Mutproben

Kinderbuch | Ryan Gebhart: Bärenschwur

Der 13jährige Tyson hat schon lange einen Plan: Mit seinem Großvater, den er liebevoll Gramps nennt, auf die Jagd gehen. Gramps macht das jedes Jahr, auf die Wapitijagd gehen. Jetzt ist Tyson endlich alt genug, ihn zu begleiten. Von ANDREA WANNER

BarenschwurDas Problem ist ein schlichtes: Tyson ist alt genug – und Gramps zu alt. Das finden wenigstens Tysons Eltern, die die Unternehmung verbieten. Tyson erfährt schließlich auch den Grund für das Verbot: Gramps muss regelmäßig an eine künstliche Niere angeschlossen werden. Da der Weg zur Dialyse zu weit ist, muss der alte Mann in ein Seniorenheim umziehen. Und es gibt ein weiteres Geständnis: Gramps ist gar nicht sein richtiger Großvater, sondern »nur« der Stiefvater seines Vaters. Für Tyson stürzt die ganze Welt zusammen.

Ryan Gebhart lässt einen 13jährigen Jungen erzählen, in dessen Leben plötzlich nichts mehr am richtigen Platz zu sein scheint. Erst vor kurzer Zeit ist die Familie wegen der Arbeitslosigkeit des Vaters in das großelterliche Haus gezogen. Tysons Verhältnis zu Gramps war immer eng. Er bewundert den alten Charmeur, der in der Rodeo Tavern immer noch mit jeder Frau tanzt, und dessen Jagderfahrung und -glück legendär ist. Und jetzt soll er damit klarkommen, dass er nicht mal mit ihm verwandt ist. Außerdem redet er kaum noch mit seiner jüngeren Schwester, die auf einem anderen Planeten zu leben scheint. Und sein bester Freund Brighton hat sowieso anderes im Kopf als die alten Rituale und Gemeinsamkeiten, auf denen ihre Freundschaft beruht. Das Einzige, an dem Tyson inmitten des Chaos festhalten will, ist der Jagdplan. Der Grand-Teton-Nationalpark im Westen von Wyoming wartet auf ihn. Und er hat eine Idee, wie er den Plan trotz aller Widrigkeiten umsetzen kann. Schließlich ist das nicht nur eine fixe Idee, sondern das Vorhaben wurde mit dem Bärenschwur besiegelt. Wenigstens dieses Versprechen muss weiterhin Gültigkeit haben.

Der flapsige Ton eines Dreizehnjährigen dominiert das Buch. Tysons Blick auf die Welt ist nicht ohne Ironie und Selbsterkenntnis. Er nennt die Probleme, die er hat beim Namen, weicht nicht aus. Auch nicht, wenn es für ihn selber unangenehm wird. Er erkennt, dass unterschiedliche Situationen Mut erfordern. Mut braucht es für das »Pflaumen«, das Trinken von großen Mengen Pflaumensaft, der die Verdauung mehr als nur anregt: das Reinigungsritual von Gramps vor der Jagd. Mut braucht es, um über das Alter, über Krankheit und Tod nachzudenken und die kindlich-naiven Lösungsideen als Irrwege zu entlarven. Mut braucht ein albernes Halloweenkostüm. Mut braucht es, um ein Mädchen anzusprechen. Und Mut braucht es, auf die Jagd zu gehen. Tyson lernt verschiedene Arten von Mut kennen und reift an ihnen. Dass dann auch tatsächlich noch ein richtiger Bär auftaucht, wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen. Das Leben hat schon mehr Aufgaben für den Heranwachsenden bereitgehalten als ein wildes Tier. Aber auch da entsteht eine Situation, in der sich der junge Jäger beweisen kann.

In dem grünen, als Rucksack getarnten Buch findet sich neben Abenteuern und wagemutigen Erlebnissen sehr viel Kluges über die schwierige Zeit des Erwachsenwerdens. Ein Bärenschwur aber bleibt ein Bärenschwur: Für Tyson gibt es am Ende neben Zweifeln und Ängsten auch neue Gewissheiten und neue Zuversicht.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Ryan Gebhart: Bärenschwur
(There will be Bears, 2014)
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
Hamburg: Aladin 2015
256 Seiten. 14,90 Euro
Kinderbuch ab 10 JAhren

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