Kinderbuch | Petra Postert: Das brauch ich alles noch!
»Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb« – das schrieb einst Kurt Tucholsky. Was aber nun tatsächlich in den Müll wandern soll und was nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Besonders zwischen Kindern und Eltern – weiß ANDREA WANNER aus Erfahrung.
Aufräumen. Putzen. Waschen. Irgendwie gehört das immer alles zusammen und Kinder sollen es lernen. Daher ist der Ansatz, Kinder früh mit einzubinden durchaus sinnvoll. Papa sortiert also gemeinsam mit Jim die Wäsche, denn es ist Waschtag. Vielleicht eine etwas altmodische Einrichtung, aber manchmal helfen auch im Zeitalter der Waschmaschine solche Regelungen, damit Familien nicht im Chaos versinken. Und Papa geht die Sache systematisch an, »wie ein Verkehrspolizist«: Baumwolle, 60 Grad und weiß gehört nach links, bunt, pflegeleicht, 30 Grad nach rechts und die dunklen 30-Grad-Sachen sind die Mitte, die dunklen Socken extra. Jim weiß das alles schon, gemeinsam sortieren sie die Wäscheberge und Jim muss sich dann schon auch mal die Nase zuhalten bei Papas Stinkesocken. Und natürlich gehört zum Sortieren auch das Leeren der Taschen. Und jetzt wird es wirklich anstrengend. Für beide.
Ein Stein, ein Schlüssel und ein Knopf, alles eindeutig Abfall. Findet Papa. Und Jim ist entsetzt: »Das brauch ich alles noch!« Und er erklärt auch, wozu.
Die Geschichte, die Petra Postert erzählt, beginnt ganz nah am täglichen Erleben. Vater und Sohn verbringen gemeinsame Zeit, die zunächst von Alltagspflichten geprägt ist. Als Jims »Schätze« aus den Hosentaschen auftauchen, verwandelt sich die Welt um die beiden herum in ein fantastisches Märchenreich. Denn natürlich ist der verbogene und halb verrostete Schlüssel nicht irgendein Schlüssel, sondern gehört zu einem riesigen Kofferschrank, der einem Zauberer gehört. Und wie soll er zaubern, wenn alles, was er dazu braucht, in dem Koffer steckt? Und der Knopf? Der hat eine abenteuerliche Odyssee hinter sich, wurde von einem Hochseekapitän auf einer entfernten Insel verloren, von einem Dschungelforscher gefunden, wieder verloren, von einem Papagei gefunden und wieder verloren … Und was es mit dem Stein auf sich hat, ist nicht minder spannend.
Der Alltag verwandelt sich, Außergewöhnliches macht sich breit und sieht Vater und Sohn in seinen Bann.
Jens Rassmus hat wunderschöne Illustrationen dafür gefunden. Vater und Sohn als kolorierte Zeichnungen in monochromen Beige-Braun-Blautönen auf unifarbenem Grund, der fast zeit- und raumlos wirkt – auch wenn er auf dem 1. Bild eindeutig als Waschküche im Keller und auf den letzten als Jims Kinderzimmer auszumachen ist. Im Kontrast dazu stehen die malerischen Szenen mit windgepeitschten Wellen, üppiger Inselflora oder einer sehr grotesken Szene mit einer üppigen Opernsängerin, der Körten aus dem Mund hüpfen (eine Aktion des fiesen Zauberers). Dem Alltag wird die Fantasie entgegensetzt. Und das Schöne: Vater und Sohn teilen sich die beiden Reiche. Die schlichte Zuordnung Vater und Alltagswelt, Sohn und Fantasiewelt wird ausgehebelt. Beide haben Zutritt zu beiden Welten, lassen sich auf das sinnvolle Tun des Wäschesortierens und auf das Träumen und Geschichtenspinnen ein.
Die Welt steckt voller Schätze, voller Geschichten und ungewöhnlicher Dinge, man muss sich nur darauf einlassen. Schön, wenn das Vater und Sohn gemeinsam tun können. Und wenn das letzte Bild Jims ausgebreitete Schätze auf seinem Tisch liegend zeigt – eine leere Walnussschalenhälfte, eine kaputte Brille, Kronkorken, eine Muschel, ein Stück einer Gürtelschnalle, ein Fingerhut, ein Spielzeugrennwagen ohne Hinterachse … – dann weiß man, dass es noch viele Abenteuer gibt, die sich dahinter verbergen. Und da verzichtet man doch gerne auf die gesunde Ordnung und entscheidet sich für das kreative Chaos.
Titelangaben
Petra Postert: Das brauch ich alles noch!
Mit Illustrationen von Jens Rassmus
München: Tulipan 2015
36 Seiten. 14,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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