Kinderbuch | Clothilde Delacroix: Lotte und der Koffer
Geschenke sind nicht nur etwas Schönes, sie sind auch heikel. Manchmal kann man mit dem Geschenk nämlich nichts anfangen. Aber nicht immer muss es mit einer großen Enttäuschung enden. Clotilde Delacroix erzählt und zeichnet eine drollige und intelligente Geschichte von dem, was ein wahres Geschenk ausmacht.Von MAGALI HEISSLER
Lotte hat Geburtstag, ein wunderbarer Tag erwartet sie. Vor allem erwartet sie Geschenke. Eins steht schon da, es ist groß, größer als sie selbst. Die Erwartungen sind immens. Ebenso die Enttäuschung, als das Geschenkpapier fällt. Heraus kommt ein Koffer. Altmodisch eckig, öde braun, was soll man denn damit anfangen? Das ist fast zum Weinen.
Aber Lotte ist nicht allein, sie hat Gäste. Und die sehen den häßlichen Koffer ganz anders. Vielleicht können sie Lotte überzeugen, dass das Geschenk alles andere als langweilig ist.
Fantasie und Bodenhaftung
Lotte ist ein Ferkelmädchen, ihre Freundin ein junges Huhn, der Freund ein Krokodil. Fantastisch geht es also zu in dieser Kindergruppe. Das bietet Delacroix viel Raum für die Darstellung der Welt der Ideen, die die Kinder haben.
Sie hält sich dabei eng an den kindlichen Kosmos. Der Einfallsreichtum der Kinder verwandelt den Koffer in etwas, mit dem man Abenteuer erleben kann, rasante meist. Die Ideen sprudeln, die Welt steht den Kindern offen, das Meer, Berge, eine Stadt.
Die Drei sind dabei ganz auf sich gestellt. Niemand redet ihnen zu oder gar hinein, wenn sie ihre Geschichten entwickeln. Allein die Kinder entscheiden, was sie erleben und wie sie es tun. Was sie umsetzen, was pures Fantasieren ist, bleibt in der Schwebe, wird aber deutlich, wenn man die Bilder genau betrachtet. Alltagsgegenstände tauchen auf, geschickt in der Spielwelt eingesetzt, ein Besen, etwa. Das Geschenkpapier, das nötig war, den Koffer einzuwickeln, taugt auch zum Verkleiden. Fantasie und Bodenhaftung sind hier nahezu perfekt verbunden. Der äußerst sparsame Text wirkt nur unterstützend, wichtig ist hier, was in den Illustrationen gezeigt wird.
Temperamentvoll
Delacroix nimmt den Ausdruck ‚Bunte Einfälle‘ wörtlich. Der Hintergrund ist auf den meisten Tafeln intensiv orange, die Gegenstände, gleich, ob Torte, Spielzeug oder Konfetti, rosa, lila, gelb, rot, grün, einfarbig, aber auch gestreift. Schon die Illustrationen vibrieren vor Lebendigkeit. Aufgebaut sind die Gegenstände wie Kulissen, die drei Figuren rennen, rutschen, sausen, klettern darin herum. Das Tohuwabohu eines Kindergeburtstags wird beim Anschauen Wirklichkeit.
Auf einigen wenigen Seiten gibt es Ruhepausen, die Hintergrundfarben sind dann abgeschwächt, ein blasses Hellblau oder Cremegelb, die Gegenstände sind ausgedünnt. Aber schon auf der nächsten Seite kann es wieder losgehen. Hier wird rundum temperamentvoll erzählt.
Die Autorin verliert auch keinen Moment aus den Augen, dass es sich um ein Fest handelt. Es gibt Süßes über Süßes, zu kosten, zu schlecken, zu naschen. Sahnewellen, Tortentürme, Zuckerstangen wachsen von allen Seiten ins und im Bild. Was auch wächst, ist das Glück in den Gesichtern der Kinder. Auch wenn es sich um Tierfiguren in einfachen Strichen handelt, ist ihre Mimik immer charakteristisch. Die Kinder verlieren sich im Spiel, in der süßen Welt, in der Welt ihrer eigenen Einfälle. Das klappt so gut, weil sie richtig gut befreundet sind.
Und eben das ist das wahre Geschenk für Lotte.
Titelangaben
Clothilde Delacroix: Lotte und der Koffer
(2014 La valise de Lolotte, übers. von Nicole Oberholzer)
Zürich: Orell Füssli 2015
30 Seiten. 9,90 Euro
Bilderbuch ab 3
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