/

Gehen, um sich selbst zu finden

Kulturbuch | Norbert Parucha: Meditatives Wandern

Wer beim Unterwegssein die ganze Konzentration auf das Erreichen des Zieles lenkt, geht möglicherweise sich selbst verloren. ›Meditatives Wandern‹ dagegen vermittelt das Wiedererlernen der Bewusstheit. Norbert Parucha hat dazu einen handlichen Wanderbegleiter mit anregenden Übungen, Texten und Impulsen verfasst. Von INGEBORG JAISER

Norbert Parucha: Meditatives WandernGehen. Wandern. Laufen. Pilgern. Wallfahren. Die neue Lust an der Bewegung in der Natur, am Zurücklegen von Wegstrecken zu Fuß, ist nicht nur ein modernes Phänomen, das sich an aktuellen Gesundheitstrends orientiert. Ist nicht der aufrechte Gang ein wichtiges Merkmal des Menschseins? Spiegelt nicht die alltägliche Begrüßungsformel »Wie geht’s?« die Frage nach der grundsätzlichen Befindlichkeit wider? Nicht umsonst konstatierte Gottfried Wilhelm Seume bereits 1802 in seinem ›Spaziergang nach Syrakus‹: »Es ginge vieles besser, wenn man mehr ginge.«

Unterwegssein ist das Ziel

Bewusstes Gehen ist ganzheitliche Bewegung – nicht der Zwang, irgendwo ankommen zu müssen. Seit 1997 begleitet Norbert Parucha Wander- und Studienreisegruppen und beobachtet zunehmend Unruhe, Hetze, Unkonzentriertheit unter den Teilnehmern. Seine eigene Unzufriedenheit steigt, bis er ein neues Konzept entwickelt, die tägliche Wegstrecke einfach auf die Hälfte reduziert und stattdessen Gespräche, meditative Texte und Achtsamkeitsübungen integriert. Als nicht mehr das zu erreichende Tagespensum und die eigene Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt stehen, wachsen prompt das Wohlbefinden und der Erholungseffekt. Das Meditative Wandern ist geboren! »Das Ziel ist nicht mehr wichtig, nur das Unterwegssein«.

Nun hat Norbert Parucha, der als Therapeut für Integrative Körperarbeit tätig ist und unter anderem den Meditationsweg durch die Ammergauer Alpen initiiert hat, einen Wanderführer der ganz besonderen Art geschrieben. Sein ›Meditatives Wandern‹ ist ein handliches Bändchen mit vielen anregenden Gedanken, Anleitungen und Impulsen – ein ermutigender Begleiter für alle, die etwas in ihrem Leben verändern wollen. Denn Wandern und Wandeln haben nicht nur zufällig denselben Wortstamm.

Barfuß gehen und Steinmännchen bauen

Im Gehen zur inneren Ruhe zu finden, kann durchaus heilsam sein. Die Vertrautheit mit der Natur und ihren Abläufen kann uns selbst helfen. Die 15 Übungen, die der Autor vorstellt, können einzeln oder in der Gruppe, zu verschiedenen Tageszeiten und in beliebiger Reihenfolge durchgeführt werden. Sie bauen nicht zwingend aufeinander auf. Sie laden ein, sich in der Natur auf einen spirituellen Weg zu begeben. Es muss kein Strand, eine Seenlandschaft oder ein Gebirge sein – der Wald hinter dem Haus oder ein großzügiger Park sind genauso schön.

Die von Norbert Parucha ausgearbeiteten und vorgestellten Übungen und Gedanken sind gut verständlich, einfach nachvollziehbar und rundum wohltuend, sei es eine »Herzmeditation«, die »Klärung der Gedanken« oder eine Anleitung zum »Steinmännchen bauen«. So kann Meditatives Wandern eine Möglichkeit sein, in der bewussten Bewegung sich selbst ein Stück näher zu kommen. Der 200g leichte Band mit feinem Softcover liegt angenehm in der Hand, passt in jeden Rucksack und ist der ideale Begleiter für jeden Spaziergang und jede Wanderung.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Norbert Parucha: Meditatives Wandern: Bewusste und achtsame Übungen in der Natur
Berlin: Allegria 2014
188 Seiten. 14,90 Euro

Reinschauen
| Integrative Körperarbeit – Homepage von Norbert Parucha

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein haariges Vergnügen

Nächster Artikel

Comics für lau

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Ein prägendes Strukturprinzip

Hendrik Buhl, Tatort. Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe TATORT ist und bleibt im Gespräch. Er prägt den Anfang oder, wem das besser gefällt, das Ende der Woche, jedenfalls den Sonntagabend, ist eine der letzten Familienbastionen auf unseren Flachbildschirmen, und es gibt seit Längerem die Tradition, sich in Cafés oder Bars zu versammeln, um den TATORT gemeinsam zu genießen. Mitunter ergattert man den letzten Platz in einem Café, in dem sich studentisches Publikum sammelt. Spießbürgertum bei der nachwachsenden Generation? Wer weiß das schon, die Welt ist bunt. Seit einiger Zeit gibt es sogar das eigenständige satirische Format Tatortreiniger. Von WOLF SENFF

Auf halber Strecke

Kulturbuch | Ulrich Raulff: Das letzte Jahrhundert der Pferde Schön, dass sich öffentliche Aufmerksamkeit auch anderen Geschöpfen zuwendet, in diesem Falle den Pferden. Und schön, dass die umfangreiche Darstellung Ulrich Raulffs so erfolgreich ist, die ›Geschichte einer Trennung‹ wurde innerhalb nur weniger Monate zum fünften Mal aufgelegt. Von WOLF SENFF

Lockdown im Paradies

Kulturbuch | David Hockney / Martin Gayford: Frühling wird es sicher wieder

Wieviel Trost und Hoffnung im Lauf der Jahreszeiten, im unaufhaltsamen Wandel der Natur verborgen liegt, können wir alle erfahren. ›Frühling wird es sicher wieder‹ verkündet zuversichtlich der Maler, Grafiker und Fotograf David Hockney mit seinen Bildern aus der Normandie und im angeregten Austausch mit seinem Freund, dem Kunstkritiker Martin Gayford. Von INGEBORG JAISER

Angenommen

Kulturbuch | Maya Deren: Der Tanz des Himmels mit der Erde. Die Götter des haitianischen Voodoo Wer mit ansieht, dass ein leckgeschlagenes ökonomisches System sich mit großer Beharrlichkeit über Wasser hält, findet aus dem Staunen gar nicht wieder heraus. Wie kann es angehen, dass Abgründe klaffen zwischen Manager-Gehältern und Hartz-IV-Sätzen? Wie kann es sein, dass die Luft, die wir atmen, systematisch vergiftet wird? Fragen, Fragen, Fragen und allüberall ein immenses Gegacker. Von WOLF SENFF

Das System der Kunst

Kulturbuch | Stefan Heidenreich: Was verspricht die Kunst

Kunstgeschichte als Institutionengeschichte. Heidenreichs populäre Diskursanalyse des Kunstsystems führt Künstler in das System ein, das sie erwartet und zeigt, wie es wurde, was es ist. Von BJÖRN VEDDER