Gefährliche Gefühle

Jugendbuch | Karen-Susan Fessel: Was in den Schatten ruht

Thriller für Teenager gehören inzwischen zum Standard, selten nur gibt es dabei noch Besonderes. Karen-Susan Fessel hat sich – erwartungsgemäß – etwas dabei gedacht. In ihrem jüngsten Jugendbuch kommt die Gefahr nicht von außen und ist auch nicht an einer einzigen Stelle festzumachen. Es sind eigentlich durchaus verständliche Gefühle ihrer Figuren, die diese Ferienwochen gefährlich machen. Von MAGALI HEISSLER

schattenSeit Jahren schon kommt Marla mit ihren Eltern in die Feriensiedlung. Bis vor Kurzem war ihre Schwester dabei, doch sie ist gestorben. Die Eltern haben die Krise, die der Tod ausgelöst hat, knapp überwunden, aber der Familienalltag ist immer noch schwierig. Dabei hat Marla genug Probleme, sie hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Er will die Trennung nicht akzeptieren.

Gut, dass es Ivana gibt, die Ferienfreundin, Teddy, den älteren Kioskbesitzer und Chris und Dima und Jap und überhaupt die ganze Bande der Wakeboard-Begeisterten am See. An der Zugleine auf dem Board über das Wasser preschen, danach Ivanas Flirtabenteuern zuhören und vielleicht selbst ein bisschen flirten, so sollte der Sommer sein, denkt Marla.

So einfach ist das Leben mit sechzehn aber nicht mehr. Noch ehe der fremde Junge auftaucht und die merkwürdigsten Dinge anstellt, fangen die unbeschwerten Sommergefühle an, zu wuchern und sich auf eine Art zu verschlingen, die langsam bedrückend wird. Aus Flirt wird lästige Anzüglichkeit, dann Belästigung, aus Romanzen wachsen Besitzansprüche und Eifersucht. Ivanas lustiges Lachen klingt gehässig, überdrehtes Teenager-Verhalten wird bedrohlich. Unerklärliches geschieht und Marla bekommt Angst. Dass sie sich neu verliebt, macht die Sache nur schlimmer, denn ihre ehemaliger Freund bedroht sie und der neue Freund hat einen völlig unberechenbaren Bruder.

Schlingengewächse

Fessel wirft die Leserin mitten ins Geschehen, gemeinsam mit Marla beobachtet man die Wakeboarder. Es wird nichts erklärt, es wird beschrieben, man ist gut beraten, sich einfach darauf einzulassen. Überwältigung ist eines der Themen dieser Geschichte. Marlas Begeisterung für ihren Sport führt gleich zum Körpergefühl und Körper sind es auch, die immer wieder auftauchen. Die sportlichen der Jugendlichen, die weniger schönen der Älteren, der Blick der Jungen auf die Älteren, vor allem aber die Blicke der Jugendlichen auf das jeweils andere Geschlecht. Sex liegt in der Luft, ist Triebkraft und Anziehungskraft, Hormone regieren, nicht das Denken.

Marla, die behutsam damit umgehen möchte, findet sich als Zielscheibe hormongesteuerten Jungmännergehabes wieder, Ivana spielt damit und beschwört Gefährliches herauf.
Gefühle bestimmen das Verhalten auch der Eltern, Trauer, Schmerz bei den einen, das Bewahren des äußeren Scheins bei den anderen. Wie Schlingpflanzen wuchern Gefühle, was immer gesagt, was getan wird, wird plötzlich doppeldeutig. Es erschreckt Marla und es erschreckt die Leserin.
Das ist genau beobachtet, genau beschreiben und mit viel Verständnis für die Schwierigkeiten, die Teenager damit haben.

Allein gelassen

Die Jugendlichen müssen mit den schwierigen Gefühlen selbst fertig werden. Die Erwachsenen sind außerstande, ihnen beizustehen, sie sind zu sehr mit sich beschäftigt. Marla fühlt sich überfordert und das zurecht. Die Jugendlichen werden allein gelassen, die Erwachsenen sind zu schnell bereit, Gefahrensignale zu übergehen.

Feindseligkeit wächst und damit die Aggressivität. Es kommt zu einem bösen Unfall. Sportlichkeit, Gesundheit, Jugend haben eine Kehrseite, die Wut und unkontrollierte Schlagkraft heißt. Wenn sie ausbricht, wird es gefährlich. Dass die Erwachsenen dem wenig entgegenzusetzen haben, erschütternd.
Fessels Figurenführung ist bewundernswert, sie hat wenig Raum dafür und nützt ihn bis zum letzten Millimeter. Einiges kommt ein bisschen zu knapp weg, die Entscheidung jedoch fällt immer für das Unerwartete und das bekommt dieser kurzen Geschichte ausgezeichnet. Einzig auf den Prolog hätte man verzichten können, er suggeriert die Art handelsüblichen Versatzstück-Jugendthriller, der das Buch eben nicht ist.

Erzählt wird ruhig, in klarer Sprache, die Spannung wird sorgfältig aufrechterhalten. Der Verzicht auf tagesabhängigen Teenagerslang gibt der Geschichte nicht nur Solidität, sondern auch das entscheidende Quäntchen Wahrhaftigkeit, die nötig ist, um sich in die Figuren einzufühlen. Damit wirkt auch Marlas Entwicklung überzeugend.

Das Ende ist ebenso traurig wie logisch, es gibt keine eindeutige Lösung, eher Vermutungen und Hoffnungen als endgültige Rettung. Das Teenagerleben ist gefährlich, das soll man nicht vergessen, ebenso wenig, wie einsam Probleme machen können.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Karen-Susan Fessel: Was in den Schatten ruht
Stuttgart: Franck-Kosmos 2015
225 Seiten, 12,99 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren

Reinschauen
| Leseprobe

2 Comments

  1. Das ist doch wieder eine interessante Buchvorstellung. Danke. Allerdings hätte ich ohne die Leseprobe nicht gemerkt, dass Mara eigentlich Marla heißt. Oder gibt es da noch ein anderes Mädchen??

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das wahre Geschenk

Nächster Artikel

Anfang und Ende

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Glitzer und Jauche

Jugendbuch | Daphne Mahr: Booklove

Hoffen, dass das Böse besiegt wird und bangen, ob sich die Liebenden kriegen: Romantasy liegt im Trend. Das muss nicht jedem gefallen. ANDREA WANNER hat es mit diesem humorvoll-romantischen Schmöker versucht.

Neue Romantik

Jugendbuch | Marcus Sedgwick: Sieben Monde Liebe durch alle Zeiten, ewig und über den Tod hinaus sind zwar altbekannte Themen, erfreuen sich aber inzwischen wieder höchster Beliebtheit. Eine neue Romantik ist ausgebrochen. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alles, was auch nur entfernt nach einem echten Problem in Verbindung mit Liebe aussieht, stillschweigend in der Versenkung verschwunden ist. Zurück bleibt das reine Gefühl. Allerdings ist das auch nicht mehr echt. Von MAGALI HEISSLER

Das Heft des Staunens

Jugendbuch | Tae Keller: Wie man Wunder wachsen lässt Wer hat schon den Nerv, die Welt wissenschaftlich zu betrachten, wenn alles Drunter und Drüber geht? Ein Laborbuch als Langzeitprojekt? Eine selbst entwickelte wissenschaftliche Fragestellung? Die elfjährige Natalie hat ganz andere Probleme. Von ANDREA WANNER

Was heißt erwachsen werden?

Jugendbuch | Irina Korschunow: Die Sache mit Christoph Spätestens in der zweiten Phase der Teenagerzeit erwischt sie uns, die Frage nach dem Sinn des Lebens. Für manche ist es nur ein Fingerstreifen, das man mit einem Achselzucken abtun oder einem flotten Spruch wieder ins Kästchen packen kann. Andere trifft sie so hart, dass es Wunden schlägt. Die, die daran leiden, erholen sich unter Umständen nie davon. Wie geht man als junger Mensch mit der Frage nach dem Sinn um? Irina Korschunow hat vor vielen Jahren ein Buch darüber geschrieben. Es klingt noch wie neu. Von MAGALI HEISSLER

Zickenkrieg

Jugendbuch | Pia Herzog: Ihr mich auch Zwei schwierige Mädchen treffen unter äußerst ungünstigen Umständen aufeinander. Das kann nicht gut gehen. Von ANDREA WANNER