Lust auf Gemüse? Lust darauf, zu erfahren, wo es herkommt, wie es schmeckt, welche Eigenschaften und Eigenarten es hat? Lust auf ganz schön flotte Texte, die tägliches Gemüse weitab von Konserve und Tiefgekühltem plötzlich in ganz neuem Licht erscheinen lassen? Inhalt, Texte, Illustration: dieses Buch ist in jeder Hinsicht, auch künstlerisch, ein Genuss, meint BARBARA WEGMANN
Ach was, der Blumenkohl ist doch keine Blume. Ich gestehe mein Unwissen und lasse mich bereitwillig belehren: Doch, ist er! »Wenn nicht jemand beschlossen hätte, diesen knubbeligen Blütenspross nach ungefähr 60 Tagen Wachstum zu ernten und als Gemüse zu verspeisen, würden die einzelnen Röschen auseinander treiben und lauter gelbe Blüten daraus erwachsen.«
Dass die Tomate das mit Abstand beliebteste Gemüse der Welt ist, ok, das hätte ich auch vermutet. Ganz schön viel Respekt hatte man einst vor der roten Schale, »noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts hielt man sie in den meisten Ländern für giftig.« 3000 Sorten gibt es weltweit heute von diesen Beeren. Ja, ja, ja, die Tomate gehört zur Gruppe der Beerenfrüchte. Und in Italien bewirft man sich jedes Jahr einmal mit überreifen Tomaten. Aber man kann auch etwas Anderes damit machen: »Aus Tomatenkernen, -häuten und stielen kann man nämlich Kunststoff herstellen, der demnächst in Autos verbaut werden soll.«
Es ist eine höchst vergnügliche Fundgrube voller Wissen aus den verschiedensten Bereichen, rund um das, was wir tagaus, tagein zu uns nehmen, mögen oder ablehnen, über das, was gesund ist, nicht selten eine ganz spannende Geschichte hat. Gemüse kriegt hier ein ganz neues Profil! Und das Buch macht neugierig darauf!
Die Autorin Annette Roeder schreibt seit über 20 Jahren Kinder- und Jugendbücher, dieses nun hat zwar keine einzelne Geschichte in dem Sinne, vielmehr erzählt es gleich 26 Geschichten, von der Aubergine bis zur Kartoffel, dem Knoblauch, der Paprika, der Roten Beete, dem Spargel bis zur Erbse, auch Spinat, Zucchini und die Zwiebel sind mit dabei. Großformatig ist das Buch, stets gehört eine Seite dem Text, die andere dem Illustrator, Olaf Hajek, und der hatte ganz offensichtlich genauso viel Freude an seiner Aufgabe. »›Illustrare‹, das bedeute beleuchten, erhellen und preisen«, gesagt, getan. »Bevor er Radicchio verarbeitet, schaut er ihn genau an und hört in sich hinein … Was fällt ihm zu den rot geäderten, länglichen Blättern zuerst ein? Prächtige Stoffe. Muster. Genau, ein Kleid. Die Abendrobe für eine berühmte Diva!« Eine fantasievolle Verwandlung, vom Gemüse zur Diva! Hajek zaubert der Diva einen ‚beblätterten‘ Rock aus Radicchio, eingerahmt wird die Schöne von einem Löffel und einer Gabel in Menschengröße. Die Gesetze von Normen, Größe und Schwere sind aufgehoben. Dazu viel kräftige Farbe für den roten Chicorée, wie man Radicchio auch nennt. Bilder voller Einfallsreichtum: Da wird mit Erbsen im Zirkus jongliert, Spargel wird zur Haarnadel in hochgesteckten Frisuren, eine Ente trägt einen überdimensionalen Maiskolben im Rucksack, Elfen tanzen, Zauberer zaubern. Und immer steht das Gemüse im Mittelpunkt.
Die Bilder, ganz besonders das Titelbild erinnern auf den ersten Blick an den italienischen Maler des 16. Jahrhunderts, Giuseppe Arcimboldo, dessen Tafelbilder so berühmt wurden. Viele präsentierten Früchte, Gemüse, Obst in »überraschenden Porträts.«
Das ist hier ganz ähnlich: Unsere Nahrung dem Betrachter näher zu bringen, besonders den jungen und jugendlichen Lesern dieses besonderen Buches, das ist die Intention der beiden Autoren. Das, was täglich auf den Teller kommt, nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern etwas über das zu wissen, was man sich einverleibt. Ja, noch mehr, beide wollen junge Leser nicht nur für Essbares begeistern, sondern Denken und Fantasie anregen. »Mal lieber das, was du dir vorstellst, und nicht das, was du vor dir siehst«, rät Hajek den kleineren Lesern. »Es ist nämlich gar nicht wichtig, dass in einem Kunstwerk Tiere, Menschen, Gegenstände und Gemüse wie echt aussehen.« Dann, so sagt er, könne man ja gleich ein Foto machen.
Das Buch ist irgendwie schon ein Lehrbuch, ohne Zweifel, aber so angenehm anders, die Sprache ist frech, zwanglos und lässig, nicht so steif wie Möhren oder Spargel. So gar nicht wie ein Lehrbuch. Und erst recht nicht die verspielten Illustrationen.
Ich erfahre nicht nur etwas über Grünes, Buntes, Gesundes und Vitaminreiches, nein, es ist so viel mehr: Serviert wird das jeweilige Gemüse mit reichlicher Beilage: woher kommt es, was hat es an Besonderheiten, gibt es Rekorde? Oh ja, die längste Karotte wurde 5,41 Meter groß! Hat unser heutiges Essen auch schön Könige und Kaiser beeindruckt? O ja, »ein Blumenkohlrezept hat man sogar nach Madame Dubarry, einer der vielen Freundinnen König Ludwig XV. benannt.« Und gibt es bemerkenswerte Inhaltsstoffe der so gesunden Aubergine zum Beispiel? Na klar: Früher dachte man, die Aubergine würde Nikotin enthalten und seien so ungesund wie Zigaretten. »Quatsch. Sie enthalten zwar tatsächlich Nikotin … Aber die Menge in Auberginen ist verschwindend gering, und du müsstest 20 Kilo Früchte essen, um auf den Nikotingehalt einer Zigarette zu kommen. Und zwar roh, denn das Nikotin verschwindet beim Kochen.« Hätten sie’s gewusst?
So viele Aspekte, eine kunterbunte Mischung der Informationen, Darstellungen, die die Welt des Gemüses lebendig werden lassen, das macht riesigen Spaß zu lesen, zu lernen und zu betrachten. Wetten: das nächste Mal, wenn Rote Beete auf den Teller kommt, dann wissen Leser dieses Buches einiges mehr als andere, zum Beispiel dieses: »Geradezu außerirdisch wurde das Gemüse 1975. Da haben sich zum ersten Mal russische und amerikanische Astronauten im Weltall getroffen, gemeinsam geforscht und sich gegenseitig bekocht. Jetzt rat mal, was in der Raumkapsel Sojus als russisches Nationalgericht auf dem Speiseplan stand? Borschtsch, das ist Rote-Beete-Suppe.«
Titelangaben
Annette Roeder: Olaf Hajeks Buch vom Gemüse
Mit Illustrationen von Olaf Hajek
München: Prestel Verlag 2021
40 Seiten, 22 Euro
Kindersachbuch ab 8 Jahren
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