/

Alter Streit und neue Lösung

Sachbuch | Petra Wild: Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung

Der Palästinakonflikt ist in den letzten Jahren medial in den Hintergrund getreten. Der Vormarsch des IS und der Zerfall Syriens und Libyens haben ihn von den Titelseiten verdrängt. Nur wenn wieder einmal ein deutscher Außenminister lustlos die Fortsetzung des Friedensprozesses anmahnt, nimmt man ihn noch wahr. Die Islamwissenschaftlerin Petra Wild macht uns in ›Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung‹ mit einem neuen Denkmodell bekannt. Von PETER BLASTENBREI

Blastenbrei - RezWildDie Autorin beginnt ihr Buch mit einem Paukenschlag. Die Geschichte der Friedenspläne ist die Geschichte der Minderung der Rechte der Palästinenser, steht da als erster Satz. Erschreckend, aber wahr. Der letzte Versuch einer Friedenslösung, die Oslo-Verträge 1992/94, ist nicht zuletzt deswegen schon im Ansatz gescheitert. Geblieben ist für die Palästinenser ein prekäres Dasein auf zahlreichen isolierten Landfetzen, von Israel allseitig abhängig, eingemauert und gemeinsam mit der Autonomiebehörde strikt kontrolliert. »Ein Gefängnis, zu dem Israel den Schlüssel hat«, hat Felicia Langer das schon in den 90er Jahren genannt.

Damit rückt die Frage nach einer umfassenden gerechten Friedenslösung für Palästina wieder in den Mittelpunkt des Interesses, denn der Zwei-Staaten-Lösung mit einem autonomen oder unabhängigen Staat Palästina ist buchstäblich der Boden entzogen.
Doch bevor die Autorin zu ihrem eigentlichen Anliegen, der Ein-Staat-Lösung, kommt, stellt sie die Voraussetzungen auf israelischer Seite dar, gegen die die Palästinenser anzukämpfen haben und gegen die sich jede Friedensregelung durchsetzen muss.

Schlüsselwort Entkolonialisierung

Wild definiert das zionistische Staats- und Gesellschaftsmodell, wie es sich in Israel verwirklicht, als Siedlerkolonialismus. Siedlerkolonialismus unterscheidet sich von anderen Formen des Kolonialismus dadurch, dass nicht die Ausbeutung einheimischer Arbeitskräfte zum Nutzen eines fernen »Mutterlandes« das Ziel ist, sondern die Ansiedlung einer möglichst großen Anzahl von Siedlern anstelle der ansässigen Bevölkerung. Solche Modelle endeten in den USA und in Australien mit der weitgehenden physischen Ausrottung und Marginalisierung der Urbevölkerung oder sie führten zu einem gemischten Modell wie in Südafrika, wo Schwarzafrikaner immer die Bevölkerungsmehrheit stellten.

Zum Siedlerkolonialismus gehören untrennbar Rassismus, Gewalt gegen die Urbevölkerung und Expansionismus. So war die »Nakba«, die massenhafte Vertreibung (und punktuelle Liquidierung) der Palästinenser 1948/49 kein Betriebsunfall, sondern zentral im zionistischen Modell eines rein jüdischen Staats enthalten. Nicht anders als Siedlungsbau oder wiederholte Versuche, den Palästinensern mit Gewalt einseitige Lösungen aufzuzwingen. Für die Autorin wie für die meisten ernsthaften Beobachter in und außerhalb Israels ist daher Entkolonialisierung, also der Abschied von der Ideologie des Zionismus, unabdingbar für einen echten Frieden.

Für eine solche Enzionisierung spricht aber nicht nur die unhaltbare Lage der Palästinenser, sondern auch die tiefe Krise des Zionismus selbst, die seit der zweiten Intifada 2000 nicht mehr zu übersehen ist. Die alten Probleme Israels melden sich mit neuer Dringlichkeit zu Wort, orientalische gegen europäische Juden, religiöse gegen säkulare Juden, Siedlungsbau oder Wohnungsbau, verschärft durch die Folgelasten eines entfesselten Neoliberalismus. Ein schneller militärischer Sieg zur Ablenkung ist nicht in Sicht: Alle kriegerischen Aktionen vom Libanonabzug 2000 bis zum dritten Gazakrieg 2014 endeten bei aller Brutalität mit halben Niederlagen und beschädigten den inneren Konsens wie das internationale Ansehen Israels.

Krise einer Ideologie

Die seit über zehn Jahren laufende internationale BDS-Kampagne (BDS = Boykott – Desinvestment – Sanktionen) macht sich zunehmend im israelischen Export und beim Abzug von Kapital bemerkbar. Auch demografisch wachsen die Probleme. Israel hat seit Jahren keine nennenswerte Einwanderung mehr und immer mehr Juden kehren dem Land den Rücken. Mit der Folge, dass seit 2013 in den historischen Grenzen Palästinas wieder mehr arabische Palästinenser leben als jüdische Israelis.

Nach mehrjähriger intensiver Vorbereitung durch eine Serie von Konferenzen haben 2013 antizionistische Israelis in Jaffa und parallel dazu Palästinenser in Ramallah die »Bewegung für den demokratischen Staat« gegründet, der eine Friedenslösung mit einem einzigen demokratischen Einheitsstaat auf dem Gebiet ganz Palästinas vorbereiten soll. Wild stellt dieses Modell, dem ihre ganze Sympathie gilt, umfassend vor.

In der Tat hat dieses Denkmodell einiges für sich. Israelis und Palästinenser müssen in jedem Fall lernen, friedlich miteinander auszukommen, gleich welche Staatsform am Ende steht. Ein Einheitsstaat, in dem alle nur gleichberechtigte Staatsbürger ohne religiösen Bezug sind, würde, anders als zwei Staaten nebeneinander oder ein binationaler Staat (der alte Vorschlag der PLO), die leidige Nationalitätenfrage entschärfen, die dem Nahen Osten schon so viel Leid gebracht hat. Auch heikle Fragen wie die Niederlassung innerhalb des Staates wäre für Juden und Nichtjuden gelöst.

Wilds Buch ist in einem vorbildlich präzisen, unaufgeregten Stil geschrieben und übersichtlich wie ein Nachschlagewerk. Alle Aussagen sind minutiös belegt mit verlässlichen inner- und außerisraelischen und palästinensischen Quellen. Es zeigt ein faszinierendes Panorama des aktuellen fortschrittlichen Denkens (und Handelns) in Israel und Palästina, wie man es hierzulande kaum kennt.

Ende einer Großmacht?

Einige Unbekannte bleiben in der Rechnung. Wild gibt sich die größte Mühe, die Vorteile einer solchen Lösung für die jüdischen Israelis zu erläutern. Das Ende eines jahrzehntelangen Drucks, der sich nicht zuletzt aus dem verdrängten Wissen um selbst angerichtetes Unrecht speist, etwas pathetisch formuliert, die Erlösung aus der Unterdrückerrolle durch die Unterdrückten, ist ohne Zweifel ein großes Ziel. Dem stehen allerdings handfeste politische und wirtschaftliche Privilegien gegenüber, die diese Rolle (noch) mit sich bringt.

Auch die Hoffnung auf die stark benachteiligten orientalischen Juden Israels könnte sich ein weiteres Mal als Chimäre erweisen. Wie würden die USA mit dem Verschwinden eines kapriziösen und kostspieligen, aber bisher anscheinend unverzichtbaren Partners umgehen? Wie die BRD mit dem Wegbrechen eines Elements aus ihrem Gründungsmythos ? Und schließlich: Wird das militärisch-politische Establishment Israels ohne Gegenwehr abtreten, wie beim Beispiel Südafrika (auf das die Autorin immer wieder verweist) ? Zu Stolpersteinen können auch die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und die wahrscheinlich fortbestehende wirtschaftliche Ungleichheit werden.

Eine Darstellung also, die intensive Diskussionen auslösen wird. Aber kann man etwas Besseres über ein Buch sagen?

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Petra Wild: Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung
Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas
Wien: Promedia Verlag 2015
224 Seiten, 17,90 Euro

1 Comment

  1. Eines der wichtigsten Bücher zum Thema, der kein Konflikt ist, sondern Ethnische Säuberung durch Apartheid und Besatzungspolitik.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein kleines Großstadtabenteuer

Nächster Artikel

Neue Weltunordnung

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Wie wir morgen leben

Kulturbuch | Hans-Jörg Bullinger/ Brigitte Röthlein: Morgenstadt Wie wir morgen leben Die Metropolen der Welt wachsen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Schon heute lebt mehr die Hälfte der etwa 7 Milliarden Menschen in ihnen. Professor Hans-Jörg Bullinger, bis vor kurzem Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft – der größten Organisation für angewandte Forschung in Europa – und Wissenschaftsautorin Brigitte Röthlein präsentieren Denkanstöße für die zukünftige Gestaltung unserer Städte. Von TOM ASAM

Das Verhängnis einer Liebe

Menschen | Ingeborg Bachmann, Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«

Von Juli 1958 bis zum Frühjahr des Jahres 1963 dauerte die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – zum Ende hin war sie vergiftet und zerbrach. Immer wieder ist über sie in der literarischen Öffentlichkeit gestritten worden mit Frisch in der Rolle des Böswichts und Bachmann in der des Opfers. Ein neues Editionswerk verlangt nach einer Korrektur der Sicht auf diese unheilvolle Beziehung der österreichischen preisgekrönten Lyrikerin und dem schweizerischen Erfolgsautor. Von DIETER KALTWASSER

Dienstboten und IBM-Boys

Gesellschaft | Rainer Barbey: Recht auf Arbeitslosigkeit? Recht auf Arbeitslosigkeit? kommt als Anthologie mit Texten von Ökonomen und Philosophen aus der Zeit seit 1800 daher, herausgegeben von Rainer Barbey. THOMAS ROTHSCHILD hat hineingeschaut.

Vom Leben in der Stadt

Gesellschaft | Niels Boeing: Von Wegen. Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft Die kapitalistische Stadt ist eine Stadt der Privilegien, die neue Stadt aber wäre, von Privilegien befreit, eine Stadt der Freiheit. Es ist schön, Alternativen vor Augen zu führen. Das öffnet den Blick auf diese reichlich dunklen, morbiden Zeiten, die alles darum geben, dass ja nur das Elend mittels Frohsinn und Party verkleidet bleibe. Niels Boeing richtet den Blick nach vorn, und seine Perspektive ist spannend. Von WOLF SENFF

Marktwirtschaft oder Marktgesellschaft

Gesellschaft | Michael J. Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes Schulen zahlen Schüler fürs Lernen, Krankenversicherungen die Versicherten fürs Abnehmen und Strafgefangene für eine bessere Zelle, Firmen zahlen für Werbetätowierungen auf der rasierten Kopfhaut und Jagdbesessene für den Abschuss eines Tiers von der Roten Liste. Alles ist käuflich geworden, so scheint es. Tatsächlich aber doch noch nicht alles, und diese Restbestände interessieren Michael J. Sandel in Was man für Geld nicht kaufen kann ganz besonders. Von PETER BLASTENBREI