Surreale Superhelden

Comic | Asaf Hanuka (Texte und Zeichnungen): Der Realist, Bd. 1

Es gibt diverse Graphic Novels, die sich mit Israel und der dortigen politischen Kultur auseinandersetzen. Mit der Kriegsstimmung, den religiös-ethnischen Konflikten, der Armut, der Angst, manchmal auch der Paranoia. Nun gesellt sich ein weiterer Comic dazu, nämlich Asaf Hanukas ›Der Realist, Band 1‹. Die in diesem Band versammelten Cartoons stammen ursprünglich aus einer Wochenzeitung und schildern autobiographisch und auf witzige und dezidiert surrealistische Weise den Alltag von Hanuka in Tel Aviv. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den Comic angesehen.

therealistDie Illustrationen und Ein-Seiten-Comics beschäftigen sich mit der Frage, wie es ist, als durchschnittlicher Familienvater sein Leben in der Dauerkriegszone Israel zu verbringen. Hauptperson ist Hanuka selbst, der als Comiczeichner und freier Kunstlehrer versucht, über die Runden zu kommen. Als jemand, der ständig Geldsorgen hat, der nach Handyspielen und Facebook süchtig ist, der sich als Iraker in Israel manchmal minderwertig fühlt, der Eheprobleme hat und dessen Sohn – später auch dessen neugeborene Tochter – ihn ständig vor neue Herausforderungen stellt. Dieser Alltag, der sich problemlos auch auf Kunstschaffende aus westlichen Regionen transferieren ließe, kulminiert immer wieder mit der omnipräsenten Bedrohung eines Krieges, der nahenden Möglichkeit eines Todes in Tel Aviv.

›Der Realist‹ zeigt sich dabei melancholisch und pessimistisch. Dem Autor zufolge kommt dies daher, dass er nur dann etwas zu erzählen und zu verarbeiten hat, wenn er mit persönlichen Problemen konfrontiert wird. Doch sein besonderer Trick dabei ist, dass dieser Pessimismus, der auf manchen Seiten bereits den Tod mit der Familie marschieren lässt oder einen Atomschlag bzw. den finanziellen Ruin der Familie antizipiert, mit Humor und Surrealismus vermittelt wird. Ersteres ermöglicht eine kurzzeitige Unterhaltung und zaubert den Lesenden häufig ein bitteres Schmunzeln auf das Gesicht; Letzteres regt zum Nachdenken an und verpackt dies in einer manchmal zynischen oder ironischen, aber meist packenden Metaphorik und Symbolik.

Die groteske Kluft zwischen Realität und Hoffnung

Denn gerade sein Surrealismus vermittelt oft die Kluft zwischen Hanukas ernüchternder Realität und seinen Hoffnungen oder Wunschvorstellungen. Mal blickt er verzweifelt in den Spiegel und sieht sich als eines seiner Kindheitsidole, nämlich als Comic-Superheld; mal verfremdet er dies auch, indem er in dickbäuchig im Heldenkostüm, resignativ dreinblickend, in der Gosse steht. Mal stellt er seinen Wunschtraum von Reichtum und beruflicher Anerkennung seinen bescheidenen Verhältnissen spiegelverkehrt an der Vertikale entgegen. Mal erschießt er sich auch frustriert beim Zeichnen, und aus seinem Kopf sprießen dabei die Süßigkeiten, auf die sein verzogener Sohn so scharf ist.

Auch Hanukas Farbgebung in ›Der Realist‹ ist durchaus gelungen. Oft überzeichnet er sein Umfeld als blasse elegante Wesen, während er eine braunere Hautfarbe hat, wobei Kinder meist eher gelbliche Haupttöne haben. Insgesamt ist das Werk sehr bunt gestaltet, was wiederum stilistisch die resignative inhaltliche Stimmung grotesk und verfremdend zu bekämpfen sucht. Oft genug korrelieren also Form und Inhalt und ergeben so eine neue, manchmal tiefsinnige Funktion.

Die einzelnen Cartoons Hanukas sind dabei zwar abgeschlossene kurze Geschichten oder Ausschnitte, und sie beziehen sich nie explizit aufeinander. Dennoch kommen in regelmäßigen Intervallen die verschiedenen Problemkomplexe – von weinenden oder sauren Kindern und Babys bis zum neuen Krieg Israels – immer wieder auf. Aber gerade dadurch, dass die einzelnen Cartoons lose verbunden und kurz sind, erhalten Lesende hier kleine appetitliche Häppchen einer tiefsinnigen Comickunst. Da darf man sich schon auf die feinsinnige Fortsetzung von ›Der Realist‹ freuen.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Asaf Hanuka (Texte und Zeichnungen): Der Realist, Bd. 1
Aus dem Hebräischen von Uri Reick
Ludwigsburg: Cross Cult 2015
192 Seiten, 29,95 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

SAO: Kein Liebeslied

Nächster Artikel

Ein schweres Erbe

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Doppeltes Glück mit dem roten Affen!

Comic | Joe Daly: Doppeltes Glück mit dem Roten Affen Comic-Zeichner scheinen kein sehr selbstzufriedenes Völkchen zu sein. Das könnte man zumindest glauben, wenn sie Vertreter ihrer eigenen Zunft porträtieren. Ob das Hideo aus I am a Hero ist oder jetzt Dave aus Joe Dalys Doppeltes Glück mit dem Roten Affen, meistens handelt es sich um jammernde Muttersöhnchen ohne Mutter, die mit verhassten Auftragsarbeiten Geld zu verdienen suchen.

Kleiner Mann – was nun?

Comic | Hubert / Gatignol: Petit Mit ›Petit‹ entwirft Comicautor Hubert ein grimmiges Antimärchen zwischen ›Hans und die Bohnenranke‹ und ›Der Kleine Däumling‹. Zeichner Bertrand Gatignol findet für den Band schaurig-schöne Bilder, Rezensent CHRISTIAN NEUBERT lobende Worte. Grund für verhaltenen Tadel allerdings auch.

Ein Dichterinnen-Leben in Bildern

Comic | O.Matiychuk,O.Staranchuk,O. Gryshchenko: Rose Ausländers Leben im Wort

Eine kleine, aber feine Graphic Novel von Oxana Matiychuk aus dem unabhängigen Verlag danube books aus Ulm beschäftigt sich mit dem Leben der Poetin Rose Ausländer. Illustriert von den Künstlern Olena Staranchuk und Oleg Gryshchenko behandelt der Band in rot-grün-grau-schwarzen gedeckten Farben das Leben und Werk der jüdisch-deutschen Dichterin. Von FLORIAN BIRNMEYER

Coming of Age, State of the Art

Comic | Bastien Vivès: Eine Schwester Mit der Comic gewordenen Sommerromanze ›Eine Schwester‹ bezeugt der französische Comic-Nachwuchsstar Bastien Vivès erneut seine junge Meisterschaft als Zeichner und Erzähler. Von CHRISTIAN NEUBERT

Seinerzeit in Taiwan

Sean Chuang: Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan   Comiczeichner und Werbefilmer Sean Chuang blickt zurück: Der im Zürcher Verlag Chinabooks zweisprachig veröffentlichte Band ›Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan‹ möchte anhand biographischer Comic-Episoden einem Lebensgefühl in einer Zeit des Umbruchs nachspüren. Von CHRISTIAN NEUBERT