/

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein

›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von Neid und Missgunst zerfressen wäre. Von DIETMAR JACOBSEN

Wien kann sehr kalt sein von Georg Koytek
Wien kann sehr kalt sein von Georg Koytek
Die Unfälle häufen sich im berühmtesten Sprechtheater der deutschsprachigen Welt. Ein Messer, das eigentlich stumpf sein sollte, wird einem Schauspieler, der es sich spielerisch über die Kehle zieht, beinahe zum Verhängnis. Während einer Hamlet-Aufführung wird der bekannte Schauspieler Josef Meersburg von mehreren Lanzen durchbohrt, die, von der Unterbühne hochfahrend, ein anrückendes Heer symbolisieren sollen. Exitus! Und schließlich stürzt auch noch einer der Tontechniker des Theaters vom Schnürboden in den Tod. Zufall oder Absicht, fragt sich die Kriminalistin Paula Kisch und schickt ihren Ex-Kollegen Conrad Orsini als Komparsen undercover unter die Theaterleute. Der braucht nicht lange, um etlichen Ungereimtheiten auf die Spur zu kommen.

Hamlet wird gerade geprobt, als Orsini unter dem Namen Conrad Beer einen Komparsenjob an der »Burg« antritt. Und weil er bald zum Anführer einer kleinen Vierzig-Mann-Armee aufrückt, die während des gesamten Stücks in ständig wechselnden Uniformen Bühnenpräsenz zu zeigen hat, bekommt er eine Menge mit. Regisseurseitelkeiten, die alle anderen nerven, Intrigen und Hinterträgereien unter dem Personal, veritable Nervenzusammenbrüche und Psychospielchen, mit denen sich die Burgschauspieler gegenseitig das Leben schwer machen.

Undercover in der »Burg«

›Wien kann sehr kalt sein‹, der vierte Auftritt von Kisch und Orsini, die sich auch jenseits ihrer Arbeit zueinander hingezogen fühlen, das aber nicht so richtig zu kommunizieren vermögen, profitiert davon, dass die eine Hälfte des Autorenpaares jahrelang hauptberuflich als Tontechniker an der Wiener Burg unterwegs war. So kommt man im Gefolge des Helden noch in die entlegensten Ecken des berühmten Hauses, balanciert mit ihm in schwindelerregender Höhe über der Bühne, taucht in die Werkstätten der vielen Gewerke ein und landet nach dem letzten Vorhang im Theateruntergrund, wo zünftig gebechert und wacker gestritten wird.

Dass es auch in der Theaterwelt an krimineller Energie nicht mangelt, muss Orsini schon ziemlich bald nach seinem Dienstantritt im Komparsenheer erfahren. Misstrauisch beäugt von den einen, als möglicher Spießgeselle umworben von anderen und ignoriert von den Machern des Bühnenspektakels, deren nicht immer ganz saubere Beziehungen untereinander der Undercover-Agent nach und nach aufdeckt, wird seine Aufgabe von Tag zu Tag schwerer. Und so verwundert es nicht, dass er, bevor er die dunklen Geheimnisse, die hinter den Morden im Burgtheater stecken, am Ende lüftet, nicht nur Gefahr läuft, entdeckt zu werden, sondern auch um das eigene Leben fürchten muss.

Realistische Krimikost, gut recherchiert

Koytek & Stein unterscheiden sich von Autoren wie Wolf Haas, Thomas Raab oder Manfred Wieninger, die dem österreichischen Kriminalroman in den letzten gut anderthalb Jahrzehnten sein unverwechselbares neues Gesicht gegeben haben, durch ihre geradlinige Erzählweise ohne große stilistische Marotten. Genaue Recherche bürgt für einen realistischen Zugriff auf den Gegenstand. Das allerdings führt gelegentlich zu einer Breite der Darstellung, die dem Spannungsbogen des Ganzen nicht unbedingt zuträglich ist. Einhundert Seiten weniger hätten es deshalb sicher auch getan und wahrscheinlich sogar dafür gesorgt, dass der mehr auf Spannung und Aktion und weniger auf kulturhistorische Information erpichte Krimileser noch ein bisschen besser auf seine Kosten gekommen wäre.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Georg Koytek, Lizl Stein: Wien kann sehr kalt sein
München: btb Verlag 2015
480 Seiten. 9,99 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Dem »Milchbrötchen« gefolgt

Nächster Artikel

Kleiner Mann – was nun?

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Ewiges Leben

Roman | Polina Daschkowa: Bis in alle Ewigkeit Polina Daschkowa ist die Grand Dame unter den russischen Krimiautorinnen. Immer wieder verbindet sie in ihren Romanen Vergangenheit und Gegenwart: Was einst geschah, zeitigt Folgen im Jetzt. In ihrem neuen Roman Bis in alle Ewigkeit lässt sie den Urgroßvater ihrer Heldin im Jahre 1916 eine sensationelle Entdeckung machen. Der Mann ahnt freilich nicht, dass er damit noch fast 100 Jahre später das Leben seiner Nachkommen in Gefahr bringt. Von DIETMAR JACOBSEN

Ein Kleeblatt bringt nicht immer Glück

Roman | Arne Dahl: Sechs mal zwei Sie sind wieder da: Sam Berger und Molly Blom. Wer Arne Dahls ersten Band seiner neuen Thrillerserie im vergangenen Jahr gelesen hat, konnte es kaum erwarten. Denn ›Sieben minus eins‹ endete mit einem Cliffhanger, der es in sich hatte. Von DIETMAR JACOBSEN

Ein prägendes Strukturprinzip

Hendrik Buhl, Tatort. Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe TATORT ist und bleibt im Gespräch. Er prägt den Anfang oder, wem das besser gefällt, das Ende der Woche, jedenfalls den Sonntagabend, ist eine der letzten Familienbastionen auf unseren Flachbildschirmen, und es gibt seit Längerem die Tradition, sich in Cafés oder Bars zu versammeln, um den TATORT gemeinsam zu genießen. Mitunter ergattert man den letzten Platz in einem Café, in dem sich studentisches Publikum sammelt. Spießbürgertum bei der nachwachsenden Generation? Wer weiß das schon, die Welt ist bunt. Seit einiger Zeit gibt es sogar das eigenständige satirische Format Tatortreiniger. Von WOLF SENFF

Von Müllfahrern und Nadelstreifen

TATORT 912 Alle meine Jungs (RB), 18. Mai In Bremen sucht man den Clanstrukturen auf den Grund zu kommen, das ist verdienstvoll, vor Kurzem hatten wir einen türkischen Familienclan, diesmal, jenseits allen Rassismusverdachts, ist’s eine Abteilung bei den Müllfahrern. Einer wie der andere sind sie Ex-Knackis, alle wohnen in derselben Straße, welch ein Zufall, eine nachbarschaftliche Gemeinschaft gewissermaßen, wie schön, da hat man, klar, gemeinsame Interessen, das schweißt zusammen und niemand wird alleingelassen. Von WOLF SENFF (Foto WDR/J.Landsberg)

Ganzer Einsatz

Roman | Donna Leon: Verschwiegene Kanäle

Der 12. Brunetti Fall ist es nun schon, aber von literarischer Ermüdung in Sachen kniffliger venezianischer Polizeiarbeit kann bei Donna Leon nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil, der neue Fall, der in die »militärische Eliteschmiede« der Stadt führt, fordert den ganzen Einsatz des Commissarios. Von BARBARA WEGMANN