Kinderbuch | Brigitte Endres: Vom Küken, das wissen wollte, wer seine Mama ist
Ein Küken, frisch geschlüpft aus einem Ei, Piepst beim Anblick des ersten Lebewesens, das ihm zu Gesicht kommt, ganz selbstverständlich »Mama«. Nun handelt es sich dabei allerdings um eine Schnecke, die eher zufällig des Wegs gekrochen kommt und die das Küken sofort korrigiert. ANDREA WANNER folgt dem Weg des flauschigen kleinen Dings.
Es ist ein Weg voller Irrungen und Wirrungen. Woher soll das frisch geschlüpfte Küken wissen, zu wem es gehört. Auf dem Holzweg, dass das die Erstbeste sein muss, waren schon andere – man denke nur an Konrad Lorenz und seine Gänse. Die Schnecke ist es also nicht. Die Katze – zum Glück! – auch nicht. Aber auch die Raupe, der Apfelbaum und die Amsel sind es nicht. Wird das arme Kleine seine Mutter denn gar nicht finden.
Aufklärung
Die Wesen, denen das Küken begegnet, begnügen sich nun nicht damit, die Elternschaft zu bestreiten – womit sie natürlich Recht haben – sondern weisen außerdem auf die jeweiligen biologischen Besonderheiten hin, die zu berücksichtigen sind. So legt die Schnecke zwar Eier aber ganz andere, schleimige und wabbelige. Die Katze und die Kuh erklären, dass ihre Kinder in ihrem Bauch wachsen, ohne Schale drumherum und der Schmetterling erklärt, dass die Raupe sein Kind ist, das zwar auch aus einem Ei stammt, aber eben doch wieder einem anderen. Wie wer sich fortpflanzt, wer sich um seinen Nachwuchs kümmert und wer ihn sich selbst überlässt und wer gar keinen bekommen kann – wie der große, weiße Grenzstein, der dann auch prompt die Frage erst gar nicht beantwortet – erzählt Brigitte Endres mit viel liebevollem Witz. Und natürlich darf man beim Anschauen des Bilderbuchs auch noch konkreter werden und nach der eigenen Herkunft fragen. Das ergibt sich ganz einfach nebenbei, ohne dass das Etikett »Aufklärungsbilderbuch« notwendig ist
Die Illustrationen in zarten Pastelltönen lassen der Geschichte viel Raum; sie zeigen viele Details, ohne überfrachtet zu sein, und nehmen der Suche, die man sich doch eigentlich eher hektisch vorstellt, viel von ihrem Tempo. Sie stellen eine friedliche Sommerwelt dar, in der auch die Katze den Gedanken an ein leckeres Frühstück, das ihr da direkt vor der Nase steht, nicht so richtig ernsthaft verfolgt. Ein heiterer Sommertag vermittelt Optimismus. Es wird schon alles gut werden. Irgendwo muss die Mutter ja stecken. Und so ist es dann am Ende natürlich auch.
Die Tiere sind niedlich und sympathisch, die Frage des Kükens zwar drängend, aber nie dramatisch. Und schließlich ist ja auch alles in bester Ordnung. Zwischen Löwenzahn und Schafgarbe gibt es dann ein (Wieder)sehen. Wie schön!
| ANDREA WANNER
Titelangaben
Brigitte Endres: Vom Küken, das wissen wollte, wer seine Mama ist
Mit Illustrationen von Julia Dürr
Zürich: Aracari Verlag 2014.
28 Seiten, 14,90 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren