Bühne | Woody Allens ›Geliebte Aphrodite‹ im Stadttheater Pforzheim
Es gibt (Lebens-) Geschichten, die auf der einen Seite erst einmal seltsam erscheinen und auf der anderen Seite doch einleuchten. Die Ehe läuft nicht mehr rund. Als Lösung soll ein Baby nicht nur die Lust auf Familie, sondern auch die Lust aufeinander wieder fördern und schaffen. Das ist erst einmal plausibel – sofern man daran glaubt, dass so etwas realistischerweise tatsächlich gut gehen kann. Von JENNIFER WARZECHA
In ›Geliebte Aphrodite‹, in Pforzheim inszeniert von Andreas von Studnitz (Dramaturgie: Andreas Kahlert), treiben die Darsteller und ihre Handlungen das Ganze noch auf die Spitze: Die Protagonistin Amanda (stellenweise übertrieben hochnäsig, als liebende und leidende Frau dann doch überzeugend: Joanne Gläsel) hat vor lauter Karrieredenken noch nicht einmal Lust darauf, die Schmerzen und Freuden einer Schwangerschaft auszuhalten. Sie fordert ihren Mann, den erfolgreichen und hier auch sehr stilvoll in Hemd und Anzughose gekleideten Sportjournalisten, Lenny Weinrib (sehr charakter- und ausdrucksstark: Mathias Reiter), dazu auf, mit ihr zusammen ein Kind zu adoptieren. Lenny ist kraft seines Gesichtsausdrucks zwar nicht von der Sache überzeugt, willigt aber in sie ein.
Plötzlich stehen sie zu viert vor dem Hintergrund des Bühnenbildes. Vor den Protagonisten thront gewaltig eine dem Titel des Stückes entsprechende, sich lasziv räkelnde nackte Frau aus Pappe, die sprichwörtliche Aphrodite (die griechisch-römische Göttin der Liebe, der Schönheit, Verführungskünste und des Wachstums). Hinter ihr sind im Bühnenbild von Britta Lammers sechs Horen bzw. Putten zu sehen, geringere Göttinnen, die in Griechenland hauptsächlich von der ländlichen Bevölkerung verehrt wurden, wohingegen Götter wie der Schmiedegott Hephaistos eher Feinde des Menschen waren.
Die Protagonisten werden von der vermeintlichen Idylle und Romantik angelockt: Die hochschwangere, im netten Blümchenkleid freudig hin und her schaukelnde Elli (Rashidah Aljunied), betont freudestrahlend und überwitzig, wie toll es doch sei, ein Baby zu haben. Wie als Über-Ich der Eltern erscheinend, taucht auf einmal in Form einer mehr als lebensgroßen Handpuppe (gespielt von Markus Löchner) das geplante Kind auf der Bühne auf und kommentiert das komische Verhalten der Eltern. Im Sinne von Engelchen und Teufelchen tauchen immer wieder ein weiblicher und ein männlicher Engel auf und äußern sich auch über das Verhalten der Protagonisten. Das wirkt stellenweise etwas überflüssig, da diese trotz der dünnen Geschichte eine gute Mimik und Gestik an den Tag legen.
Gegensätze ziehen sich an (bzw. aus)
Den Lauf der Dinge nimmt die Geschichte, als Lenny und Amanda zu Füßen der Papppuppe sitzen, umhüllt von einer weißen Seidendecke, und über ihr Ehe-Tief diskutieren. Kurz darauf möchte Lenny wissen, wer die Mutter seines Adoptivsohnes ist und betört die Adoptionsagentin Carolyn (und Moderatorin, prägnant und überzeugend: Selda Vogelsang), sie möge ihm Adresse und Telefonnummer herausgeben – was diese verneint. Lenny wäre aber seines Zeichens nach nicht Sportjournalist, wenn ihn das aufhalten würde. Rigoros schnappt er sich den Ordner mit den Adressen, den Carolyn unauffällig auf der Bühne hinterlassen hat. Lenny telefoniert mit Linda, Linda Ash (obwohl klischeemäßig, trotzdem überzeugend: Christine Schaller). Diese stolziert klischeemäßig auf blond getrimmt, mit rotem kurzen Kleid, Strumpfhosen und großen goldenen Ohrringen auf die Bühne und macht auf kühl, lasziv und arrogant. Ihr, einer Pornodarstellerin, geht es schließlich erst einmal um Sex. Prompt schmiegt sie sich lasziv an Lenny ran, denn er sei »ja schon lange nicht mehr verwöhnt worden.« Lenny, schließlich auf der Suche nach der leiblichen Mutter seines Adoptivsohnes, geht aber nicht darauf ein und fragt sie stattdessen nach ihrer Herkunft und Familie. Die Antwort: Diese bestehe nur aus Verlierern und Drogendealern. Weil Lenny nicht mit ihr schlafen möchte, weist sie ihn zunächst ab. Dennoch sehen sie sich wieder und gehen miteinander aus. Er macht ihr Komplimente. Die Begegnung intensiviert sich. Linda schauspielert und begibt sich in die Rolle der von ihr insgeheim gewünschten Frau und Mutter. Lenny verspürt den Wunsch, sie aus den Händen ihres Zuhälters zu befreien. Linda bekommt es mit der Angst zu tun: Der Zuhälter könnte Lenny töten, würde der sie befreien.
Im Sinne der Komödie stellt aber gerade diese daran anschließende Begegnung zwischen Lenny und dem Zuhälter Rick (witzig und dennoch grotesk: Markus Löchner) eine der witzigsten Szenen der 90-minütigen Komödie dar. Denn während Lenny erst einmal stotternd sein Licht vor dem im bunten, einem Taucheranzug gleichenden, Sportanzug über der Papppuppe thronenden Zuhälter unter den Scheffel stellt, siegen am Ende drei Dinge: Kalkül, Connection und Ablenkung. Karten für ein Fußballspiel sind es dann, die Lindas Zukunft retten. Linda, die inzwischen zu Lenny Zutrauen gefasst hat, bedankt sich bei diesem und zieht aus ihrem Dekolleté zum Zeichen dessen, dass sie Prostitution und Pornodarstellung aufgegeben hat, eine bunte Krawatte hervor. Er verkuppelt sie mit einem Zwiebelbauern (teilweise, besonders als Boxer, übertrieben weinerlich: Timo Beyerling), der erst einmal eine Show mit kleinem Blumenstrauß und übertriebener Schüchternheit abliefert, um sie für sich zu gewinnen.
Siegen Verstand, Stand, Gefühl oder Hingabe am Ende?
Die eigentliche Wende ergibt sich aber daraus, dass Lennys Frau Amanda trotz einer Affäre mit Jerry Bender (dank seiner Coolness überzeugend: Jens Peter) Lenny auf einmal wieder für sich gewinnen möchte und sich ihm prompt, Rührseligkeit erheischend, zu Füßen wirft. Linda, die sich inzwischen sehr zu Lenny hingezogen fühlt, nimmt dies zum Anlass, um sich doch wieder Kevin, dem Zwiebelbauern und Boxer, zu widmen. Während die Engel prompt noch über diese vermeintlich heile Welt lästern, stolziert Linda, immer noch mit roten Stiefeln mit Bleistiftabsätzen, aber bravem Bleistiftrock und Mantel, auf die Bühne. Sie setzt sich Stuhl an Stuhl mit Lenny auf die Bühne und erzählt dem freudigen Zuhörer, dass sich bei ihr mit Hochzeit und Baby (das aber tatsächlich von ihm ist) alles zum Guten gewendet habe. Doch hat es das wirklich? Am Ende sitzen beide Seite an Seite auf der Bühne. Jeder hat ein Baby vom anderen, denn die Liebesnacht zwischen Lenny und Linda blieb nicht folgenlos. Und sowohl der voller Wiedersehensfreude selig lächelnde Lenny, als auch die ruhig gewordene und sittsam erscheinende Linda scheinen beide nicht frei von dem Wunsch zu sein, zueinanderzufinden und zu gehören.
Und so zeigt die Komödie die Irrungen und Wirrungen, die entstehen, wenn man zu sehr auf Bürgerlichkeit und Stand vertraut – anstatt einfach seinem Herzen zu gehorchen und der genannten Aphrodite anheim zu werden und zu verfallen. Wie die Komödie zeigt, muss das nicht traurig oder tragisch enden. Vielmehr zeigt die teilweise witzige und ironische Inszenierung, dass das Leben aus lauter kleinen und großen Zufällen bestehen und entstehen kann. Mit der unbeholfenen und trotzdem sympathischen Art Woody Allens, von dem die Filmvorlage stammt, ist das Ganze nicht zu vergleichen. Dennoch, trotz aller Klischees, sympathisch und gelungen. Wahrlich zum »Mitlachen, Mitleiden, Verzweifeln und schließlich Versöhnen« im Sinne der Komödie, wie es schon im Programmheft geschrieben steht und auch der ausgiebige Beifall des Publikums im gut gefüllten Großen Haus beweist.
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: Sabine Haymann
TITELANGABEN
Woody Allen: Geliebte Aphrodite
Bühnenfassung Übersetzung: von Jürgen Fischer
Inszenierung: Andreas von Studnitz
Bühne und Kostüme: Britta Lammers
Licht: Andreas Rinkes
Dramaturgie: Andreas Kahlert
Besetzung:
Lenny Weinrib: Mathias Reiter
Amanda Weinrib: Joanne Gläsel
Bud, Lennys Freund/ Moderator: Fredi Noel
Elli, seine Frau/ Moderatorin: Rashidah Aljunied
Linda Ash: Christine Schaller
Carolyn, Adoptionsagentin/ Moderatorin: Selda Vogelsang
Rick, Lindas Zuhälter und Barbesitzer/ 2 jähriger Max Weinrib: Markus Löchner
Jerry Bender/ 5 jähriger Max Weinrib: Jens Peter
Kevin, ein junger Boxer/ Moderator/ Don, ein Hubschrauberpilot: Timo Beyerling