Fluchthelfer der dritten Art

Comic | Ulf S. Graupner / Sascha Wüstenfeld: Das UpGrade Bd. 1+2

Einst beim Berliner ›zitty‹-Verlag veröffentlicht, bringt ›Cross Cult‹ Graupners und Wüstenfelds wahnwitzige Science-Fiction-Superhelden-Ostalgie-Orgie ›Das UpGrade‹ heraus. CHRISTIAN NEUBERT hat sich die vorliegenden ersten beiden Bände reingezogen – und wurde selbst in einen farbenfrohen Kosmos gezogen, in dem man sich sehr gerne verliert.

UpGrade1Zunächst: ein Exkurs in drei Sätzen. Demnach fielen jährlich 60.000 Tonnen Sternenstaub auf die Erde. Eines dieser Staubkörner, das sich vor rund 2.700 Jahren auf dem Weg zur Erdoberfläche befand, würde aus all dem Staub auf besondere Weise herausstechen. Dann: ein bärtiger, aufgedunsener Kerl im Trainingsanzug. Der 25-jährige Ronny Knäusel. Auch er befindet sich auf dem Weg zur Erdoberfläche, scheinbar stürzt er gerade aus dem Fenster eines Hochhauses. Schließlich: die Staatsgrenze der DDR anno 1988. Der 21-jährige Ronny Knäusel. Auf dem Körper das Blauhemd, das ihn als FDJ-Mitglied ausweist. Am Gürtel ein Walkman, der gute alte LCS 1010 vom VEB Elektronik Gera, auf den Ohren der zugehörige Kopfhörer DMK 85. In seinem Gesicht ein entschlossener Blick. Um ihn herum eine Gruppe von Menschen, die offenbar ihren Hausrat mit sich führt – und die sich plötzlich jenseits der Grenze befindet. Im Freistaat Bayern.

Teleportierender Jungpionier

All das bildet den Einstieg in den ersten Band von ›Das UpGrade‹. Eine Menge Input für acht Comic-Doppelseiten – und die folgenden bergen noch viel mehr zu verarbeiten. Ein gewisser Cosmo Shleym, einst gefeierter Rockstar, betreibt in Malibu eine Radiostation. Früher trat er bei den X. Weltfestspielen in Ost-Berlin auf, selbst Erich Honecker outete sich als Fan. Heute ist er auf der Suche nach dem »Translokaten«. Und klaut für diese Zwecke einem Pizzaboten den Kopfhörer.

Cosmo Shleym, soviel steht fest, steht in direkter Verbindung zu Ronnys Fähigkeit der Teleportation bzw. der Translokation. Denn offenbar hat die Gabe, die Ronny bereits als Schulbub zum Super-Jungpionier macht, etwas mit Cosmos größtem Hit »Palms In Sorrow« zu tun.

Wie all das jedoch zusammenhängt, bleibt vorerst unklar. Auch, ob und inwiefern es sich auf die UpGrades auswirkt, die Ronnys Leben begleiten: das von einem geteilten Deutschland zur wiedervereinigten BRD. Oder jenes vom Abo des Ost-Jugendmagazins ›Neues Leben‹ zum westlichen Tittenheft ›Coupé‹.

Folgenschwere UpGrades

UpGrade2Insofern bleiben Fragen offen. Und Münder staunend geöffnet. Denn was die Herren Graupner und Wüstenfeld mit ›Das UpGrade‹ abliefern, ist selbst ein UpGrade. Das nämlich vom deutschen Genre-Comic. Ihre gestalterischen Ideen und Fertigkeiten machen unerhört Spaß – und lassen vergessen, dass die umwerfend gestaltete, knallig bunte und sagenhaft gelayoutete Science-Fiction-Superhelden-Ostalgie-Orgie zur Randexistenz im ohnehin randständigen deutschen Comic-Kosmos gezwungen wird, ist sie doch keine Biographie. Dabei hat sie durchaus das Zeug, auf internationalem Level mitzuspielen. Auch, wenn von den Machern noch vieles geklärt und verdichtet, noch viel entwirrt werden muss.

Denn auch der zweite Band der auf zehn Bände angelegten Reihe bringt kaum Licht ins Dunkel. Im Gegenteil wirft er noch mehr Fragen auf: Was hat es mit Frau Bellmann auf sich, der Leiterin von Ronnys Pioniergruppe? Was verbindet sie und den Translokaten mit den alten Azteken? Wie passt das Comicmagazin Mosaik da mit rein? Beruht alles auf einem großen universalen Psilocybinrausch? Und warum Würfel, all die Würfel?

Fragen über Fragen. Hoffentlich lässt einen das Laune machende, auf zehn Bände angelegte Crossover-Epos nicht länger mit ihnen allein. Vielleicht bringt ja der nächste Band etwas mehr Licht ins Dunkel? Er erscheint im Mai …

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Ulf S. Graupner / Sascha Wüstenfeld: Das UpGrade Band 1 / Band 2
Ludwigsburg: Cross Cult 2015
Je 64 Seiten. Je 20,00 Euro
Erwerben Sie Band 1 portofrei bei Osiander
Erwerben Sie Band 2 portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Was ist ein Leben in Reichtum wirklich wert?

Nächster Artikel

Realityshow Russland

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Frisch gezeichnet aus Bangalore

Comic | Sebastian Lörscher: Making Friends in Bangalore Aus allen Winkeln der Welt erhalten wir heutzutage sekundenschnell die merkwürdigsten Selfies von Freunden und Bekannten. Geradezu altmodisch hat sich Sebastian Lörscher einen Monat Zeit gelassen für die »Aufnahmen« und legt ein volles Skizzenbuch aus Indien vor: ›Making Friends in Bangalore‹. Vom Strudel der szenischen Eindrücke ist PIEKE BIERMANN ganz hingerissen.

Die Leiden der jungen Raina

Comic | Raina Telgemeier: Smile Die Comiczeichnerin Raina Telgemeier ist in ihren jungen Jahren einmal gehörig auf die Schnauze gefallen. In ihrem autobiographischen Comic Smile erzählt sie davon, wie sie sich bei einem Sturz die Zähne demoliert und deswegen, wie es scheint, den Großteil ihrer Jugend beim Zahnarzt verbracht hat. Ist das eine Graphic Novel wert? STEFANIE HÄB hat sich die preisgekrönten Memoiren genauer angesehen.

Reduzierte Sezierung

Comic | Gipi: MSGL – Mein schlecht gezeichnetes Leben In ›MSGL – Mein schlecht gezeichnetes Leben‹ lässt Gipi tief in seine bewegte Biographie blicken – mit Bildern, da widerspricht CHRISTIAN NEUBERT dem italienischen Comic-Künstler, die gar nicht mal so schlecht sind.

So sexy, wie Schande nur sein kann

Comic | Lovern Kindzierski, John Bolton: Shame Ein morbides Schauermärchen in starken Bildern: Mit dem bei Splitter verlegten Comic ›Shame‹ beweist sich der viel gebuchte Kolorist Lovern Kindzierski auch als Autor. CHRISTIAN NEUBERT hat sich den Bein zeigenden Band vorgenommen.

Batman und Paul

Comic | Paul Dini / Eduardo Rosso: Dark Night Die Anzahl an Comics über den Superhelden Batman sind inzwischen Legion, und auch die Zahl derer unter ihnen, die der Zeichner und Texter Paul Dini kreiert hat, ist sehr ansehnlich – war er doch bei der Schaffung von diversen Comics und Animationsfilmen beteiligt, wie ›Hush – Herz der Finsternis‹ oder ›Arkham City‹, und er hat sich die Superschurkin Harley Quinn ausgedacht. Doch seltener sind Autobiographien, in denen Batman eine zentrale Rolle spielt. Wie sehr die Welt des dunklen Ritters Paul Dini beherrscht, zeigt nun sein neuer autobiographischer Comic ›Dark Night. Eine