Balltreter

Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe

Fußball? Woher soll ich wissen, ob du dich für Fußball interessierst, Krähe? Klar, du hättest optimale Bedingungen, bei jedem Spiel Logenplatz auf Kamerakabeln, und wenn im Strafraum gespielt wird oder beim Elfmeterschießen siehst du locker von der Latte aus zu. Meine Güte, wie würden die Leute dich beneiden!

05102010368Ob ich mich für Fußball interessiere? Gut gefragt, Krähe, und ehrlich, ich weiß darauf keine Antwort. Jedenfalls würde ich dich nicht mit Taktiksprech zutexten. Und dass Unsummen für Spielertransfers über den Tisch geschoben werden, danach kräht nach einer Woche kein Hahn mehr. Und ändern? Ändern will es schon gar niemand. Ging nicht kürzlich durch die Medien, dass ein Spieler seinen Boliden jahrelang ohne Fahrerlaubnis fuhr? Vergessen.

Andererseits, ein gutes Spiel seh ich mir durchaus einmal an. Nicht im Stadion, nein, ins Stadion gehe ich alle paar Jahre mal nur zum Millerntor, sonst nicht. Jetzt gab’s die Hoeneß-Filme, hast du davon gehört? Nein, ich hab sie mir nicht angesehen.

Bayern München ist eine schillernde Mannschaft in der Liga, sie stehen mitten im Umbruch. Was ich damit meine? Unter Uli Hoeneß waren sie heimatverwurzelt und bodenständig, Krähe, und dennoch eine Millionärstruppe mit hochkarätigen Trainern wie Otmar Hitzfeld, Louis van Gaal und Jupp Heynckes.

Dann der komplette Umbruch, Krähe, die Mannschaft ist ein Pilotprojekt, sagt man heute noch so, ein Testlabor. Mit Pep Guardiola wird die radikale Internationalisierung des Vereins etabliert, mit Arturo Vidal und Douglas Costa hält südamerikanische Mentalität Einzug. Medhi Benatia ist Kapitän der marokkanischen Nationalmannschaft, Xabi Alonso spanischer Ex-Nationalspieler, Lewandowski polnischer Nationalspieler, Pepe Reina Torhüter der spanischen Nationalmannschaft. Robben, Ribery, Kingsley Coman.

Das ist ein vielversprechendes Experiment, Krähe, oder? Gut, man kann da anderer Meinung sein, in Dortmund wird das wohl anders gesehen, ich komme da vielleicht noch drauf. Mir ist unverständlich, weshalb solche Themen in den Medien so gar keine Rolle spielen. Man kann nicht immer nur Tore zählen und Tabellen vergleichen, wohin soll das führen.

Nein, bei den Bayern läuft das Experiment, Menschen aus verschiedenen Kulturen, verschieden sozialisiert und mit verschiedenen Muttersprachen, also die Balltreter, mit dem Ziel absoluter Höchstleistung und unter äußerster Disziplin zu der führenden Weltspitzenmannschaft zu formen. Das ist äußerst interessant, Krähe, also die Frage, ob das gelingen kann, und unterhalb Weltspitze tun sie’s nicht. Na ja, mir klingt das im Ohr wie HSV, der gefühlt seit Jahren Champions League spielt, doch lassen wir das. Nehmen wir’s einfach ernst, Krähe.

Ich find’s übrigens befremdlich, dass die Medien, also die sogenannten Leitmedien, sich diese Frage überhaupt nicht stellen. Sie verstehen gar nicht, dass die Frage gestellt wird, sie verweisen auf die einheitliche Bandenwerbung »Nein zum Rassismus« und damit ist für sie das Thema vom Tisch, Krähe, sie peilen’s nicht, definitiv nicht. Ich weiß nicht, sind sie nur oberflächlich, wollen sie’s nicht, ist ihr Denkvermögen benebelt – schwer zu sagen.

Bayern München ist, leicht anders beleuchtet, eine Firma unter höchstem Leistungsanspruch, allerhöchstem. Der Output muss Weltspitze sein, kein Jota darunter, das gehört so. Verstehst du, Krähe, so wird ein Schuh daraus, also eine Firma wie die Autobauer, wie Siemens, wie eine Menge anderer, allesamt Typ »Exportweltmeister«. Sie wüssten gern, ob Integration letztlich doch Sand im Getriebe ist – oder ob sie die Effektivität erhöht.

Ja gewiss, Krähe, die Dinge sind kompliziert, ist mir klar, Krähe, also hab ein wenig Geduld. Nein, das sind keineswegs weitschweifige Erklärungen, also hör einfach zu. Und wie gesagt, Fußball verstehen ist nicht getan mit Trikot tragen, Tore zählen, Tabellen vergleichen, Viererkette sortieren. Sag ich doch.

Bayern München steht in einem Praxistest, ob es möglich sein wird, den Menschen unabhängig von Herkunft, kulturellem Hintergrund, Sitten und Gewohnheiten im Arbeitsprozess einzusetzen. Spanien, Chile, Holland, Polen, Marokko – egal, der Output muss Spitzenwerte erzielen. Nur dann wäre das Ergebnis von Nutzen und ohne Abstriche auf andere Bereiche übertragbar. Darum geht’s, um die Kultur der neuen Arbeitswelt.

Hab ich mich verständlich ausgedrückt, Krähe? Gut. Du kannst natürlich der Meinung sein, das Experiment sei längst gescheitert. Der Vereinsarzt nahm seinen Hut, Schweinsteiger wechselte den Verein, ein sündhaft teurer Neueinkauf wie Götze versagt, da ist enorm Sand im Getriebe, atmosphärisch scheint’s längst eingetrübt, und Pep Guardiola ist für den Rest dieser Saison »lame duck«.

Du hast ja recht, Krähe. Die Geringschätzung, die unsere Eliten den je landestypischen Sitten und Gewohnheiten, dem auch klimatisch geprägten Typ Mensch entgegenbringen, ist fahrlässig, und zweifellos erwarten unsere Eliten, dass das Experiment Bayern München trotz allem ihre eigene Haltung bestätigt.

Sie setzen all ihre Hoffnung darauf, dass ein Team aus aller Herren Länder zusammengesetzt werden kann, darauf kommt es nicht an, Krähe, sondern wichtig ist, dass es funktioniert wie geschmiert. Unterschätz‘ das nicht, Krähe, und zweifellos werden sie, sollte Bayern München erfolgreich sein, also diesmal auch Champions League, diese Praxis in ihren Firmen implantieren, sofern sie es nicht längst getan haben. Rücksichtnahme auf Menschen, hast du völlig recht, ist in der Arbeitswelt kein Thema.

In der Tendenz spricht, ich seh’s ähnlich, eine Menge dafür, dass das Experiment Bayern München scheitert. Wird selbstverständlich eine Menge schöngeredet, klar. Erinnerst du dich an das Elfmeterschießen gegen Dortmund? Ein Schenkelklopfer, aber es hat das mediale Image von Bayern München nicht im geringsten beeinträchtigt. Merkwürdig ist das schon. Die Niederlagen gegen Wolfsburg? Im Prinzip, Krähe, geb‘ ich dir recht, die Mannschaft ist real schon jetzt soviel wie ein Scherbenhaufen.

Doch warten wir’s ab, Krähe, kann sein ich seh’s zu schwarz. Doch im Schönreden waren sie immer schon gigantisch, da sind sie alle gigantisch von Hamburg bis München. Und sind wir mal neugierig, was uns nach dieser Saison erwartet. Klopp wäre eine Kulturrevolution, unvorstellbar, die reine Verzweiflungstat. Wie wird sich der Haarimplantatträger unter Glatzen behaupten? Ein interessanter Verein, dieses Bayern München.

| WOLF SENFF

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