Jugendbuch | Marcus Sedgwick: Sieben Monde
Liebe durch alle Zeiten, ewig und über den Tod hinaus sind zwar altbekannte Themen, erfreuen sich aber inzwischen wieder höchster Beliebtheit. Eine neue Romantik ist ausgebrochen. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alles, was auch nur entfernt nach einem echten Problem in Verbindung mit Liebe aussieht, stillschweigend in der Versenkung verschwunden ist. Zurück bleibt das reine Gefühl. Allerdings ist das auch nicht mehr echt. Von MAGALI HEISSLER
Ein Mann, eine Frau, verbunden durch Liebe, doch getrennt durch äußere Umstände. Das nicht nur einmal, sondern mehrfach, bis sich ihr Schicksal erfüllt. Das ist das Hauptmotiv der Geschichte, die hier erzählt wird. Sie beginnt ca. sechzig Jahre nach unserer Zeit. Eric Seven, Journalist, ist auf dem Weg zu einer fernen Insel mit dem schönen Namen Blessed, um einem eigenartigen Gerücht auf die Spur zu kommen. Auf der Insel soll es etwas wie ein Lebenselixier geben, die Menschen dort werden sehr alt, man munkelt sogar von Unsterblichkeit.
Erik ist kaum am Ziel gelandet, als Befremdliches geschieht. Er hat den sicheren Eindruck, den Ort zu kennen. Überdies verliebt er sich Hals über Kopf in Merle, eine junge Frau und, wie sich rasch herausstellt, die einzige junge Frau auf Blessed. Doch auch diese Liebe erscheint Erik seltsam vertraut.
Er macht sich auf, das Geheimnis zu lüften und stößt auf eine überwältigende und zugleich schreckliche Wahrheit.
Drache, Hase, Blut und Teufel
Sedgwick präsentiert seine Geschichte in sieben kleineren Erzählungen und der zweigeteilten Geschichte des Jahrs 2073. Jeder der kleineren Erzählungen spielt in einer anderen Zeit, sei es Jahrhundert, sei es Epoche. Gegliedert wird chronologisch rückwärts, von 2073 aus bis in eine unbestimmte Frühzeit, in der alles anfing. Der Beginn der eigentlichen Geschichte ist demnach der letzte Schritt vor dem endgültigen Ende. Kern aller Geschichten ist die Liebesbeziehung zwischen Erik und Merle durch die Zeiten. Allerdings lässt der Autor nicht immer ein klassisches Liebespaar auftreten, die Beziehungen der beiden sind unterschiedlicher Art. Mutter und Sohn, Geschwister, zwei einander Fremde, von der einer nur ein Foto sieht, die andere später nur den Namen hört. Einmal ändert sich sogar, ganz kühn, das Geschlecht eines der Liebenden. Der Mann wird zur Frau – nicht ganz so kühn.
Gemeinsam ist den Geschichten ihr trauriges Ende, der unvermeidliche Tod trennt Merle und Erik wieder und wieder. Zusammengehalten wird das Konstrukt eher schwach durch eine oberflächlich angewandte Small-World-Theorie – jeder kennt jede über sechs Ecken auf der Welt, – ein wenig Vulgärphilosophie – warum bin ich ich, kann ich nicht auch jemand anders sein? – sowie westlich verwässerte Vorstellungen von Seelenwanderung. Es ändert sich also nichts, niemals, gestern ist heute, übermorgen vorgestern, und jedes ‚Ich‘ erscheint in vielen wechselnden Gestalten, bis sein Schicksal sich erfüllt. Wer das bestimmt, bleibt im Unklaren. Sedgwick bedient sich einer Handvoll magischer Motive, der Zahl Sieben, etwa, und dem Mond, Drache und Hase, dem Blut und dem Teufel. Schaurig ist das alles nicht besonders, schaudern lässt eine höchstens die Trivialität des Gemischs.
Fasziniert von der eigenen Faszination
Einfluss auf Sedgwicks Grundidee hatte, das teilt er uns mit, das monumentale Gemälde ‚Midvinterblot‘ von Carl Larsson, eine grelle, fast brutale, übertrieben historisierende Inszenierung eines Menschenopfers. Der Einfluss ist beträchtlich. Es ist vor allem die Idee des Opfers, die in diesem Buch hervorsticht. Das Blutopfer wird als notwendig vorausgesetzt, es bringt aber auch das Ende der Liebe zwischen zwei Menschen auf Erden. Auch Larsson wird ein Denkmal gesetzt, sein fiktionalisiertes Alter Ego geht zuletzt am Unverständnis seiner Zeit für sein Gemälde zugrunde, ein Opfer am Altar der Kunst. Opfer gibt es in allen sieben Geschichten unter den sieben verschiedenen Monden, das Opfer ist immer derselbe, das Leiden der Zurückbleibenden auch. Sedgwick hat sich so sehr von seiner Faszination für die Opferidee mitreißen lassen, dass er dem Kitsch und der falschen Sentimentalität Tür und Tor geöffnet hat. Das Brutal-Düstere, das Gewaltige und Mystische, das die Geschichten enthalten sollen, ist dementsprechend blechern, oberflächlich und gewollt.
Abgesehen davon, dass die Vorstellung der Aufopferung grundsätzlich diskussionsbedürftig ist, ist die Folgerichtigkeit des Ganzen immer wieder durchbrochen. Es wird nicht deutlich, warum ein Blutopfer aus einer sagenhaften Vorzeit im 21. Jahrhundert vollzogen werden soll. Dies umso weniger, als in einer der Geschichten bereits erkannt wurde, was ein solches Opfer unnötig macht. Die immer wieder gestörte Liebesbeziehung zwischen Merle und Eric ist auch eher sentimental als überzeugend. Die siebenmal an unerfüllter Liebe schicksalhaft leidende Merle ist nicht unbedingt beispielhaft in einem zeitgenössischen Jugendbuch, genauso wenig wie der stets opferbreite Eric. Leiden hie, sich opfern da wird als ihre Existenzberechtigung abgefeiert.
Merles Passivität scheint auch dem Autor aufgefallen zu sein, am Ende darf sie aktiv werden und den entscheidenden Streich führen. Eric dagegen spricht die erlösenden Worte. Dass damit der Rest der Welt vergessen ist, wie Sedgwick voll falscher Inbrunst meint, ist eine späte Erkenntnis. ‚Welt‘ kam in dem Roman an keiner Stelle überhaupt vor. Unser über Jahrhunderte liebesleidend sich opferndes Paar, wofür auch immer das Opfer sein mag, wird dagegen zur Liebe selbst. Wozu also noch die Welt? Pure rosarote Romantik herrscht.
Keine schönen Aussichten.
| MAGALI HEISSLER
Titelangaben
Marcus Sedgwick: Sieben Monde (Midwinterblood, 2011)
Übersetzt von Renate Weitbrecht
München: dtv Reihe Hanser 2014
238 Seiten. 14,95 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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