Hanna kommt neu in die Klasse – vielleicht die Chance auf eine Freundin, denkt sich Josefin. Aber schnell merkt sie, dass es da jede Menge Probleme gibt. Von ANDREA WANNER.
Die stille Josefin sieht Hanna an diesem Morgen nicht erst im Klassenzimmer, sondern beregnet dem merkwürdigen Mädchen bereits auf dem Schulweg. Es regnet und alle Menschen sind darauf bedacht, sich irgendwie vor diesem Regen zu schützen. Alle bis auf ein merkwürdiges Mädchen, die sich komplett dem Nass aussetzt, die sich im Regen zu verstecken scheint und sich »im nassen Bürgersteig spiegelt wie eine traurige alte Königin«.
Susan Krellers Jugendbücher – darunter ›Elefanten sieht man nicht‹ und ›Elektrische Fische‹ – wurden bereits vier Mal für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, 2015 hat sie ihn für ›Schneeriese‹ gewonnen. Ihr Stil ist ebenso poetisch wie kompromisslos und in ihrem neuen Roman treibt sie das auf die Spitze.
Hanna besteht nur aus Abwehr. Sie redet quasi nicht, zieht sich in sich zurück, verschwindet einfach, den Kopf auf ein Buch über gotische Kirchen gelegt, das sie immer mit sich herumträgt. Josefin ist ratlos. Sie, die ewige Außenseiterin, beobachtet die Neue – und wird von ihr beobachtet. Hanna ist es, die Josefin den lang ersehnten ersten Spitznamen verpasst: »Josef«. Und Josef ist glücklich.
Ihre Annäherung ist zögernd, merkwürdig wortlos und trotzdem besteht schon bald eine seltsame Bindung zwischen ihnen. Es ist Josefins Mutter, die eine wilde Geschichte zusammenreimt über ein Zeugenschutzprogramm, in dem Hanna und ihre Eltern gelandet sind, das ihnen ihre alte Identität genommen hat. Irgendetwas daran scheint wahr zu sein, denn längst hat Josefin gemerkt, wie wenig Hanna auf ihren Namen reagiert. Eben so, als sei es nicht ihr Name. Andererseits neigt Josefins Mutter mit ihrem amateurhaften detektivischen Spürsinn zu solchen Sensationsgeschichten. Vielleicht ist ja auch alles ganz anders.
Auf knapp 200 Seiten erzählt Kreller von einer ungewöhnlichen Freundschaft, die aus so viel weniger und zugleich so viel mehr besteht, als das normale Freundschaften tun. Dabei geschieht die Annäherung an die Figuren auf eine behutsame Art, entsteht ein Bild nur über die Wahrnehmung der anderen. Das macht das Lesen anfangs vielleicht ein bisschen anstrengend, da nicht wirklich viel geschieht. Das Wenige ist dafür mit einem Blick für kleinste Details beschrieben, ausdrucksstark und verblüffend anders. Wie nah sich Hanna und Josefin fast unbemerkt gekommen sind, merkt man dann dem, was Hanna Josefin über ihr Verhalten anderen gegenüber sagt. Und an den Weihnachtsgeschenken, die Josefin Hanna macht.
Beste Freundinnen jenseits allen Kitschs, aller Beteuerungen, aller Bekenntnisse und durchquatschten Nächte. Beste Freundinnen durch Nähe und gemeinsames Schweigen. Schöner wurde das nie erzählt.
Titelangaben
Susan Kreller: Hannas Regen
Hamburg: Carlsen 2022
192 Seiten, 15 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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