Ein anderer Blick in die Märchenwelt

Kinderbuch | Michael Roher, Elisabeth Steinkellner: Wer fürchtet sich vorm lila Lachs?

Vermutlich fehlen in kaum einem Kinderzimmer Märchenbücher. Sie erzählen noch immer von mutigen Prinzen, die wunderschöne Prinzessinnen retten, von gefährlichen Drachen und hilflosen Geißlein, von bösen Stiefmüttern und grausamen Hexen. Und weil das manchmal so gar nicht mehr in unser 21. Jahrhundert passt, gibt es Märchenparodien, die das Überkommene freilegen und durch Verdrehungen ad absurdum führen. Und eines davon ist das mit der wundervollen Frage »Wer fürchtet sich vorm lila Lachs?« Von ANDREA WANNER

Das Buchcover zeigt einen lilafarbenen Fisch, der lächelt und eine Krone trägt»Niemand!« ist man versucht laut zu rufen, denn wie albern ist das denn? Lachse sind rosa und garantiert nicht lila und vor einem Lachs Angst zu haben, scheint lächerlich. Aber der freche Lump aus dem ersten Gedicht in den gegen den Strich gebürsteten Märchen, der Max und Moritz verprügelt, Gretel hänselt und des Kaisers Kleider klaut, der fällt schlichtweg um, als der lila Lachs ihn zu einem Kuss auffordert.

Das ist der Auftakt zu einem wilden Märchendurcheinander, das Michael Roher, Elisabeth Steinkellner und Catrin Roher sich bereits 2013 ausgedacht haben. Die Auflage ist längst vergriffen, die von 2014 auch und deshalb gibt es jetzt eine mit neuem Cover und vier neuen Märchen.

Was passiert, wenn man in Märchen das Geschlecht der Figuren einfach vertauscht, hat Jonathan Plackett erst kürzlich mit einem Computer-Algorithmus ausprobiert, der aus Königen Königinnen macht und aus Söhnen Töchter. Seine ›Gender Swapped Fairy Tales‹, so das englische Original, verwandeln zwölf bekannte Märchen, dadurch, dass aus Mädchen Jungs und aus Männern Frauen werden.

Amüsant und verblüffend (und wunderbar illustrieret von seiner Ehefrau, der Künstlerin Karrie Fransman) und auf Deutsch unter dem Titel ›Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen‹ erschienen. Aber ein bisschen mehr literarischen Aufwand betreiben die Autorinnen und der Autor des lila Lachses dann doch.

Da gibt es den diplomatischen Spiegel, der der Königin erklärt, dass Liebe im Auge des Betrachters liegt. Hochzufrieden verzichtet die Dame daraufhin auf alles, was den Stein ins Rollen bringt und das Märchen vom Schneewittchen überhaupt erst möglich macht. Rapunzel ist ein junger Mann, an dessen Bart ein anderer junger Mann Zugang zum unzugänglichen Turm bekommt. Und warum es heutzutage so wenig Prinzessinnen gibt, erklärt der Prinzessinnen-Kodex schlüssig: Wer will schon ein Krönchen tragen, wenn sie nicht in der Nase bohren darf, keine Batman-Sticker in die entsprechenden Alben kleben darf und nicht Hip-Hop tanzen darf?

Mit minimalistischen Strichzeichnungen, die über die rund zweihundert Seiten verteilt sind, ist das etwas andere Märchenbuch eine Schatztruhe voller Kostbarkeiten, in denen man auf Aladin trifft, die sieben Geißlein, Rotkäppchen und den Wolf, die Erbse und viele andere bekannte Märchenfiguren und immer wieder neu überrascht wird. Und wer keine der alten Ausgaben hat, sollte zugreifen, eh auch diese wieder vergriffen ist.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Michael Roher und Elisabeth Steinkellner: Wer fürchtet sich vorm lila Lachs?
Ein Märchenbuch. Wien: Luftschacht Verlag
3. leicht erweiterte Auflage 2022
192 Seiten, 20 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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