Kinderbuch | Jon Klassen: Wir haben einen Hut
Hüte haben es dem kanadisch-amerikanischen Illustrator und Schriftsteller Jon Klassen angetan. »Wo ist mein Hut?«, fragte der Bär 2012, »Das ist nicht mein Hut!«, heißt es in dem Unterwasserstreit 2013 und jetzt – geht es wieder um einen Hut. ANDREA WANNER freut sich.
Wieder ein Hut. Schlicht, in einem hellen Beigeton mit einem dunklen Band, liegt er mitten in der Wüste. Zwei Schildkröten entdecken ihn in dieser unwirtlichen Gegend, in der es sonst nicht viel gibt. Er gefällt beiden. Sie probieren ihn beide auf und er steht beiden gut (sie unterscheiden sich auch nicht besonders voneinander, lediglich durch die Musterung ihres Panzers kann man sie auseinanderhalten). Aber es ist eben nur ein Hut. Wenn die eine ihn nimmt, geht die andere leer aus. Was also tun?
Ihr Entschluss scheint weise. Die lassen das begehrte Objekt einfach da liegen, wo sie es gefunden haben. Wenn keine es hat, kann es auch keinen Neid, keinen Streit, keinen Ärger geben. Aber können sie sich tatsächlich aufeinander verlassen? Wird nicht eine von beiden schwach werden und einen günstigen Moment – zum Beispiel wenn die andere schläft – nutzen und sich die Kopfbedeckung beschaffen? Da heißt es auf der Hut sein. Vor allem nach Sonnenuntergang.
Minimalismus ist die Devise von Klassen. Nichts ist überflüssig, jedes kleinste Detail hat seine Funktion. Er arbeitet vor allem mit Halbkreisen. Vier Beine an einen Halbkreis, eine Form, die fast einem Halbkreis entspricht an eine Seite montiert, fertig ist die Schildkröte, die nur noch mit zwei großen Augen ausgestattet werden muss. Der Hut ist ebenfalls aus einem Halbkreis konstruiert, der auf einem Rechteck aufliegt, das wiederum auf einer ovalen Scheibe steht. Und so ein Hut hat sehr viel Ähnlichkeit mit einem Kaktus, die es zur Genüge gibt. Nur fehlen dem Hut die spitzen Stacheln. Auch die Sonne verändert sich vom Kreis zum Halbkreis. Und verschwindet dann ganz. Farbe braucht Klassen auch fast keine. Monochrome Beige- und Rosatöne, die mit untergehender Sonne dunkler werden, mit zarten Schattierungen im Farbton füllen die Seiten. Der knappe Text in unterschiedlicher Größe steht auf weißem Grund. Da dominiert das »wir«. Aber es ist nicht immer einfach, »wir« zu denken, wenn auch das »ich« Wünsche und Bedürfnisse hat.
Die sparsame Szenerie wird im Nachtdunkel, nur beleuchtet von den Sternen, fast zum Krimi. Ein Drama in drei Akten. Erster Teil. Den Hut finden. Zweiter Teil. Den Sonnenuntergang betrachten. Dritter Teil. Schlafen gehen. Nicht nur die Sterne am Himmel leuchten, auch der Hut scheint zu leuchten. Und die Schildkrötenaugen, wenn die eine schaut, was die andere tut. Was wird daraus? Erneut ein Streit um einen Hut?
Klassen arbeitet mit dem Bild der Symmetrie. Am Anfang, schon auf dem Cover gibt es die. Recht eine Schildkröte, links eine Schildkröte, in der Mitte der Hut. Dieses Gleichgewicht gerät aus der Balance, sobald eine von beiden im Besitz des Hutes ist. Und jede muss zugeben, dass der Hut der anderen wirklich gut steht. Was wäre die Lösung? Schildkröten werden in vielen Mythen und Fabeln als sehr kluge Tiere dargestellt. Ob sie einen Ausweg finden?
Gar kein alter Hut ist Klassens neuestes Bilderbuch, meisterhaft, witzig und klug.
Titelangaben
Jon Klassen: Wir haben einen Hut
(We found a hat, 2016) Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bodmer
Zürich: Nord Süd 2017
56 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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