Reisen mit leichtem Gepäck

Kurzprosa | Deborah Levy: Black Vodka

Verkrüppelte Dichter, heimatlose Kosmopoliten und aus der Spur geratene Nervenbündel bevölkern die meisterhaft lakonischen Erzählungen von Deborah Levy. ›Black Vodka‹ verkörpert nicht nur ein neuartiges Getränk, sondern den provozierenden Beigeschmack der Fremdartigkeit. Von INGEBORG JAISER

Levy Vodka›Black Vodka‹ ist eine moderne Designer-Spirituose, versetzt mit einem asiatischen Kraut, das dem sonst glasklaren Destillat eine mystische, exotisch dunkle Farbe gibt, ohne seinen ursprünglichen Geschmack anzutasten.

Dennoch bleibt beim Konsum eine sanfte Irritation zurück. Diese gelungene (wenngleich auch unterschwellig verstörende) Melange hat Pate gestanden für Deborah Levys neue Kurzgeschichtensammlung inklusive der leicht rätselhaften gleichnamigen Titelstory.

Leben im Transit

Die Protagonisten dieser zehn Erzählungen sind allesamt Kosmopoliten und Grenzgänger, Migranten und auf gewisse Weise Heimatlose (obgleich ihnen scheinbar die ganze Welt offen steht) – Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, zwei Pässen, mehrsprachiger Sozialisation. Ihr Zuhause sind die Transithallen der Flughäfen, mal unterkühlte Hotelzimmer mit zu dünnen Laken und wechselnden Geliebten, mal ein halb verwaistes Familienanwesen, das sich eine störrische Mutter zu veräußern weigert.

Das Leben dieser Menschen ist so vielschichtig und zersplittert, dass sie auf die Frage nach ihrer Muttersprache keine eindeutige Antwort finden. Oder auf dem Flughafen schon mal vergessen, welche der aufgerufenen Flüge und Destinationen gerade die richtigen sind.

Bettgespräche und Seitensprünge

So wie der in der Tschechoslowakei geborene Pavel, der in der Story ›Bettgespräche‹ mit der aus Jamaica stammenden, aber in Großbritannien aufgewachsenen Ella kurz vor seinem Vorstellungsgespräch in Dublin noch eine Stippvisite nach Barcelona unternimmt. Letztendlich erhält er trotz bester Eignung die Stelle doch nicht. Der japanische Boss Kymoto lässt im Nachhinein verlauten, »Pavels Ideen hätten ihm gefallen, seine Qualifikationen für den Job seien tadellos, nur hätten sie leider nicht den Eindruck gehabt, er werde der Firma auf lange Sicht verbunden bleiben.«

Konstante Verbindungen scheinen eh keinen Platz in Pawels Leben zu haben. Während er den Dublin-Trip für einen One-Night-Stand mit einer atemberaubenden Schönheit aus Český Krumlov nutzt, verliebt sich Ella gleichzeitig in einen Franzosen, der zufällig die gleichen Schnürschuhe wie sie trägt. Und so dreht sich das schwindelerregende Multikulti-Karussell immer weiter…

Verkrüppelte Dichter

Verschwimmende, unsichere Identitäten sind auch Thema der Erzählung Sternenstaub, in der der labile, aus einer Migrantenfamilie stammende Nick Gazidis sich in krankhafter Empathie in das Leben seines Chefs hineinsteigert und schließlich in der Psychiatrie landet. Ein Fall in der langen Reihe von psychischen und physischen Verletzungen, Erkrankungen und Deformationen, wie dem höckerartigen Buckel in der Titelstory (»In der Agentur nennt man mich den verkrüppelten Dichter«), diversen Ekzemen und Hautkrankheiten sowie einer absonderlichen Ganzkörper-OP, die zugleich noch das Wesen der Runderneuerten verändert (»Er hat mein Betriebssystem umgestellt«).

Deborah Levys zehn Kurzgeschichten – großzügig auf 120 Seiten verteilt – lassen viel Freiraum und Leerstellen, als ob sie noch Platz für ihren Nachhall benötigten. Ihre intelligente Konstruktion, gekoppelt mit abgrundtiefen Topoi, zwingt den Leser, zuweilen tief Luft zu holen. Schon Levy´s flirrender letzter Roman ›Heim schwimmen ‹ ließ die unberechenbaren Tücken menschlichen Daseins schlaglichtartig aufblitzen. ›Black Vodka‹ perfektioniert noch die Irritation, das latente Schaudern, den rätselhaften Beigeschmack. Und tröstet doch mit der Ahnung, dass trotz wachsender Fremdheit und Unbehaustheit alle Menschen irgendwie miteinander verbunden sind.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben:
Deborah Levy: Black Vodka
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Berlin: Wagenbach 2014
122 Seiten. 16,90 Euro

Reinschauen
|
Ingeborg Jaiser über Deborah Levy in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein neues Ermittlerduo

Nächster Artikel

Patriotisches Würgen

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Auf geht’s!

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf geht’s!

Was solle man dazu sagen, fragte Farb, die Realität werde übertönt vom Lärm einer Wohlfühlgemeinde, deren Welt eine Wirklichkeit taumelnder Blasen sei, die sekundenlang irrlichternd schweben, bevor sie geräuschlos platzen und sich ins Nichts auflösen würden.

Eine mediale Wirklichkeit, fragte Tilman.

Spaßgesellschaft, sagte Annika.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Diese Wirklichkeit habe sich vom realen Leben verabschiedet, sagte Farb, sie überlagere den Alltag und, wie gesagt, sie werde letztlich geräuschlos platzen und keinen Eindruck hinterlassen, und der Mensch, als ginge all das mit rechten Dingen zu, sähe sich unversehens mit einer rauhen Wirklichkeit konfrontiert

Im Reich der Lichter

Kurzprosa | Peter Stamm: Wenn es dunkel wird

Wenn es dunkel wird, öffnet sich die schillernde Gegenwelt des Surrealen: Träume, Sinnestäuschungen, Vexierbilder. Der Schweizer Autor Peter Stamm legt in seinem neuen Erzählband verschwommene Fährten in ein Paralleluniversum, das genauso real erscheint wie die Wirklichkeit. Auch INGEBORG JAISER ist den meisterhaften Blendungen erlegen.

Sinn

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sinn

Die Dinge seien doch leicht zu verstehen, behaupte Gramner, wo liege das Problem.

Thimbleman rieb sich die Augen. Wie Gramner das meine, fragte er.

Der Ausguck zögerte zu antworten, wandte sich zur Lagune und blickte hinaus aufs Wasser. Woher die Wale kommen, fragte er, und ob es wahr sei, daß sie von der Arktis mehrere tausend Meilen nach Süden bis zur Ojo de Liebre geschwommen seien, um die warmen Regionen zu genießen.

Gespannt

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gespannt

In der Ojo de Liebre herrschten spezielle Umstände, man mag darüber denken, was man will, und die Fangpause hatte der Mannschaft zu guter Letzt ein Gefühl von Leichtigkeit verschafft oder immerhin eine Ahnung davon, wir gestatten uns kurz einen Blick zurück, vor allem Eldins verletzte Schulter hatte den Anlaß für diese Maßnahme geboten, wie sollte er in diesem Zustand eine Harpune werfen, andere hatten sich Zerrungen zugezogen, Schürfungen, Stauchungen, Kratzer.

Gohlis

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gohlis

Wir beneiden sie nicht, die drei auf ihrer Terrasse in Sichtweite des Gohliser Schlößchens.

Nein, Gramner, wir beneiden sie nicht, keineswegs.

Am Ende der Welt, sie müssen sich fühlen, als erlebten sie das Ende der Welt.

Zurecht, Gramner, zurecht, ihre Welt geht dem Ende entgegen.

Es wird ebenso unsere Welt gewesen sein.