Da staunt der Pinguin

Kinderbuch | Michael Engler: Humboldt und Beaufort

Ich kann den kleinen Knirps gut verstehen: einen Stein mit Kanten sucht er, der kleine Pinguin Humboldt, der mit seinen Artgenossen auf dem »riesigen, weißen Kontinent Antarktika« lebt. Und er sucht, und sucht, und sucht. Wann immer ich an der Küste bin, dann suche ich Bernsteine und lasse mich dabei von nichts abbringen, meist bleibt die Suche leider ohne Erfolg. Wie es dem liebenswerten Pinguin ergeht, das erzählt ein spannendes Buch. BARBARA WEGMANN stellt es vor.

Humboldt BeaufortFische, Freunde und Steine mag Humboldt. Und obwohl es in seiner bitterkalten Welt nur Eisschollen, Klippen, das dunkle Meer und eiskaltes Wasser gibt, findet der kleine Pinguin an wenigen Stränden auch Steine, schön geformt, wie Handschmeichler, mit runden, glatten Kanten, in verschiedenen Farben. Sein letzter Fund: ein wunderschöner grüner Stein. Seine Freunde sind verblüfft, aber Humboldt sagt: »Man muss eben da suchen, wo sonst niemand sucht.« Dann eines Tages dieser Traum: Humboldt träumt von einem größeren Stein mit Ecken und Kanten. »So etwas hatte noch kein Pinguin gesehen.« Die anderen halten ihren Artgenossen schon für etwas durchgedreht. »Einige lachen sogar«. Aber Humboldt gibt nicht auf: »Wenn man etwas träumt, dann muss es das doch auch geben.« Arg deprimiert ist er, der kleine Kerl, die Flügel hängen, der Blick ist traurig. Er ist enttäuscht. Da taucht wie aus dem Nichts Beaufort auf, ein riesiger Wal. »Nur wer sagt, ich kann nicht, der kann auch nicht.« Ein Satz, der Humboldt zutiefst beeindruckt und ein Satz, der spannende Folgen haben wird.

So realitätsfern ist das alles gar nicht: Pinguine sammeln tatsächlich Steine, als Unterlage für die Eier, und, klare Sache: in der frostigen Region sind Steine rar und etwas ganz Besonderes. »Pinguin-Männchen zeigen Pinguin-Weibchen ihre Zuneigung, indem sie ihrer Angebeteten einen Kieselstein schenken.«

Humboldt und Beaufort, was für eine lustige Geschichte: die zwei ungleichen Tiere, vielleicht ja benannt nach einem deutschen Forschungsreisenden und einem britischen Hydrographen, sie schwimmen um die halbe Welt. »Nachts wiesen ihnen glänzende Sterne und leuchtende Planeten den Weg. Sie trotzten Wind und Schnee, Nebel und großer Hitze.« Als eines Tages am Strand große Häuser auftauchen, sagt Humboldt spontan: »Diese Steine sind aber zu groß«. Beaufort mutmaßt, es gäbe sicher auch kleinere. Schließlich: »Auf dieser Welt gibt es nichts, was es nicht gibt.« Findet Humboldt seinen Stein mit Ecken und Kanten?

Michael Englers Geschichte ist sehr fantasiereich, erzählt von Träumen, die man nie aufgeben sollte, von Kräften, die diese Träume in einem wecken können, sie erzählt von einer großen Sache, an die man glauben muss. Das setzt die in Budapest lebende Susan Batori gekonnt in Szene: Irgendwie sehen ja alle Pinguine gleich aus, aber die hinreißenden kleinen Gesichter mit ihrer wunderbaren Mimik sprechen hier Bände und dominieren: Humboldts Enttäuschung, dann seine Begeisterung, die im strahlenden Gesicht nun sogar rote Bäckchen zaubert, die völlig verständnislosen Blicke seiner Artgenossen, erstaunt, ängstlich, verächtlich, ablehnend. Und dann Beaufort, der an dieser ganz speziellen, abenteuerlichen Reise zu vielen Steinen der Welt ganz offenbar seine diebische Freude hat.

Mantra-artig werden wenige Sätze wiederholt, man wird sie in Erinnerung behalten, ganz offensichtlich das pädagogische Ziel des Buches. Aber auch bei mir bleibt etwas hängen. »Man muss eben da suchen, wo sonst niemand guckt.« Ich werde es beherzigen und bei der nächsten Bernsteinsuche an Humboldt und Beaufort denken.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Michael Engler: Humboldt und Beaufort
Mit Illustrationen von Susan Batori
Köln: Boje Verlag 2021
32 Seiten, 14,90 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ich bin ein Solitär

Nächster Artikel

Die Zukunft war damals meine Sehnsucht

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Annäherungen an die Liebe

Kinderbuch | Leen van den Berg: Vom Elefanten, der wissen wollte, was Liebe ist Es gibt Fragen, die schwierig sind. So schwierig, dass sie sich einer schlichten Antwort entziehen. So schwierig, dass sich nicht nur Dichter und Denker seit Menschengedenken darüber den Kopf zerbrechen und versuchen, die Antwort in Worte zu fassen. So schwierig, dass eine Antwort fast unmöglich scheint. Fast. Von ANDREA WANNER

Nicht ganz der Papa …

kinderbuch | Xavier-Laurent Petit: Nicht ganz der Papa »Die Nase hat er vom Papa, die Augen von der Frau Mama?« Bemerkungen über ihr Aussehen hören Kinder von ihren frühesten Lebenstagen an. Augen, Ohren, Stimme, Haltung, einfach alles von Kopf bis Fuß wird kommentiert. Das Hervorheben von Ähnlichkeiten soll die Bindung an die jeweilige Familie bestärken. Bloß sind Familienähnlichkeiten nicht immer auf den ersten Blick sichtbar. Die vielfach freundlich gemeinte Bemerkung kann sich so unversehens ins Gegenteil verkehren. Statt Sicherheit zu geben, stürzt sie das angesprochene Kind in eine Identitätskrise. Xavier-Laurent Petit hat mit Nicht ganz der Papa einen ungewöhnlichen Blick

Mit alten Klängen in den Schlaf

Kinderbuch | Jens Daum: Lale Lu sucht seinen Schlaf

Es ist Jens Daums erstes Kinderbuch und wenn ich einmal mutmaßen darf: sicher nicht sein letztes. Was für eine hübsche Geschichte um ein bezauberndes Wesen, das seinen Schlaf sucht. Der Name des Wesens ist Lu, er ist ein Lale. Und das erinnert mich an meine ganz frühen Kindheitstage. Von BARBARA WEGMANN

Fünf Freunde, der Winter und wundersame Träume

Kinderbuch | Eveline Hasler: Im Traum kann ich fliegen

Dieses Bilderbuch ist ein Klassiker: 1988 erstmals erschienen, ist es bis heute ein bezauberndes Buch mit einer nicht minder bezaubernden Geschichte über den Kreislauf der Natur, die Jahreszeiten und kleinen Bewohner tief unten im Erdreich, wenn es oben stürmt und schneit. Von BARBARA WEGMANN

Vom Habenwollen und Nichtkriegen

Kinderbuch | Philip Waechter: Toni Toni ist ein ganz normaler Junge. Und wie viele Jungs träumt er davon, ein berühmter Fußballspieler zu werden. Dafür kann man trainieren, klar. Aber es scheint noch andere, wichtige Faktoren zu geben. Von ANDREA WANNER