Jugendbuch | Kristina Dunker: Ins Blaue hinein
Draußen ist es eisig, mancherorts liegt sogar Schnee. Trotzdem kann man von anderen Jahreszeiten träumen. Warum nicht schon vom Sommer? Hitze, Ferien, ein See zum Baden, neue Freunde und dazu ein bisschen Aufregung. Klingt gut? Kristina Dunker macht es möglich. Von MAGALI HEISSLER
Merle träumt nicht, dazu ist ihre aktuelle Lage viel zu realistisch. Mama erwartet ein Baby, die Eltern haben sogar ein Haus gebaut für die vergrößerte Familie. Ob Merle das passt, hat niemand gefragt. Nun wird sie für die Ferienwochen auch noch zu Opa und Oma verfrachtet. Dabei sind die beiden nur Stiefgroßeltern, Mamas jetziger Mann und der Vater des Babys ist nicht Merles Vater. Er hat sie das nie fühlen lassen und sie mag ihn auch, aber jetzt, wo alles neu wird, scheint das Bisherige nicht mehr so sicher. Von der Zukunft am besten gar nicht anzufangen.
Ein Abenteuer auf einem Rastplatz bringt ihr den Spitznamen »kleines Raubtier« ein sowie ein Gummiboot in Krokodilform. Das wiederum bringt, kaum bei den Großeltern angelangt, Felix an Merles Seite. Manches neue Leben hat schon weniger seltsam angefangen. Felix bleibt nicht der einzige neue Bekannte und ein Bekannter bleibt er auch nicht. Auf einmal hat Merle eine Menge mehr zu jonglieren als ihre widersprüchlichen Gefühle für das kommende Geschwisterkind und das neue Haus. Was für ein Glück, dass sie so gern und gut schwimmt.
Im Wasser
Der nahe gelegene Badesee, an dessen Ufer auch das Holzhäuschen der Großeltern steht, ist das Bild, das Dunker für den inneren Zustand ihrer kleinen Heldin nutzt, weidlich. Da der Begriff See genug Raum für Symbolik, Parallelen und Vergleiche in ziemlich jede Richtung bietet, kann sie aus einem reichen Fundus schöpfen. Das Seewasser ist dementsprechend trüb, der Grund tief, die Ränder bewachsen, die Wasseroberfläche nur trügerisch glatt und frei. Gefahr taucht unvermutet auf, Unberechenbares, Unabwägbares, dem man sich immer wieder neu stellen muss. Lehren fürs Leben also sind es, die hier präsentiert werden.
Beschrieben wird das alles geradlinig, der Realität und dem Alltag verpflichtet. Fabelhaftes gibt es jedoch auch, Opa ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Mit ihm wird abends auf der Veranda aus dem See ein abenteuerliches Märchenreich, dessen König, ein uralter Wels, bald Fabeltier und Maskottchen nicht nur für Merle und Felix, sondern auch für ihren wachsenden Kreis ungefähr gleichaltriger Bekannter wird.
Figuren gibt es viele, die Leserin kann in verschiedene Rollen schlüpfen. Die der Protagonistin, verunsichert, irgendwo zwischen Kindsein und Teenager werden, eines weiteren Mädchens, das schon erwachsener agiert, aber auch ernstere Probleme hat als Merle oder die der Jungen, bei denen vom Romantiker über den Schelm bis zum abenteuernden Draufgänger einiges Interessantes vertreten ist. Man kann sich jedoch auch zurücklehnen und einige Buchseiten lang Enkelin der liebevollsten, verständnisvollsten und rundum reizenden Großeltern sein, die die Welt je gesehen hat.
Oberflächengekräusel
Dass das Ganze bei so viel Aufwand an Thema, Motivik, sprachlich schönen Naturbeschreibungen und reizvollen Figuren doch kein eindrucksvolles Jugendbuch wird, liegt daran, dass die Autorin den Leserinnen nichts zumuten möchte. Teenager werden bringt Veränderungen, aber nichts davon ist ernsthaft und die Folgen sind auf jeden Fall gut. Manche Menschen sind zwar hin und wieder nicht ganz nett, aber letztlich haben alle gute Manieren und wenn nicht, darf man sie ein wenig an der Nase herumführen, zum guten Ende, versteht sich. Wer etwas Gutes tun will, denen gelingt es auch. Es ist eben Sommer, die Sonne scheint und wegen eines Gewitters geht die Welt nicht unter. Was sich kräuselt, ist gerade mal die Wasseroberfläche. Bloß keinen Stress.
Schmerzen fühlt der Wels, seelisch wie körperlich. Allerdings ist er vornehmlich im Märchenreich angesiedelt. Aus solcher Distanz lässt sich gut mitleiden. Familienkonflikte werden sehr zart angedeutet, sie lösen sich oder verschwinden aus dem Bild. Ernst genommen werden sie nicht. Jemand könnte erschrecken.
Liest man das Buch als netten Sommerroman, mit lustigen Streichen, viel Familie, erster Liebe und ein bisschen Zanken, wird man durchaus glücklich. Schön ausgestattet ist es ohnehin, mit dem vielversprechenden Cover und seiner schönen Farbwahl, der Innenausstattung vom pinkfarbenen Vorsatz bis zu den Seerosen, die zur Gliederung herbeischwimmen sowie dieser raffinierten Weiterentwicklung der Klappbroschur, die ermöglicht, dass man das Buch, in ein Päckchen verwandelt, problemlos mitnehmen kann, oder als Buchzeichen dient. Auch dabei kann nichts schiefgehen.
Auf zum Träumen vom schwerelosen Sommer, also.
Titelangaben
Kristina Dunker: Ins Blaue hinein
Münster: Coppenrath 2017
242 Seiten. 12,99 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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