Jugendbuch | A.S. Bodeen: Nichts als überleben
Honolulu, die Midway Inseln, Sonne und Meer: wer geriete da nicht ins Schwärmen. Für die 15jährige Robie ist das Alltag und sie ist sich nicht sicher, ob sie das alles so beneidenswert finden soll. Das wird sich ändern. Von ANDREA WANNER
Eigentlich ist Robie mit ihrem Leben auf dem Korallenatoll mitten im Pazifik, wo ihre Eltern als Biologen forschen, sogar ziemlich oft ziemlich unzufrieden. Die einzigen Kontakte zu Gleichaltrigen gibt es über das Internet – und das funktioniert oft nicht. Abwechslungen bringen Besuche bei ihrer Tante AJ, der jüngeren Schwester ihres Vaters, in Honolulu. Da ist das Leben ein bisschen mehr so, wie Robie sich das wünscht. Und genau so einen Honolulu-Aufenthalt genießt sie zu Beginn der Geschichte.
Mit dem Geld und der Erlaubnis ihrer Tante hat sie sich ein Nasenpiercing stechen lassen, eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit. Das Leben ist leicht und sorgenfrei, gemeinsam bummeln die beiden durch die Stadt, schauen sich Serien an, gehen essen oder liegen am Pool. Auf das Meer hat Robie wenig Lust, eine besonders gute Schwimmerin ist sie auch nicht. Mit dem neuen Piercing darf sie aber sowieso nicht ins Wasser – wegen der Infektionsgefahr. Und dann bekommt AJ einen Anruf und einen Auftrag, was eigentlich Robies Abschied und Heimkehr nach Midway bedeutet. Es kommt anders.
Robie gelingt es, AJ zu überreden, dass sie alleine in AJs Wohnung bleiben darf. Die Freundin, die einmal täglich nach Robie schauen soll, kann aber nicht kommen. Und Robie merkt schnell, dass sie alleine gar nicht mutig genug ist, sich dem Leben zu stellen. Alles wirkt unheimlich und der Spaß ist schnell dahin. Zeit für den Rückflug nach Hause. Denn tritt sie dann auch in einer Frachtmaschine, mit der sie schon öfters unterwegs war, an. An Bord sind Larry, der Pilot, Copilot Max und Robie. Alles ganz normal. So lange, bis das Flugzeug in ein Gewitter gerät und notwassern muss. Für Robie beginnt ein Albtraum ungeahnten Ausmaßes.
Die amerikanische Autorin S.A. Bodeen schildert eine Extremsituation, mit der ein junges Mädchen klarkommen muss. Der Pilot ist tot, Max schwer verletzt. Sie treiben in einem Schlauchboot auf dem Pazifik ohne Wasser und ohne Nahrung. Robie kennt die Gefahren des Meeres, was die häufigsten Todesarten nach einem Schiffbruch sind, findet sie schnell auf einer laminierten Karte mit Hinweisen zu den »Rettungsmaßnahmen auf See«: Ertrinken; Unterkühlung; Dehydration… Was tun? Seite um Seite geht es um buchstäblich »nichts als überleben«. Um die Gedanken einer 15jährigen, die aus der Ich-Perspektive erzählt, wie der Durst Stunde um Stunde wächst, wie der Hunger zu Bauchschmerzen führt, wie sich das Nasenpiercing entzündet und winzige Hoffnungsmomente aufblitzen, um gleich wieder tiefster Verzweiflung Platz zu machen. Wie Aktionismus sinnlos verpufft, wie sich Resignation und Gleichgültigkeit ausbreiten. Ein winziges gelbes Schlauchboot mit einem Mädchen darin, das nicht weiß, wie es weitergehen kann. Denn zwischenzeitlich hat Robie entdeckt, dass sie nicht als Passagierin auf der Liste stand und niemand weiß, dass sie in dem abgestürzten Flugzeug saß.
Man entdeckt viele klassische Motive aus Büchern und Filmen zu den Themen Schiffbruch, Flugzeugabsturz und Leben auf einer einsamen Insel wieder. Bodeen kombiniert sie überzeugend, lässt Robie mit der Erfahrung eines 15jährigen Teenagers agieren und baut ihr Wissen über Fauna, Flora und Geografie der Inselgruppen im Pazifik geschickt ein. Robies Bericht ist ebenso spannend wie beklemmend und orientiert sich bis zum letzten Satz an dem vorangestellten Orwell-Zitat: »Um zu überleben, muss man kämpfen, um zu kämpfen, muss man sich schmutzig machen.« Dabei geht es nicht nur um den äußerlichen Dreck, sondern auch um Fragen der Moral. Wie weit geht man für das eigene Überleben und welchen Preis ist man bereit dafür zu bezahlen?
Titelangaben
A.S. Bodeen: Nichts als überleben
(The Raft, 2012)
Weinheim: Gulliver 2015
222 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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