Worauf es ankommt

Jugendbuch | Uticha Marmon: Marienkäfertage

Worauf es ankommt im Leben, das fragt man sich immer wieder einmal. Schon als Teenager grübelt man darüber nach, manchmal kommt man von allein auf den Gedanken, manchmal wird man mit der Nase darauf gestoßen. Uticha Marmon versetzt ihrer Heldin in ›Marienkäfertage‹ sogar einen kräftigen Nasenstüber. Elin findet ihre Antwort. Glück spielt dabei eine große Rolle. Von MAGALI HEISSLER

MarienkäfertageElin hat das Gefühl, dass sie alles verloren hat, woran sie geglaubt hat. Auslöser der Unsicherheit ist ein Brief, der allerdings nicht an sie gerichtet war. Kurzerhand flüchtet sie ins Ferienhaus nach Dänemark, das Marienkäferhaus mit seinem Garten voller Rosen und eben den Käferchen, die dem Haus den Namen gegeben haben.

Warum sie das tut, kann sie selbst nicht genau sagen. Der Ort am See ist zwar klein, aber anonym bleiben kann sie dort bestimmt nicht, alle kennen sie. So muss sie sich gleich ihrer Freundin aus Kindertagen stellen, die immer noch so fröhlich und lieb ist und es für einen Scherz hält, wenn Elin behauptet, dass sie gar nicht Elin ist.

Der fremde Junge, den sie trifft, allerdings scheint eher zu verstehen, was mit ihr los ist. Auch der Nachbar Knut, der für Elin-nicht-Elin immer Ersatzgroßvater war, weiß deutlich mehr, als ihr lieb ist. Und dann ist da noch die Sache mit dem Spielzeugsegelboot, das Elin vor langer Zeit am See gefunden, dessen Besitzer sich aber nie gemeldet hat. Bis zu dieser Woche. Sein Brief lässt ein Spiel beginnen, das bald zu einer Geschichte wird, Elins Geschichte. Und die von Lykke, ihr neuer anderer Name. Lykke heißt Glück.

Verwirrung total

Marmon konfrontiert ihre Leserinnen von der ersten Seite an mit der seelischen Verwirrung ihrer Hauptfigur. Es ist zunächst nicht klar, was geschehen ist, das in Elin das Gefühl der Verlassenheit und Orientierungslosigkeit ausgelöst hat. Die üppige Sommerlandschaft zwischen Häuschen und See, Felder, Wald, die Hecken voller Beeren, Wärme und Duft in der Luft wirkt aufdringlich angesichts des offenen Leids. Langsam schält sich die Ursache des Schmerzes heraus, Elin hat entdeckt, dass sie ein Adoptivkind ist. Sie hat noch nicht herausgefunden, was das für ihr Verhältnis zu den Erwachsenen bedeutet, die sie bislang für ihre Eltern gehalten hat, als schon die Frage anfängt zu nagen, warum die Adoption verschwiegen wurde. Das Verschweigen und die neue Frage machen Elin, die eigentlich Lykke ist, fast sprachlos.

Silje, die Freundin, aber auch Rasmus, der fremde Junge, verhindern, dass Lykke-Elin sich abschließt. Am meisten aber verhindert es der geheimnisvolle Besitzer des kleinen Segelboots. Er verkehrt mit Lykke-Elin mittels Flaschenpost. Die Briefe tun ihr gut, anonym kann sie sich sicher fühlen, scherzen, Forderungen stellen, auf die er auch eingeht. Wenn es um das Boot geht, ist sie souverän. Das Segelboot hilft wie auch die Sommerlandschaft, dass Elin zu Lykke findet.

Die Leserin begleitet Elin auf ihrem Weg von der Verwirrung zu den Fragen, den ersten Antworten und den neuen Fragen durch Irrtümer, Dummheiten, Zorn, Trotz und Ängste. Die Beschreibung der Sommerlandschaft und der idyllischen Kindheitserinnerungen ranken sich in die Geschichte, sie sind Kitt und Mörtel für das, was Elins eigentliches Glück ausmacht.

Was dahinter steckt

In Elins Geschichte ist eine zweite eingeschrieben, die von Rasmus. Sie bildet in jeder Hinsicht das Gegenstück und ist wesentlich zum Verständnis der Zusammenhänge. Marmon spielt humorvoll mit Versatzstücken herkömmlicher Teenager-Liebesgeschichten, um eine andere Geschichte von Liebe zu erzählen, von der zwischen Ehepaaren, der gelungenen und der gescheiterten, zwischen Mutter und Kind, unter Geschwistern und Freundinnen.

Die Lösung des eigentlichen Rätsels ist bei all der geschilderten Liebe zugleich hakelig genug, um Rosarotes zu vermeiden. Rasmus’ düstere Vergangenheit ist ein herber Kontrast. Sie ist das Bittere in dem schwellenden Sommergrün, die Dornen an den Rosen, Gewitterblitz und Donnergrollen aus heiterem Sommerhimmel. Diese Konstruktion ist anspruchsvoll, passend zur Grundproblematik. Zwischen Beeren, Zimtwecken und Weihnachtsglöckchenlachen gibt es Gefühlsabgründe, die sehr gefährlich sind. Formuliert ist es hin und wieder ein wenig umständlich, die Neigung der Autorin Alltägliches zu mystifizieren, Vornamen z.B. oder die häufig auftauchenden Marienkäfer, bringt meist nur vermeintlich Tiefe.
Atmosphäre und Charakterschilderungen gelängen auch ohne Brimborium.

Das Glück überwiegt am Ende, es bleibt aber auch Raum zum Nachdenken. Über Elins und Rasmus‘ seltsame Teilchentheorie etwa oder über die Fähigkeit glücklich zu sein, über die Unfähigkeit zu lieben und wem Wahrheit nützt. Der Roman ist deutlich mehr als eine schöne, warmherzige Sommergeschichte.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Uticha Marmon: Marienkäfertage
Bamberg: Magellan 2015
220 Seiten, 14,95 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren

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