Kinderbuch | Benjamin Sommerhalder: Knigi / Koen Van Biesen: Mein Nachbar liest ein Buch
Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Ein Buch könnte die Lösung sein. Andere problematische Fälle zeigen, dass es funktionieren kann, wenn man dabei ein paar Kleinigkeiten berücksichtigt, findet ANDREA WANNER.
Knigi, ein kleiner Geist, bekommt von seiner Tante ein Buch geschenkt. Der Anlass ist nicht Weihnachten, sondern Knigis Geburtstag. Und Knigi versucht zu lesen. Aber welche Enttäuschung: Die Seiten des Buchs sind weiß und leer. Das Buch muss das Problem sein, denkt Knigi, nur um festzustellen, dass in der Bibliothek der Geister alle Bücher nur weiße Seiten aufweisen. Tja, dann war’s wohl nichts mit einer spannenden Geschichte. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes.
Benjamin Sommerhalder, von Haus aus Grafiker, gestaltet ein Bilderbuch mit einem schwarzen Gespenst auf weißem Grund, hält sich strikt an das Schwarz-auf-Weiß – in Anlehnung an die schwarze Tinte oder Druckerschwärze auf Papier, an das geschriebene Wort schlechthin. Alles passt. Nur für Knigi nicht. Es funktioniert nicht. Frust macht sich breit, Knigi hält die ganze Sache mit dem Lesen für einen Riesenschwindel – bis der Groschen fällt. Wunderbarerweise geht es dabei nicht um das Lernen der Buchstaben des Alphabets, sondern um etwas viel Wichtigeres, das den Leser erst zum Leser macht: die Fantasie. Und wenn die ins Spiel kommt, wird es bunt. Nicht nur das Buch, sondern das ganze Leben. Und so greift Sommerhalder auf den letzten Seiten dann auch in die Farbtöpfe und lässt ein farbiges Feuerwerk über die Seiten regnen: So kann Lesen auch sein. So soll Lesen sein! So muss Lesen sein, wenn man ein Buch nur weglegt, um sofort zum nächsten zu greifen!
Manche haben das längst für sich entdeckt. Von so einem erzählt das zweite Bilderbuch. Es zeigt einen Herrn mit grüner Weste und Schiebermütze, der in ein Buch versunken beim Lampenschein liest. Das geht so lange gut, bis nebenan ein Mädchen Krach macht. Nein, eigentlich keinen Krach: Sie singt. Aber das wohl sehr laut und für den Leser sehr störend. Das wütende Klopfen an der Wand des Nachbars bringt sie tatsächlich dazu aufzuhören – nur um zur Trommel zu greifen. Das verbessert die Situation eines Ruhe gewohnten und Ruhe bedürftigen Lesers in keiner Weise. Brav stoppt das Mädchen auch dieses Tun – aber ihre weiteren Hobbys sind ebenfalls mit störenden Geräuschen verbunden. Bis der Nachbar eine Idee hat. Das Mädchen bekommt ein Geschenk von ihm. Ein großes Paket. Und drin ist – natürlich ein Buch. Problem gelöst, denn jetzt lesen beide (zumindest zunächst).
Koen Van Biesen erzählt seine Geschichte auf schräge Art mit skizzenhaften Illustrationen und ungewöhnlichem Text mit vielen Wiederholungen. Wie rhythmisch dieser Text gedacht ist und funktioniert, kann man auf der beiliegenden CD erleben. Genial gelöst sind die parallel ablaufenden Handlungen von Nachbar und Mädchen: Das Mädchen »bewohnt« die linken Seiten des Bilderbuchs, der Nachbar die rechte und der Mittelfalz wird zur Mauer zwischen den beiden Wohnungen. Ach ja, der Nachbar wohnt in seiner Wohnung nicht ganz allein. Es gibt da noch einen Hund …
Also: Zum Lesen braucht man Fantasie, Ruhe, einen gemütlichen Platz … Man kann sich vorlesen lassen (auch da spielt die Fantasie eine wichtige Rolle), man kann mal eine Lesepause einlegen, bzw. muss manchmal sogar eine Lesepause einlegen (auch davon erzählt Van Biesen). Und wenn ein Buch fertig ist, braucht man dringend das nächste!Finde ich. Und dann kann man mit Büchern so glücklich werden, wie das Mädchen, ihr Nachbar und Knigi.
Titelangaben
Benjamin Sommerhalder: Knigi
Zürich: Diogenes 2014
24 Seiten, 14,90 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
Koen Van Biesen: Mein Nachbar liest ein Buch
Mit Musik-CD
München: Mixtvision 2014
48 Seiten, 15,90 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren