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Man möchte vernünftige Arbeit fürs Geld

TITEL-Thema | Brasilien 2014

›Die Jungs‹ sind eingeschnappt. Es entsteht eh der Eindruck, dass sich die Reifeprozesse generell verzögern, oder, anders, die langjährige und intensive Teilhabe an Spaßgesellschaft trägt dazu bei, dass fröhliche, unbeschwerte Kindlichkeit länger als üblich ihr Unwesen treibt. Man fühlt sich gut so infantil, man zickt herum, das kompliziert die Dinge. Von WOLF SENFF

Brasilienlogo_linse»Der Schwarzwälder Sturkopf«, kommentiert im FAZ-Forum am 2.07. ein Leser, der sich ebenfalls als Schwarzwälder Sturkopf outet, werde »seinen falschen Weg bis zum bitteren Ende gehen«, und man erinnert sich an das versenkte Halbfinale aus der EM 2012 gegen Italien mit »Löws Personalentscheidungen: einmal richtig, zweimal falsch« (Spielverlagerung, 29.06.12).
 
Ein klinisch reines Ambiente

Die ›WELT‹ schrieb seinerzeit am 29. Juni über »die taktischen Fehler des unantastbaren Joachim Löw. Das deutsche Nationalteam galt als fast unbesiegbar. Das EM-Aus gegen die Azzurri war allerdings auch hausgemacht«. Es brauchte Wochen, bevor der stets so verkniffen auftretende »Jogi« sich in der Lage sah, seinen Fehler zuzugeben. Man darf neugierig sein, wie er nun am Freitag die Mannschaft gegen Frankreich auftreten lässt. Lahm doch als rechter Außenverteidiger, wie es ihm die Experten nahelegen?
 
Es ist psycho, daran führt kein Weg vorbei in dieser Welt unserer Balltreter-Millionarios. Während dieser WM in Brasilien sind sie wieder in strenger Klausur untergebracht, wie 2010 in Südafrika wählte der DFB die totale Abgeschiedenheit und ließ für die Spieler eine klinisch reine und weitgehend reizfreie Umgebung schaffen.
 
Lagerkoller lauert schon

»Was woll’n se jetzt so kurz nach dem Spiel von mir?«, blaffte Per Mertesacker am Montag den ZDF-Reporter an, der ihn im Anschluss an das quälende Deutschland-Algerien-Match interviewte. Vorbildfunktion, was ist das? Wenn’s dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen.
 
Da werden uns Kontrollverluste nebst Wagenburgmentalität vorgeführt, diese Extreme arrangierten sich noch stets miteinander, das ist wenig angenehm anzuschauen. Die »Jungs« treten auf wie eine Horde ungezügelter Sextaner in einer Luxusherberge, Geld verdirbt den Charakter, der Lagerkoller lauert im Gebälk.
 
Der Landeanflug auf HSV-Niveau

Bastian Schweinsteiger hat das Reden überhaupt eingestellt, und man hört, der hochsensible Mesut Özil wechsle kein Wort mit Journalisten, sondern ziehe sich in seine Parallelwelt der ›Social Media‹ zurück, wo ihn seine Millionen ›Freunde‹ und ›Follower‹ bauchpinseln. Öffentlichkeit buchstabiert sich anders.
 
Waghalsige Ausflüge eines Torhüters tief ins Spielfeld fügen sich nahtlos in dieses abstruse Szenario, und man darf fragen, wie unorganisiert eine Abwehr sein muss, dass es zu diesen überaus riskanten Einzelaktionen eines Torhüters kommt. Nein, normal ist das keineswegs, da befindet sich eine Nationalelf im Anflug auf HSV-Niveau. Peinlichkeiten werden unübersehbar, wo man doch nur ehrliche, vernünftige Arbeit erwartet hätte.
 
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