. In der New Yorker Tageszeitung ›Daily News‹ schimpfte die Filmkritikerin Jami Bernard, ›Die Passion Christi‹ sei der »bösartigste antisemitische Film seit den deutschen Propagandafilmen im 2. Weltkrieg«. Jens Jessen tat den Streifen in der ›Zeit‹ als »kalifornisches Splatter-Movie« ab. Und der mittlerweile verstorbene US-Kritikerpapst Roger Ebert gestand in der ›Chicago Sun-Times‹, Gibsons Jesusfilm sei »der brutalste Film«, den er »je gesehen habe«, was angesichts der allgegenwärtigen Flut ungleich drastischerer filmischer Gewaltdarstellungen dann doch etwas verwunderte. Ebert ergänzte jedoch auch: »Mein persönliches Gefühl ist, dass Gibsons Film nicht antisemitisch ist, sondern seitens der jüdischen Charaktere eine ausgewogene Bandbreite von Verhaltensweisen widerspiegelt.«

Dass ein Film, in dem ausschließlich Aramäisch, Hebräisch und Lateinisch gesprochen wurde, einen derartig großen Wirbel verursachen konnte, lag fraglos auch am streitbaren Charakter seines Regisseurs. Im Duktus eines Auserwählten hatte Mel Gibson unter anderem verkündet, kein Geringerer als der »Heilige Geist« selbst, habe ihm bei diesem Film »die Hand geführt«.

Der »Heilige Geist« hatte seine Arbeit noch nicht beendet, da war Gibsons göttliches Auftragswerk schon längst in aller Munde. Im Wochenendmagazin der ›New York Times‹ war ein Artikel erschienen, der die Befürchtung weckte, ›Die Passion Christi‹ könne eine antisemitische Stimmung verbreiten, indem er die Schuld am Tod Jesu’ den Juden zuschreibe. Hintergrund dieser vorgreifenden Kritik waren Mel Gibsons traditionalistische Religionsvorstellungen und die rechtsextremen Ansichten seines Vaters Hutton Gibson, der im Gespräch mit ›New York Times‹-Autor Christopher Noxon den Holocaust geleugnet haben soll. Nahrung fanden die Bedenken außerdem durch Äußerungen führender Traditionalisten wie Gary Giuffre, der sich von Gibsons Film erhoffte, dass dieser die Verantwortung für den Tod Christi dort ansiedele, wo sie hingehöre.

Vatikan meldet sich zu Wort

Damit war in den USA eine monatelange Debatte eröffnet, die durch kursierende Kopien des Originaldrehbuchs und erste Testvorführungen weiter angefeuert wurde. Die ›Anti-Defamation-League‹ (ADL), die sich gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Juden stark machte, lehnte den Film ab. ADL-Direktor Abraham Foxman, dem ›Die Passion Christi‹ gemeinsam mit anderen Religionsvertretern vorab vorgeführt worden war, kritisierte, der Film sei dazu geeignet, Antisemitismus zu entfachen und die Juden für die Kreuzigung Christi verantwortlich zu machen. Zahlreiche jüdische, aber auch christliche Organisationen und Verbände sowie Journalisten schlossen sich dieser Kritik an. Für besondere Empörung sorgte der vom jüdischen Hohepriester Kaiphas im Anschluss an die Kreuzigung geäußerte Satz aus dem Matthäusevangelium: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder« (Mt 27,25). Dem Drängen, diesen historisch verhängnisvollen Satz aus dem Film zu entfernen, gab Gibson nur teilweise nach, indem er ihn zwar im Film behielt, aber nicht untertitelte.

Unterstützung erfuhr der Film von konservativer und teilweise auch von christlicher Seite. Die ›Katholische Liga‹ erwarb in den USA über Tausend Eintrittskarten und stellte sie ihren Mitgliedern zu reduzierten Preisen zur Verfügung. Ganze Gemeinden versammelten sich zum gemeinsamen Kinobesuch. Und auch der Vatikan meldet sich zu Wort. Kardinal Dario Castrillon Hoyos verteidigte den Film. Selbst Papst Johannes Paul II., der den Film vor dem offiziellen Kinostart im Vatikan zu sehen bekam, soll sich mit den knappen Worten »Es ist, wie es war« für ihn ausgesprochen haben, was sein Sekretär, Erzbischof Stanislaw Dziwisz, später allerdings dementierte.

»Evangelium nach Marquis de Sade«

Über Monate hinweg sorgten die hitzigen Diskussionen um ›Die Passion Christi‹ für Schlagzeilen und Einschaltquoten. Filmkritiker, die den Film negativ besprachen, konnten sich auf wütende Leserpost gefasst machen. Mel Gibson wurde in New York von einer aufgebrachten Menge als »Antisemit« beschimpft und mit einem Eimer Schafsblut beworfen. Jesus-Darsteller James Caviezel und Gibson erhielten Personenschutz von einer privaten Sicherheitsfirma. Vorsitzende von Filmstudios erklärten öffentlich, in Zukunft nicht mehr mit Gibson zusammenarbeiten zu wollen.

Neben den Vorwürfen des Antisemitismus und einer historischen Verfälschung wurde dem Film in den USA auch seine exzessiven Gewaltdarstellungen vorgehalten. Die Kritik an Gibsons »Evangelium nach Marquis de Sade« verschärfte sich noch, nachdem eine 56-jährige Zuschauerin im Bundesstaat Kansas während der Kreuzigungsszene im Kino einen tödlichen Herzanfall erlitten hatte.

Filmästhetisch grandios arrangiert

Anders als in den USA war es in Deutschland von Anfang an dieser Gewaltaspekt, gegen den sich die Kritik hauptsächlich richtete, während der Antisemitismusvorwurf eine vergleichsweise geringe Rolle spielte. Etliche hochrangige Kirchenvertreter sprachen sich öffentlich für den Film aus und verteidigten ihn gegen die geäußerten Vorwürfe. Dennoch kam es zum deutschen Bundesstart des Films am 18. März 2004 zu einer gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland, in der ausdrücklich vor der Gefahr einer antisemitischen Instrumentalisierung des Bibelfilms gewarnt wurde: »Die Beziehungen zwischen Christen und Juden sind heute von gegenseitigem Respekt und Anerkennung geprägt. Wir fordern alle Verantwortlichen auf, entschieden dafür einzutreten, dass diese guten Beziehungen nicht durch eine sich auf diesen Film berufende Instrumentalisierung des Leidens Jesu beeinträchtigt werden.«

Aus rein cineastischer Perspektive bewegte sich Mel Gibsons ›Die Passion Christi‹ auf der Höhe der Zeit, was dem Film trotz aller Kontroversen drei Oscarnominierungen in den Kategorien »Kamera«, »Makeup« und »Musik« einbrachte. Die Darsteller agierten solide. Einzelne Szenen, wie etwa die Auftritte des Satans, waren filmästhetisch grandios arrangiert. Die vielen Gewaltbilder dagegen verbanden sich schon recht bald zu einer gleichförmig blutigen Dramaturgie, die auf eine Filmlänge von über zwei Stunden gerechnet weniger schockierend wirkte als vielmehr monoton.

| STEFAN VOLK

Dieser Artikel ist ein bearbeiteter Auszug des Kapitels ›Die Passion Christi‹ aus:
Stefan Volk: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute
Marburg: Schüren 2011
320 Seiten. 24,90 Euro (eBook 17,99 Euro)

Reinschauen
Internetseite zum Buch: skandalfilm.net
Facebookseite Skandalfilme
Erregungen, Kampagnen, Polemiken – Manfred Wieninger zu Stefan Volk: Skandalfilme

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Mikrofon im Hintern des Haustiers

Nächster Artikel

»Jedermanns Krieg nach niemandes Plan«

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Oper als Arbeit

Film | Auf DVD: Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht Wer ein Theater oder eine Oper besucht, sieht auf der Bühne ein abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht zu erahnen ist, wie viel Stunden Arbeit von unzähligen Menschen, von denen sich nur ein kleiner Teil nach der Vorstellung verneigt, zu diesem Ergebnis geführt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu verstehen, wenn die Beteiligten verärgert auf jede negative Kritik reagieren. Sie ist ja auch eine Missachtung der Anstrengungen, die sie investiert haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Der Western bleibt

Sachbuch | Anmerkungen zu Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität. Zur globalen Zirkulation des Western-Genres Man sollte über den Western vielleicht keine nüchternen Texte verfassen, das ist nur unter Schwierigkeiten möglich, und Thomas Klein weist in seiner hier rezensierten grundlegenden Untersuchung zurecht wiederholt darauf hin, dass dieses Genre sich facettenreich entwickelt und sich erfolgreich behauptet, indem es seine Erscheinung chamäleongleich verändert. Nun denn. Vielleicht gibt es dennoch einige Leitfäden. Von WOLF SENFF

Die Schöne und das »Biest«

Menschen | Zum Tod der Schauspielerin Gina Lollobrigida

»Ich habe das Recht, mein Leben bis zum Schluss leben zu dürfen. In meinem Alter verlange ich nur eines: dass sie mich in Frieden sterben lassen! Den Rummel habe ich zu lange mitgemacht! Jetzt meide ich ihn. Deshalb bin ich so gern in Pietrasanta in der Toskana«, hatte die Schauspielerin Gina Lollobrigida erklärt, die im September wegen eines Oberschenkelhalsbruchs bereits im Krankenhaus behandelt werden musste. Von PETER MOHR

Von Müllfahrern und Nadelstreifen

TATORT 912 Alle meine Jungs (RB), 18. Mai In Bremen sucht man den Clanstrukturen auf den Grund zu kommen, das ist verdienstvoll, vor Kurzem hatten wir einen türkischen Familienclan, diesmal, jenseits allen Rassismusverdachts, ist’s eine Abteilung bei den Müllfahrern. Einer wie der andere sind sie Ex-Knackis, alle wohnen in derselben Straße, welch ein Zufall, eine nachbarschaftliche Gemeinschaft gewissermaßen, wie schön, da hat man, klar, gemeinsame Interessen, das schweißt zusammen und niemand wird alleingelassen. Von WOLF SENFF (Foto WDR/J.Landsberg)

Auftritt: Die Ex vom BKA

Film | TV: Tatort Die Wahrheit stirbt zuerst (MDR), 16. Juni: Meine Güte – kann Katja Riemann toll eklige Weiber spielen! Und wie charmant Andreas Keppler ihre entzückende Visage beschreibt! Boshaft? Nicht doch! Auch an Eva Saalfeld teilt er aus, »ihr«, sagt er, »hängt die Müdigkeit wie Würmer aus den Augen!« Das ist nicht fein – nein, das gehört sich nicht. Wir lernen, wie Keppler mit den Mädels umspringt, das ist die halbe Miete. Von WOLF SENFF