Kinderbuch | Ch. Nöstlinger: Der liebe Herr Teufel / A. Steinhöfel: Froschmaul
Abgesehen von der Freude am Aufstöbern schöner Bücher unter den Neuerscheinungen, gibt es noch eine andere Art, Entdeckerinnenglück, das Wiederentdecken nämlich. Egal, ob Vergrabenes, halb Vergessenes oder Geschichten, die in Abständen immer wieder einmal auftauchen, Wiederentdecken ist so schön, wie gute alte Freundinnen und Freunde wiederzusehen. Nöstlingers Geschichte vom lieben Teufel ist so ein Buch. Die Froschmaul-Sammlung von Steinhöfel dagegen war viel zu lange nicht auf dem Markt. Das ist schon richtiges Ausgrabungsglück.
Von MAGALI HEISSLER
Es gibt heutzutage so viel Fantasy-Literatur, dass man stutzt, wenn man Nöstlingers kurzes Vorwort zu ihrer Geschichte liest. Dann fällt einer ein, dass dieses Büchlein 1975 zum ersten Mal erschien. Vierzig Jahre haben viel verändert auf dem Buchmarkt. Die Geschichte vom lieben Teufel ist jedoch gleich geblieben und immer noch geeignet, zu begeistern.
Die Hölle ist längst im 20. Jahrhundert angekommen, alles ist durchorganisiert. Es gibt einen Chef namens Luzifer mit Ehefrau und Eheproblemen. Vor allem aber gibt es Firmenprobleme, das Geschäft läuft nicht. Die Menschen haben schon längst gelernt, eigenständig schlecht zu sein. Das kann man sich doch nicht bieten lassen, findet die Ehefrau des Chefs. Ihr erster Versuch bliebt ohne Folgen auf Erden, zu Hause in der Hölle wird dafür sie ausgelacht.
Der anschließende Familienstreit, der äußerst teuflisch ausfällt, endet mit einer Wette. Die Frau des Teufels ist wild entschlossen, die letzten guten Menschen zum Stolpern zum bringen, Ehemann Luzifer behauptet, das würde nie klappen. Aber Frau Teufel schickt eine Geheimwaffe auf die Erde, Belze, der abgesehen von winzigen schwarzen Hörnchen aussieht wie ein Engel. Darauf müssen die Menschen doch hereinfallen!
Das tun sie, aber leider hat Belze mit Teufelsarbeit seine Schwierigkeiten und die Sache mit der Wette steht bald auf Messers Schneide.
Witzig, boshaft – und ein wenig altmodisch
In dieser Geschichte trifft man Nöstlinger in bester Stimmung. Frech, offen bis zur Schmerzgrenze und mit einem scharfen Blick für das richtige Detail malt sie die Hölle und das Höllenvölkchen. Seitenhiebe werden ausgeteilt, wo man es am wenigsten erwartet, etwa, dass mächtige Leute nie im Altersheim landen oder dass Teufelspakte nicht mit Blut, sondern mit Tinte aus dem Saft südafrikanischer Orangen unterschrieben wird. Diese Anspielung versteht man heute nicht mehr, schade, dass der Verlag nicht mehr den Mut von damals hat und das Diktum entsprechend anpasst. Möglichkeiten gibt es schließlich noch.
Aber auch bei der Charakterisierung ihrer teuflischen und später der menschlichen Figuren nimmt Nöstlinger kein Blatt vor den Mund. Natürlich gibt es Schimpfwörter, sie tragen zur Farbigkeit der Beschreibung beträchtlich bei. Die Bilder von Antje von Stemm unterstützen den Text, Höllenfeuer lodert auf jeder Seite!
Auf Erden leidet man mit den Verfolgten, aber auch mit dem geplagten Belze. Die Spannung steigt bis fast zum Schluss. Dabei gibt es viel zu lachen, Slapstick und eine Menge Einsichten ins ganz normale Leben.
Etwas altmodisch mutet die Rolle der Frauen in der Geschichte an. Es gibt noch die Anrede »Fräulein«, die Hausarbeit liegt ausschließlich in Frauenhand und die vom Teufel ausersehenen Opfer sind ein wenig zu arg dem Bilderbuch-Eheglück verhaftet.
Allerdings kann man einwenden, dass es in einer Welt, in der eine Hölle existiert, eben genau so zugeht.
Vom Leben in der Welt und dem kleinen Schritt darüber hinaus
Steinhöfels acht Erzählungen, die unter dem Titel einer von ihnen, Froschmaul, erscheinen, haben keine fantastische Hölle aufzuweisen. Ihr Thema ist das Leben im Hier und Jetzt. Trotzdem gibt es in jeder Geschichte Höllenmomente für die kleinen Heldinnen und Helden. Steinhöfel erzählt schlicht, die Handlung ergibt sich aus vertrauten Gegebenheiten. Die Schule bestimmt das Kinderleben, die Gebote der Eltern, die Gesetze des Alltäglichen. Auffälliges, Abweichendes ist nicht vorgesehen, es wird von denen, die jeweils erzählen auch nicht erwartet. Dennoch geschieht es.
Eine unvermutete Begegnung, eine überraschende Handlungsweise bringt einen Moment, in dem die bisherige Realität aufbricht. Maßstäbe verrutschen, Überzeugungen bröseln. Etwas Neues bricht in die vertraute Welt ein, macht sie rätselhaft, schwerer zugänglich.
Der gleiche Moment jedoch ist ein klassischer Moment der Aufklärung, auch wenn die Figur in der Geschichte, der das Rätsel widerfährt, das selbst nicht recht wahrnimmt. Die Figuren, gleich, ob sie Namen haben oder einfach »Ich« sind, haben eine Fähigkeit gemeinsam, nämlich etwas jenseits des Alltäglichen wahrzunehmen. Sie können es nicht benennen und sie können auch nicht helfend eingreifen, aber sie sind aufmerksame kleine Menschen. Sie haben Antennen für das Andere, etwas Fremdes, Leiden, etwa.
Schmerz und Traurigkeit sind ein großes Thema in den Geschichten, auch wenn scheinbar nachgeordnet davon erzählt wird, aus dem Mund eines anderen, als etwas, das nicht recht eingeordnet werden kann, mehr als Verwirrung als zur Erklärung.
Erzählt wird humorvoll, eingeflochten aber ist eine sanfte Melancholie, die mehr ein Lächeln erlaubt als ein Lachen, selbst in einer Geschichte um einen geraubten Kuss. Steinhöfel hat die Fähigkeit, Szenen unter Kindern von einem kindlichen Erzähler beschreiben zu lassen, dass einer die Kehle eng wird und das Herz wehtut. Zugleich ist das Erzählte so schön, dass man es immer wieder lesen muss.
Das sind ganz besondere Geschichten, die eine oder andere sollte eigentlich ihren Platz in Anthologien zeitgenössischer Literatur finden.
Die Illustrationen von Peter Schössow bringen das ganz auf den Punkt. Seine Kinderfiguren, die jedes Kapitel zieren, sind bloße Schatten und doch Individuen, jedes für sich ein ganz besonderes Kind.
Wer die Sammlung beim ersten Mal verpasst hat, sollte den Fehler schleunigst gutmachen.
Titelangaben
Christine Nöstlinger: Der liebe Herr Teufel
Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag
137 S. 7,99 Euro
Kinderbuch ab 8 Jahren
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Andreas Steinhöfel: Froschmaul. Geschichten
Hamburg: Carlsen Verlag 2015
133 Seiten, 11,99 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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