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Beklemmend, unwiderstehlich

Film | TV: TATORT – Vielleicht (RBB), 16. November

Kommissar Stark (Boris Aljinovic) legt in seinem letzten ›TATORT‹ gut auf. Eine Frau träumt von Dingen, die sich später tatsächlich ereignen werden; ein tragfähiger und origineller Ansatz, der uns glaubhaft ins Bild gesetzt wird. Klar, dass der Mord aus den ersten Träumen sich nicht verhindern lässt und real wird, er muss nun aufgeklärt werden, und weitere kündigen sich an, Trude Bruun Thorvaldsen hat erneut geträumt. »Ich träume oft Dinge, die dann passieren«. Von WOLF SENFF

Tatort - VielleichtFoto: rbb/Frédéric Batier
Tatort – Vielleicht
Foto: rbb/Frédéric Batier
Lise Risom Olsen, die Darstellerin dieser Frau, ist eine erfahrene Künstlerin, sie studierte in Bergen und New York, sie arbeitet in der Tanz-/Performancegruppe Baktruppen mit internationalen Auftritten u. a. auf Kampnagel in Hamburg. Sie hält sich zurzeit in Berlin auf, auch um ihre Deutschkenntnis zu vertiefen, in ›Vielleicht‹ spielt sie zum ersten Mal im deutschen TV.

Sophokles ist ein ehrenwerter Vergleich

Die persönliche Problematik von Trude Bruun Thorvaldsen ist das gewichtige Thema in ›Vielleicht‹. Die Frau ist verzweifelt, sie leidet schrecklich unter dieser besonderen Fähigkeit, um die man sie auf den ersten Blick beneiden möchte. Sie kannte das erste Opfer, sie brachte den Mut auf, bei der Polizei auszusagen, um den nach ihrer Überzeugung bevorstehenden Mord zu verhindern, und warnte auch den Freund, als sie den beiden in der Mensa begegnete.

»Zu wissen, dass etwas Furchtbares passieren wird, und nichts tun zu können, das ist doch schrecklich«. TV breitet eine Tragik aus, wie sie vor zweieinhalb Jahrtausenden Sophokles in Szene setzte, dessen Held sich in Schuld verstrickte, ohne dass dieser beizeiten davon etwas geahnt hätte, und vor allem, ohne dass er etwas daran hätte ändern können.

Die träumende Frau Thorvaldsen

Sophokles ist eine ehrenwerte Parallele, man wird daran erinnert, dass es ein Leben gibt jenseits von ›Wetten dass… ‹ und ›DSDS‹. Bruun Thorvaldsen fühlt sich schuldig, das ändert jedoch auch in diesem Fall nichts am Ablauf des Geschehens.

Die Ereignisse sind nicht alarmistisch aufbereitet, und auch am Freund des Opfers zeigt sich, dass ein emotional kontrolliertes Auftreten einer Figur höchst ausdrucksstark ausfallen kann. Und es ist tatsächlich unheimlich, Trude dabei zu beobachten, wie sie aus einem Traum aufschreckt und Details in ihr Traumtagebuch einträgt. Als sie aus scheinbar unerfindlichen Gründen plötzlich gar nichts mehr mit der Polizei zu tun haben will, breitet sich die unheimliche Atmosphäre sogar in der Dienststelle aus, Starks schwangerer Assistentin graut vor dieser Frau.

Vom Sinn des Titels

›Vielleicht‹ ist ein sehenswerter Film, der behutsam, aber unnachgiebig eskaliert in einer Situation, die paradox erscheint und letztlich von dem beklemmenden, unwiderstehlichen Auftreten der träumenden Frau Thorvaldsen energisch zusammengehalten wird.

Der Mörder ist nach sechzig Minuten gefasst, aber die Träume gehen weiter, im letzten Drittel – zu suchen ist nach dem prospektiven Tatort, einer Pizzeria mit Tintenfischmotiv unter einem angedeuteten Torbogen – steht Felix Stark im Mittelpunkt des Geschehens, und zu guter Letzt verrät man uns den Sinn des Titels.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Vielleicht (Radio Berlin Brandenburg)
Ermittler: Boris Aljinovic
Regie: Klaus Krämer
Sonntag, 16. November, 20:15 Uhr (ARD)

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