Jugendbuch | Erin Jade Lange: Butter
Extremes Schwanken in Liebe und Leiden, extrem in der Figurenzeichnung und der Beschreibung der Lebensbedingungen. Dazu noch die Extreme des Internets – weniger durfte es nicht sein für Erin Jade Langes Debütroman Butter. Herausgekommen ist eine moderne Groteske, ein Roman über ein Ungeheuer, das keines sein will. Und die Folgen. Von MAGALI HEISSLER
Butter, so der Spitzname, ist sechzehn und wiegt zweihundert Kilo. Er braucht Spezialmöbel, sonst brechen sie unter ihm zusammen, in der Mensa etwa, wo er auf einer verstärkten Bank an einem Tisch sitzt. Allein. Aber neben ihm hätte sowieso kein anderer Platz, meint Butter. Er hat sich angewöhnt, die Lage mit Sarkasmus zu betrachten. Nicht, dass ihm das weiterhelfen würde. Weit kommt er ohnehin nicht, er fährt jede noch so kurze Strecke mit seinem BMW. – Wir sind in der Welt der Reichen der USA – und er benutzt den Behindertenparkplatz vor der Schule, weil er den Weg zum Klassenzimmer ohnehin nur im Schneckentempo und unter Atemnot schafft.
Die Ferien verbringt er in Camps für übermäßig dicke Kinder und Jugendliche. Dort nimmt er immer ein bisschen ab. Vor allem aber lernt er dort Tucker kennen, einen Leidensgenossen und bald Freund. Sie lästern gemeinsam über die ›Gerippe‹ und ›Barbies‹ und stopfen sich dabei mit Essen voll. Tucker ist wichtig für Butter, andere Freunde hat er nämlich nicht.
Butters Eltern sind dem Problem Butter nicht gewachsen, Butter aber auch nicht dem Problem Eltern. Er verdrängt es mit sinkendem Erfolg. Dabei möchte er nur seine Ruhe, um sich seinen zwei Leidenschaften zu widmen. Die eine ist sein Saxophon, die zweite ein tiefes Geheimnis. Im Internet, in einem Forum ohne Fotos, hat er seine große Liebe kennengelernt, Anna. Die allerdings drängt auf ein Treffen. Keine einfache Angelegenheit, wenn man im Internet ein toller Hecht ist, im wahren Leben aber zweihundert Kilo wiegt.
Ein schweres Leben
Butters Leben ist schwer, im Wortsinn. Er trägt schwer an sich selbst. Wie zu seinem gewaltigen Gewicht kam, wird nur angedeutet. Sein Vater spricht seit Jahren kein Wort mit ihm, seine Mutter nennt ihn immer noch »Baby«. Er selbst hat aufgegeben, seine Fettmassen sind Folge seiner Gene und Punkt. Butter frisst, wenn er unglücklich ist, frustriert, erfolglos, wenn er gemobbt wird.
Es gibt immer wieder Schlaglichter auf die Ernährungsgewohnheiten nicht nur Butters. Die Leserin findet sich in einer Gesellschaft, die zwischen Diätwahn, Gesundheitswahn und Fresswahn hin– und herpendelt.
Die Beziehungen der Menschen untereinander sind brüchig, stark von Äußerlichkeiten bestimmt. Butter sucht Ehrlichkeit, Annas Credo ist es, wahr und ehrlich mit anderen umzugehen und auch so behandelt zu werden. Hier ist ein neuer Konflikt programmiert.
Mit Butter – seinen richtigen Namen erfahren wir erst im vorletzten Satz des Buchs – hat Lange einen typischen Teenager des Genres geschaffen, voller Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, nicht fähig, reifer zu werden und resignierend, weil alles gegen ihn zu sprechen scheint. Butter will in seinem Kokon bleiben, wer ihn aufstört, den wehrt er mit flotten Sprüchen ab. Seine Fettschicht ist Schutzschicht und zugleich das, was ihm die meisten Verletzungen einbringt.
Extreme Maßnahme
Wie Butter zu seinem Spitznamen kam, die Umgangsweise seiner Mitschüler und seine Liebessehnsucht, selbst die Zeichnung von Anna wären handelsübliche Ware, hätte die Autorin sich nicht eine extreme Maßnahme für Butter ausgedacht. Als er sich von allen enttäuscht sieht und selbst Tucker bereit ist, mittels ärztlicher Diät endgültig zu den ›Gerippen‹ überzulaufen, beschließt Butter, dass es Zeit für ihn ist, von der Welt Abschied zu nehmen.
Passend zu seiner Einstellung will er sich in der Silvesternacht im Internet vor der Kamera zu Tode essen. Und schon hat er eine Website eingerichtet, auf der er das verkündet. Da Langes Butter ein sehr intelligentes Kerlchen ist, läuft sein Vorhaben bald auf Erfolgskurs. Die Autorin gibt grausige Details, die gezielt schockieren und an den Negativa des Plans keine Zweifel aufkommen lassen.
Die Beschreibung ist bezwingend, wie es Langes Darstellung überhaupt ist. Sie lässt kaum ein Klischee des üblichen Teenagerromans aus, zuweilen zieht sich die Geschichte daher auch in die Länge. Insgesamt gelingt es ihr aber trotzdem, dem Ganzen etwas Frisches abzugewinnen, was dazu führt, dass man nicht nur Butter sehr ernst nimmt beim Lesen, sondern auch einige Fragen, die sie, wenn auch etwas lauwarm, aufwirft.
Etwa, die Probleme einer Mutter, die nicht verstehen will, dass ihr Baby erwachsen wird, überhaupt die Anrede »Baby«, die Enttäuschung von Vätern, wenn der Sohn nicht die Hobbys liebt, die Papa mag. Die Verfügbarkeit von Fast Food rund um die Uhr, die seltsamen Männlichkeitsritual Jugendlicher. Die Frage, was Verrat ist und was nicht. Die Gefahr, die entsteht, wenn sich ein dummer Plan verselbstständigt. Die Gefahr, in die man sich begibt, wenn man solche Sehnsucht danach hat, geliebt zu werden, dass man alles hinnimmt, selbst die Vorfreude anderer am geplanten eigenhändigen Tod. Das hebt diese Geschichte ein wenig heraus.
Warum im Buch vorne der Hinweis steht, den Spitznamen englisch auszusprechen, ist nicht recht verständlich. Die Geschichte wirkt auch, wenn man bei der deutschen Aussprache bleibt.
Titelangaben
Erin Jade Lange: Butter
(2012 Butter, 2012) Übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn
Hamburg: Rowohlt Rotfuchs 2014
333 Seiten. 8,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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