/

Unter Mädchen und Mördern

Roman | Tana French: Geheimer Ort

Tana French ist längst keine Unbekannte mehr. Wenn ein neuer Roman von ihr angekündigt wird, weckt das sofort Erwartungen. Denn die vier bisher vorliegenden Bücher der 41-jährigen Bestsellerautorin aus Dublin haben durch unheimliche Spannung, psychologisches Feingefühl und eine Sprache, die alle Nuancen beherrscht, die Latte ziemlich hoch gelegt. Nicht hoch genug freilich für Geheimer Ort, Tana Frenchs aktuellem Buch. Es ist ihr bisher bestes und ein nachgerade atemlos machendes Meisterwerk. Von DIETMAR JACOBSEN

frenchEin erschlagener Junge ist im Park des vornehmen Dubliner Mädcheninternats St. Kilda gefunden worden: Chris Harper, Schüler der benachbarten Erziehungseinrichtung für Jungen. Einer, den eigentlich jeder leiden konnte. Weshalb die Ermittlungen der Polizei unter den Internatsmädchen und Harpers Freunden auch zäh und ziemlich schnell gänzlich im Sande verlaufen. Ein Gärtner gerät unter Verdacht, der die weitläufigen Parkanlagen der Einrichtung pflegt und sich ein Zubrot mit dem gelegentlichen Verkauf von Drogen an die Zöglinge verdient. Aber auch in diesem Fall gilt: Nur in schlechten Krimis ist der Gärtner am Ende auch der Mörder.

Knapp ein Jahr nach der schrecklichen Tat taucht an einer öffentlichen Tafel in St. Kilda, an der die Mädchen anonym ihr Herz ausschütten dürfen, ein Zettel auf, dessen Verfasserin behauptet, den Mörder von Chris Harper zu kennen. Das ruft erneut die Polizei auf den Plan. Für einen Tag nehmen die Detectives Stephen Moran und Antoinette Conway die Ermittlungen wieder auf. Conway mit schlechtem Gewissen, denn sie hat, vor Jahresfrist mit dem Fall betraut, damals allzu lasch gearbeitet und etliches Wichtige außer Acht gelassen. Moran mit dem festen Vorsatz, sich mit der Lösung des Falls endlich für eine Karriere bei der Kriminalabteilung zu empfehlen.

Zweiter Anlauf in einem Internatsmord

Geheimer Ort ist Tana Frenchs fünfter Roman. Etliche Fäden verbinden ihn, wie wir das von dieser Autorin bereits gewohnt sind, mit seinen vier Vorgängern. Diesmal allerdings greift French, wenn sie ihre Leser mitnimmt in die aufgeputschte Atmosphäre des Internats, nahezu vollständig auf die klassischen drei Einheiten von Zeit, Ort und Handlung zurück. Nur in den Kapiteln, die in die letzten Monate vor dem Mord zurückblenden und die Affäre für die Leser noch einmal aufrollen, wechseln Zeit und Schauplätze.

Jene Romanteile aber, die in der Gegenwart spielen und die beiden Detectives bei ihrer schwierigen Ermittlungsarbeit begleiten, spielen an einem einzigen Tag und ausschließlich auf dem Gelände des katholischen Internats St. Kilda. Minutiös verfolgt das Buch die Anstrengungen der beiden Ermittler, hinter das Geheimnis zu kommen, dem Chris Harper letztlich zum Opfer fiel. Und das auf sage und schreibe 700 Seiten, ohne auch nur einmal den Hochspannungsmodus zu verlassen.

Zwei Mädchencliquen

In den Mittelpunkt des Ermittlungsinteresses rücken von Anfang an zwei Mädchencliquen – beide in sich geschlossen, von außen kaum zu durchschauen, mit der je anderen verfeindet und rivalisierend um die Gunst von Mitschülern, Lehrern und Polizisten. Schnell wird den beiden Detectives klar, dass die Mörderin nirgendwo anders zu finden sein wird als unter diesen acht. Die erweisen sich allerdings als mit allen Wassern gewaschene junge Damen. Man lügt und trickst, belastet sich gegenseitig, schreckt vor Verleumdungen nicht zurück und legt falsche Spuren. Als dann schließlich noch ein Kollege der beiden Ermittler auftaucht, dessen Tochter zu den acht Verdächtigen zählt, macht das die Sache nicht einfacher und führt auch unter den Polizisten zu immer mehr Spannungen.

Tana French versteht es in ihrem neuen Roman wieder ganz ausgezeichnet, die Probleme ihrer beiden Detectives mit jenen der Mädchen, gegen die sie ermitteln, kurzzuschließen. Hier wie da geht es um das Auseinanderbrechen von Hierarchien. In beiden Konstellationen – der der Polizisten wie der der Mädchen – sorgen sich langsam verändernde Kräfteverhältnisse für Spannungen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Mit dem Eingreifen des dritten Dubliner Polizisten eskalieren die Ereignisse schließlich, bis die wirkliche Täterin sich stellt.

Kriminal- und Adoleszenzroman

Mit Geheimer Ort hat Tana French ihr bisher bestes Buch vorgelegt. Spannend bis zum Schluss, voller vibrierender Dialoge und psychologisch meisterhaft sich in die Seelenlage ihrer Protagonistinnen versetzend, geht der Roman weit über das hinaus, was Spannungsliteratur in der Regel ausmacht.

Er liefert seinen Lesern eine Mörderjagd der Extraklasse gleichzeitig mit einem Blick auf jenes Lebensalter, in dem die harmlosen Spiele der Kinderzeit ihre Faszination einbüßen und an ihre Stelle, befeuert von einer sich immer mehr in den Vordergrund drängenden Sexualität, die Identitäts- und Konkurrenzkämpfe der Erwachsenen treten. Genau auf dieser existentiellen Schwelle befinden sich die acht jugendlichen Heldinnen des Romans. Und sie verarbeiten die sie bedrängenden Gefühle nicht immer souverän und überlegt. Bis eine von ihnen zur Mörderin wird, um nicht hinauszumüssen in die Kälte des zukünftigen Lebens.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Tana French: Geheimer Ort
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Frankfurt/ Main: Scherz 2014
700 Seiten. 14,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Widerstreit der Gefühle

Nächster Artikel

Vielseitig, dicht gedrängt

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Von Sydneys Opernhaus bis zur Elbphilharmonie

Roman | Heinrich Steinfest: Gemälde eines Mordes

Zum zweiten Mal ermitteln Frau Wolf und Markus Cheng in verkehrten Rollen. Während Cheng in 5 Fällen der »einarmige Detektiv war«, ist er inzwischen nämlich zum »einarmigen Assistenten« geworden. Und aus der ehemaligen Assistentin Frau Wolf wurde seine Chefin. Das hat freilich nichts daran geändert, dass das Duo auch weiterhin mit Ermittlungen beauftragt wird, die mehr als nur ein bisschen aus dem Rahmen fallen. Diesmal ist ein Wombat-Forscher in Australien verschwunden. Und weil seine hinterbliebene Gattin es sich leisten kann, setzt sie Wolf und Cheng auf die Spur des Vermissten. Die zunächst zu einem Quartett von deutschen Lottogewinnern führt, die es gar nicht mögen, wenn man ihnen nachspioniert. Von DIETMAR JACOBSEN

Schwere Versuchung

Kinderbuch | Dorit Linke: Fett Kohle Wer träumt nicht davon, auf einen Schlag viel Geld zu haben? Mit Geld lassen sich Probleme spielend lösen. Das ist allerdings auch ein Traum. Hat man unvermutet viel Geld in der Hand, fangen die Probleme erst richtig an. Niklas kann ein Lied davon singen. Von MAGALI HEIẞLER

»Irgendeiner musste es tun«

Roman | Elisabeth Herrmann: Das Dorf der Mörder In Elisabeth Herrmanns neuem Thriller Das Dorf der Mörder suchen zwei Menschen nach der Wahrheit hinter einem grausamen Verbrechen. Von DIETMAR JACOBSEN

Die Erlöserin

Krimi | Bernhard Aichner: Totenfrau Wer möchte schon Brünhilde heißen? Hagen Blums Tochter jedenfalls nicht. Und so beschließt die 16-Jährige, dem Vater, einem bekannten Innsbrucker Bestattungsunternehmer, die Nibelungentreue aufzukündigen und fortan nurmehr unter ihrem Nachnamen aufzutreten. Doch nicht nur in diesem Punkt setzt Blum ihren Kopf durch. Auch der verhassten Adoptiveltern weiß sie sich ein paar Jahre später so raffiniert wie brutal zu entledigen. Und lernt bei der Gelegenheit auch noch den Mann ihres Lebens kennen. Doch wenn das Glück am ungetrübtesten scheint, fangen die Albträume gewöhnlich erst an. Bernhard Aichner neuer Krimi Totenfrau. Von DIETMAR JACOBSEN

Es ist nicht vorbei

Krimi | Horst Eckert: Wolfsspinne Zum dritten Mal lässt der Düsseldorfer Autor Horst Eckert in Wolfsspinne seinen Kommissar Vincent Ché Veih ermitteln. Der kommt aus einer tief in die deutsche Geschichte verstrickten Familie. Der Großvater ein unbelehrbarer Nazi, die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater – wie man erst in diesem Roman erfährt – zunächst linksextrem, dann zur extremen Rechten konvertiert und ein Cousin aus dem thüringischen Jena als V-Mann des Verfassungsschutzes in die NSU-Affäre verstrickt. Kein Wunder, dass sich Veih mit Vorliebe in Fälle stürzt, die einen politischen Hintergrund besitzen. Auch diesmal dauert es nicht lang, bis er sich mit