Kinderbuch | Mac Barnett, Jon Klassen: Der Wolf, die Ente & die Maus
Ein Starker, zwei Schwache, ein dunkler Wald. Eine einfache Geschichte? Nicht, wenn man so pfiffig denkt, wie Mac Barnett. Seine Geschichte lässt Leserinnen und Leser die Welt mit anderen Augen sehen. Von MAGALI HEIẞLER
Ein Wolf, stets hungrig, frisst eine Maus. Sie stirbt jedoch nicht, sondern trifft eine quicklebendige Ente im Bauch des Untiers. Die Ente hat sich überraschend gemütlich eingerichtet. Der Zuwachs in ihrem Zuhause ist ihr willkommen. Dem Wolf weniger, Partys verursachen gewaltige Bauchschmerzen. Das erschüttert unsere neuen Freunde nicht.
Gefährlich wird es, als ein Jäger auf den Wolf aufmerksam wird. Schon beginnt die Jagd. Sie bedroht nicht nur den Wolf, sondern auch das süßen Leben von Ente und Maus. Etwas muss geschehen! Es geschieht. Ente ist schließlich nicht auf den Kopf gefallen.
Scherz und Entsetzen
Barnetts Geschichte ist keine gemütliche. Sie beginnt mit Schreck und Entsetzen und sie endet mit Schmerzen. Die Knappheit der Sätze und die aufs Äußerste reduzierte Handlung verstärken diese Gefühle nachdrücklich. Die Absurdität des Ganzen gekoppelt mit Witz im klassischen Sinn, heben das Konstrukt gleichermaßen auf die komische wie philosophische Ebene. Volksmärchen, Fabel, Verschmitztheit und zeitgemäßes Kalkül sind Ingredienzien der anarchistischen Handlung.
Die Ängste sind spürbar, zugleich reagiert man mit Lachen und stellt vor allem aber erstaunt fest, dass neue Erkenntnisse vermittelt wurden. Gefühle werden beim Lesen und Betrachten stark angesprochen. Sie werden tatsächlich recht gewaltsam geleitet. Zuerst leidet man mit der Maus, die ihr letztes Stündlein nahe glaubt. Dann folgt der nächste Schreck, die zweite unheimliche Begegnung im dunklen Bauch des Wolfs. Ihr schließt sich das Wundern an und dann das große Staunen, wenn man langsam begreift, dass hier alles auf dem Kopf gestellt wurde. Frechheit siegt, lautet die neue Parole. Doch auch sie wirkt nur scheinbar umfassend.
Kaum steht man einigermaßen sicher auf dem Kopf, folgt sozusagen das zweite Kapitel der Geschichte. Noch einmal wird alles durcheinandergewirbelt. Spannung ist garantiert. Gelächter ebenfalls. Die Ente ist mit allen Wassern gewaschen, keine Frage. Zur Frage wird eher, wem das Mitgefühl und das Mitleiden von nun an gelten sollen. Die Entscheidung bleibt den Leserinnen überlassen, das eigentlich Raffinierte an der Geschichte ist, dass man wieder und wieder und mit wechselnden Standpunkten darüber diskutieren kann.
Trost in der Unsicherheit des Daseins
Unsicherheit ist das beherrschende Element in dieser Geschichte. Wie soll man reagieren? In den Fängen des Starken lebt es sich beengt, aber zugleich wird man beschützt. Das ist das Credo von Ente. Dass man deswegen nicht unbedingt in der schwächeren Position bleiben muss, beweist sie auch. Sie hat den Kniff entdeckt, wie sie es sich gutgehen lassen kann in ihrer beschränkten Lage. Ist das nun Schwäche oder Stärke?
Doch auch Ente muss noch etwas lernen. Jeder Starke trifft einmal einen, der noch stärker ist. Auf einmal ist die gewonnene Sicherheit wieder unsicher geworden. Köpfchen haben allein genügt nicht. Alles hat seinen Preis.
Dass sich die zunächst schwache Partei durchsetzt, ist tröstlich für Leserinnen und Leser. Ebenso, dass Ängste überstanden werden können und in etwas Positives verwandelt.
Eindeutig ist Barnetts Geschichte aber keineswegs. Denn Maus und Ente verhalten sich nicht gerade so, dass man ihnen mit ungebrochener Sympathie begegnet. Traditionelle Parteinahme ist nicht möglich, das ist eine große Herausforderung nicht nur für ein junges Publikum. Das Leben bringt eben mehr Unsicherheiten als Sicherheiten.
Jon Klassens Illustrationen sind ebenso schlicht und knapp wie die Geschichte. Der Wolf ist groß, zottig und recht bedrohlich im Verhältnis zu den weit zierlicheren beiden anderen Tieren. Stutzig wird man allerdings, wenn man dem Wolf in die Augen sieht. Lauert da wirklich Böses? Überhaupt lohnt es sich, beim Betrachten auf den Augenausdruck zu achten. Es ist faszinierend, wie allein mit der jeweiligen Positionierung der Pupillen ein facettenreiches Mienenspiel bei Figuren vorgetäuscht werden kann, die eher Plüsch- als echten Tieren nachempfunden sind.
Angst und Schrecken finden sich gleichfalls in den kargen und auf Geraden ausgerichteten energischen Strichen. Die Farben sind eher blass, als ob die Welt in Mondlicht getaucht ist oder in zarte Dämmerungen. Zugleich wirken sie tröstlich. Selbst in der tiefen Schwärze im Wolfsbauch schimmern warme Brauntöne, das Innere der Mäuseöhrchen ist freundlich fleischrosa, wie im Übrigen der gesamte Vorsatz, der gelbe Entenschnabel scheint verhalten pastellig in warmem Orange, ein Farbton, der in zarten Varianten dann gleich mehrfach aufgenommen wird.
Für die Ausstattung der Entenhöhle im Bauch hat Klassen sich so manches einfallen lassen, über das man sich großartig amüsieren kann, egal ob in Küche, Wohn- oder Schlafecke. Die Illustration des Höhepunkts der Action, sozusagen, ist gleichermaßen mitreißend überzeugend wie urkomisch. Dabei gibt es Details zu entdecken, die auch bei mehrfacher Betrachtung des Spektakels staunen lassen. Illustration, Figuren und Handlung spielen perfekt zusammen, das herrscht die Harmonie, die im Leben so selten ist.
Das Buch ist ein gewisses Wagnis, vor allem, wenn man es sehr kleinen Kindern anbieten möchte. Aber man soll es sich zutrauen, die absurd-intelligente Geschichte und die besondere Note der Illustration sind ein Fest für Kopf, Augen und Herz gleichermaßen.
Titelangaben
Mac Barnett, Jon Klassen: Der Wolf, die Ente & die Maus
(The Wolf, the Duck & the Mouse, 2017) Übersetzt von Thomas Bodmer
Zürich: NordSüd Verlag 2018
40 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander