Ich kann den kleinen Knirps gut verstehen: einen Stein mit Kanten sucht er, der kleine Pinguin Humboldt, der mit seinen Artgenossen auf dem »riesigen, weißen Kontinent Antarktika« lebt. Und er sucht, und sucht, und sucht. Wann immer ich an der Küste bin, dann suche ich Bernsteine und lasse mich dabei von nichts abbringen, meist bleibt die Suche leider ohne Erfolg. Wie es dem liebenswerten Pinguin ergeht, das erzählt ein spannendes Buch. BARBARA WEGMANN stellt es vor.
Fische, Freunde und Steine mag Humboldt. Und obwohl es in seiner bitterkalten Welt nur Eisschollen, Klippen, das dunkle Meer und eiskaltes Wasser gibt, findet der kleine Pinguin an wenigen Stränden auch Steine, schön geformt, wie Handschmeichler, mit runden, glatten Kanten, in verschiedenen Farben. Sein letzter Fund: ein wunderschöner grüner Stein. Seine Freunde sind verblüfft, aber Humboldt sagt: »Man muss eben da suchen, wo sonst niemand sucht.« Dann eines Tages dieser Traum: Humboldt träumt von einem größeren Stein mit Ecken und Kanten. »So etwas hatte noch kein Pinguin gesehen.« Die anderen halten ihren Artgenossen schon für etwas durchgedreht. »Einige lachen sogar«. Aber Humboldt gibt nicht auf: »Wenn man etwas träumt, dann muss es das doch auch geben.« Arg deprimiert ist er, der kleine Kerl, die Flügel hängen, der Blick ist traurig. Er ist enttäuscht. Da taucht wie aus dem Nichts Beaufort auf, ein riesiger Wal. »Nur wer sagt, ich kann nicht, der kann auch nicht.« Ein Satz, der Humboldt zutiefst beeindruckt und ein Satz, der spannende Folgen haben wird.
So realitätsfern ist das alles gar nicht: Pinguine sammeln tatsächlich Steine, als Unterlage für die Eier, und, klare Sache: in der frostigen Region sind Steine rar und etwas ganz Besonderes. »Pinguin-Männchen zeigen Pinguin-Weibchen ihre Zuneigung, indem sie ihrer Angebeteten einen Kieselstein schenken.«
Humboldt und Beaufort, was für eine lustige Geschichte: die zwei ungleichen Tiere, vielleicht ja benannt nach einem deutschen Forschungsreisenden und einem britischen Hydrographen, sie schwimmen um die halbe Welt. »Nachts wiesen ihnen glänzende Sterne und leuchtende Planeten den Weg. Sie trotzten Wind und Schnee, Nebel und großer Hitze.« Als eines Tages am Strand große Häuser auftauchen, sagt Humboldt spontan: »Diese Steine sind aber zu groß«. Beaufort mutmaßt, es gäbe sicher auch kleinere. Schließlich: »Auf dieser Welt gibt es nichts, was es nicht gibt.« Findet Humboldt seinen Stein mit Ecken und Kanten?
Michael Englers Geschichte ist sehr fantasiereich, erzählt von Träumen, die man nie aufgeben sollte, von Kräften, die diese Träume in einem wecken können, sie erzählt von einer großen Sache, an die man glauben muss. Das setzt die in Budapest lebende Susan Batori gekonnt in Szene: Irgendwie sehen ja alle Pinguine gleich aus, aber die hinreißenden kleinen Gesichter mit ihrer wunderbaren Mimik sprechen hier Bände und dominieren: Humboldts Enttäuschung, dann seine Begeisterung, die im strahlenden Gesicht nun sogar rote Bäckchen zaubert, die völlig verständnislosen Blicke seiner Artgenossen, erstaunt, ängstlich, verächtlich, ablehnend. Und dann Beaufort, der an dieser ganz speziellen, abenteuerlichen Reise zu vielen Steinen der Welt ganz offenbar seine diebische Freude hat.
Mantra-artig werden wenige Sätze wiederholt, man wird sie in Erinnerung behalten, ganz offensichtlich das pädagogische Ziel des Buches. Aber auch bei mir bleibt etwas hängen. »Man muss eben da suchen, wo sonst niemand guckt.« Ich werde es beherzigen und bei der nächsten Bernsteinsuche an Humboldt und Beaufort denken.
Titelangaben
Michael Engler: Humboldt und Beaufort
Mit Illustrationen von Susan Batori
Köln: Boje Verlag 2021
32 Seiten, 14,90 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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