Freud vs. Ripper

Film | Neu auf BluRay: Hände voller Blut (Anolis)

Jason vs. Freddy; Alien vs. Predator; Batman vs. Superman! Viele Zuschauer lieben Filme mit schrägen Paarungen – und die unüberschaubaren Konsequenzen, die oft aus solchen Begegnungen entstehen. Was passiert nun, wenn die Mordserie Jack the Rippers und die Ideen des Psychologen Sigmund Freud kollidieren? Die Auswirkungen schildert der Zelluloidklassiker ›Hände voller Blut‹ (Hands of the Ripper, 1971) des legendären Hammer-Filmstudios auf indirekte Art. ANNIKA RISSE auf einer Zeitreise in die Blütezeit des Hammer-Horrors
 
Layout 1»When I was growing up«, so Steve Chiball, Professor und Direktor des De Montfort University’s Cinema And Television History Research Center in Leicester (CATH), »›Hammer› and ›horror‹ were virtually synonymous, and seeing one of their films was a rite of passage into adulthood« Somit steht jede ›Hammer‹-Produktion in einer großen Tradition des Horrorfilm-Genres. Und deswegen lässt sich stellenweise nachvollziehen, weshalb ›Hände voller Blut‹ im Hammerrepertoire eine Nebenrolle spielte.
 
Schon zu Beginn des Filmes werden Motive und Ablauf der Story festgelegt. Ein Mann wird durch das (bzw. die schönen Filmkulissen der 1960er des) vermeintliche(n) London(s) des Jahres 1888 gejagt. Schnell wird klar, dass es sich hier um ›Jack the Ripper‹ handelt. Nachdem er in ein Haus flüchtet, ermordet er seine Geliebte – im flackernden Licht des Feuers, vor den Augen des gemeinsamen Kindes. Um das kleine Mädchen zu beruhigen, gibt er ihr einen Kuss auf die Wange, verschwindet – und ward nie wieder gesehen.

Neue Perspektiven auf einen alten Mythos

Der Mythos ›Jack the Ripper‹ einmal anders: Nicht seine Person ist von da an Thema des Films, sondern seine »unschuldige« mittlerweile herangewachsene Tochter Anna steht im Mittelpunkt des Interesses. Wir befinden uns im London um die Jahrhundertwende, Anna lebt, seit dem schrecklichen Ereignis, das mittlerweile 12 Jahre zurückliegt, bei einer Tante. Nachdem sie diese in einem tranceähnlichen Zustand tötet, kommt sie in die Obhut des Freud-Schülers Dr. John Pritchard. Dieser stellt fest, dass Anna einem inneren Zwang zu folgen scheint: Sobald sie etwas Glänzendes oder Flackerndes erblickt, überkommt sie der Drang, zu morden. Und als ob das nicht schon genug wäre, passiert dieses ebenfalls, wenn sie geküsst wird. Dabei verwandelt sich jeder Gegenstand in ihren Händen augenblicklich zur potenziellen Mordwaffe. Ein Wunder, das dies augenscheinlich in den zurückliegenden Jahren niemals passierte!
 
Während sich im Film eine Mordszene an die andere reiht, hervorzuheben sind die für diese Zeit untypische Kreativität und Brutalität der jeweiligen Morde, wird durch die psychologische Herangehensweise des Doktors versucht, eine erzählerische Metaebene zu erreichen: Der Psychologe will seine Patientin behandeln und sie nicht der Justiz überlassen, was in diesem Fall die Todesstrafe nach sich ziehen würde. Er möchte verstehen, weshalb ein Mensch zu Morden beginnt, dem Auslöser auf den Grund gehen und diesen therapieren. Mit »freudschen Methoden« versucht, er Anna zu heilen, die sich, als ihr die Morde bewusst werden, das Leben nehmen will. ** VORSICHT: SPOILER** Doch die Mordserie reißt nicht ab, bis zum Showdown – in dessen Verlauf Anna und ihr Therapeut gemeinsam sterben.

Wie wird ein Mensch zu einem Mörder? Und wie reagiert die Gesellschaft?

Auch wenn der Gedanke einiges an Potenzial birgt, erscheint die Umsetzung ein wenig hastig. Die Gedanken werden plakativ vorangestellt, eine visuelle und dramaturgische Ausformulierung war für die Macher des Filmes anscheinend uninteressant. Schade! Wenn man bedenkt, dass es sich hier theoretisch um eine liebevoll gemachte Perle der Hammerstudios handeln könnte.

Sobald man sich von der eigentlichen Geschichte löst, entdeckt man einen Film, der mehr kann. Entsprechend der Wirkungsweisen des Horrorfilms nach Reclam ist das »Gruselkino« besonders zeitabhängig. Effekte und Situationen verblassen schnell. Trotz eines hohen Maßes an individueller Wahrnehmung von Spannung und Ekel lässt sich nachvollziehen, dass beispielsweise der Duschmord in ›Psycho‹ heute sicherlich nicht mehr so schockierend ist, wie er seinerzeit wirkte. ›Hände voller Blut‹ hingegen kann visuell heute noch immer punkten. Auch wenn selbstverständlich die Darstellung recht realitätsfern ist, sind die Ideen umso beeindruckender. Als Beispiele dienen die Inszenierung des Hausmädchens in einer Badewanne voller Blut, dem mit einer Spiegelscherbe der Hals aufgeschnitten wird, während die Kamera schamlos auf dieser Szene verweilt – sowie die Darstellung von fünf Nadeln, welche Anna durch die schützende Hand ins Auge einer Frau rammt (dieses Motiv ziert ebenfalls eines der Titelcover des beigelegten Mediabooks).
 
Die Neuauflage des Films als Blu-Ray hat an Extras nicht gespart! Neben drei zeitgenössischen TV-Spots sowie dem britischen und dem amerikanischen Trailer, erhalten wir eine rund 30minütige Dokumentation (›The Devils bloody Playground‹), ein Interview mit Regisseur Peter Sasdy, Werberatschläge, Presseheft, PR-Sheet, TV-Replacement und eine Bildergalerie.
Wem noch mehr Informationen rund um die Hammerstudios und ›Hände voller Blut‹ haben möchte, der kann sich den Film mit Audiokommentaren anschauen: Die Blu-Ray stellt zwei Tonspuren mit Dr. Rolf Giesen und Ivo Scheloske (deutsch) sowie mit Angharad Reese, Stephen Jones und Kim Newman (englisch/optionaler dt. Untertitel) zur Verfügung.
 
Naturgemäß dürfte dieser Film demjenigen, der Horrorfilme nicht besonders schätzt, kaum munden. Wer sich jedoch zu den horroraffinen Filmfreunden zählt, macht mit dem Kauf von ›Hände voller Blut‹ nichts falsch. Wie erhalten ein prall gefülltes und sauber abgerundetes Filmpaket in guter Bildqualität mit zeitgenössischen, aber wenig verbrauchten visuell-ästhetischen Horrorideen.

| ANNIKA RISSE 

Titelangaben
›Hände voller Blut‹
(Hands of the Ripper, UK, 1971)
Anolis Entertainment GmbH

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zuviel des Guten

Nächster Artikel

Anstoß für Europa

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Vier Folgen à neunzig Minuten

Film | Serie | Im TV: Das Verschwinden am 22., 29., 30., 31. (ARD) Der Schluss kommt hammerhart. War das ein Krimi? Schon, gewiss, ja, doch das interessiert weniger. Und nein, eine Schusswaffe taucht nirgendwo auf. Eine vierteilige Serie, jeder Teil hype-mäßig als Doppelfolge angekündigt, also voll das Gewese. Und? Lohnt sich’s? Ja, das würde WOLF SENFF so sagen, doch, unbedingt.

Liebe ist Rebellion

Film | Neu im Kino: Das Pubertier »Ich werde meine Tochter in die Welt der Dichter und Philosophen einführen, … mit ihr Klavierkonzerte und Vernissagen besuchen!« Der Journalist Hannes Wenger ist total begeistert von seiner kleinen Tochter und hat große Pläne mit ihr – bis zu dem Tag, an dem sich alles ändert: Ihrem 14. Geburtstag. Nunֺ steht der liebende Papa vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, dem rebellischen Pubertier ein gerechter Vater zu sein. »Wie konnte das denn bloß über Nacht passieren?«, fragt sich nicht nur ANNA NOAH

Die Mitschuld tragen alle

Film │Im Kino: ›Spotlight‹ Gradlinig und doch verworren, weder Helden noch greifbare Feindbilder, aufwühlend und zugleich distanziert: ›Spotlight‹ ist ein Film, der nicht gesehen werden möchte. Aber der gesehen werden muss. Weil das Drehbuch auf wahren und immer noch aktuellen Begebenheiten beruht und weil Tom McCarthy diese Ereignisse brillant aneinanderreiht. Von der Academy of Motion Picture Arts und Sciences wurde der Mut, eine Geschichte zu verfilmen, die nicht das große Geld an den Kinokassen verspricht, aber in den gesellschaftlichen Diskursen der Kirche, des Journalismus und der individuellen Verantwortung notwendig erscheint, mit dem Academy Award, dem Oscar, ausgezeichnet. Zu Recht findet

Freiräume der Sehnsucht

Film | Roberto Andò: Viva la libertà 2013 war ein großes Jahr für den italienischen Film und für Toni Servillo. Der Neapolitaner, der für seine nonchalant-laszive Verkörperung des kultivierten Partylöwens und Nostalgikers Jep Gambardella in Paolo Sorrentinos ›La grande bellezza – Die große Schönheit‹ völlig zu Recht den Europäischen Filmpreis als Bester Darsteller absahnte, ist seit Ende Februar zurück in den deutschen Kinos: Diesmal in einer unwiderstehlichen Doppelrolle. Von ALBERT EIBL

Brecht und der Film

FilmFritz Lang/Bertolt Brecht: Auch Henker sterben Der Titel dieses Films ist auch vielen bekannt, die ihn nie gesehen haben: Hangmen Also Die – auf Deutsch: Auch Henker sterben. Das kommt: Autor der Story ist kein Geringerer als Bertolt Brecht. Offiziell steht der Name des amerikanischen Mitarbeiters John Wexley für das Drehbuch im Vorspann. Auch Brechts Koautor, zugleich der Regisseur, trägt einen berühmten Namen: Fritz Lang. Aber es lässt sich nicht leugnen: dieser 1943 in den USA gedrehte Film bleibt zurück hinter dem übrigen Werk Brechts und auch hinter sowohl den deutschen Vorkriegsfilmen wie den amerikanischen Filmen Fritz Langs. Von THOMAS