Bühne | ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ und ›Hamlet‹
Der Todestag William Shakespeares jährt sich im April zum 400. Mal. Gerade deshalb liegt der Schwerpunkt des aktuellen Pforzheimer Theater-Spielplans auf den entsprechenden Stücken des Meisters der »ebenso wortgewaltigen wie zeitlos anmutenden Sprache«, wie Chefdramaturg Peter Oppermann das auf den ersten Seiten des Programmhefts zu Alexander Mays Inszenierung von ›Hamlet‹ (deutsch von Frank Günther) und ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ in der Inszenierung von Caroline Stolz (deutsch von Hanno Lunin) beschreibt. Eine Doppelinszenierung, mit verschiedener dramaturgischer und theatralischer Gestaltung aus unterschiedlichen Perspektiven der Figuren, rund um ein und dasselbe Thema, ist nicht gang und gäbe. Von JENNIFER WARZECHA
Bei einem Meister, bisher aber in Deutschland relativ unbedeutenden Regisseur des Absurden Theaters wie Tom Stoppards, ist alles drin – und das je nachdem, ob der Zuschauer eher Optimist oder Pessimist ist und sich damit einlassen kann auf die Welt der innersten Gefühle wie der inneren Leere und Sinnlosigkeit und der Frage nach dem Sinn des Lebens und des Weltschmerzes – und das Ganze dementsprechend anders wahrnimmt und damit umgeht. Das offenbart die Welt und Deutungsebene des Absurden gerade in der Pforzheimer Kombination von Tragödie und Komödie – bei ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ gerade durch die teilweise gestörte und unlogische Sprache sowie eines unlogischen Handlungsaufbaus und des Weglassens einer intentionalen Handlung. Gerade durch die häufige Typisierung der Figuren bleibt der Zuschauer mitunter auch ein wenig ratlos zurück. Die über das jeweilige Stück vermittelte Leere und vermeintliche Sinnlosigkeit verschafft dem Zuschauer zugleich aber weiteren Raum dafür, über die Betrachtung des Stückes und das daraus resultierende Nachdenken über sich selbst auf diese Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz und weiteren Fragen eine Antwort zu finden.
Einerseits ist da die zutiefst menschliche Ebene, die in allen Shakespeare-Stücken zum Tragen kommt: Es geht um Individualität, innere Leere und Sinnsuche, was gerade im Absurden Theater nach Samuel Beckett, Ionesco und Co. auch als Existenzialismus bezeichnet wird. Das sorgt gerade bei ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ sowohl für Empathie, aber auch Verwirrung des Publikums, wie gerade das anschließende Publikumsgespräch unter Beweis stellt. Warum zum Beispiel verharren Rosenkranz (souverän und bei allen komischen Einlagen stets authentisch: Sergej Gößner) und Güldenstern (stellenweise zu komisch und fast lächerlich: Henning Kallweit) auf einmal für eine gefühlte Ewigkeit wie Statuen, also schier bewegungslos, ineinander verkeilt, mit bestimmten und resoluten Gesichtern auf der Bühne? Warum genau dauert das Warten so lang und was soll es letztendlich bringen? »Warum also passiert nichts?«, fragt dann einer der Zuschauer. Schauspieler Markus Löchner, im betreffenden Stück in der Rolle des Schauspielers 1 gekonnt und bravourös zu sehen, dementiert das: Es passiere in dieser Wartezeit im Gegenteil viel, und zwar würden nahezu alle Lebens- und Schicksalsfragen behandelt, derer jeder Mensch zeit seines Lebens gewahr würde. Genau dieses Konzept steckt auch hinter ›Hamlet‹.
So ist zwar nicht jeder Mensch damit konfrontiert, dass er wie im Falle der Gefährten Hamlets, Rosenkranz und Güldenstern vonseiten des Königs Dänemarks via Brief und also schriftlicher Beurkundung dazu aufgefordert wird, den gemeinsamen Freund und Weggefährten, Hamlet, zu ermorden. Den Konflikt als solchen: Wie gestaltet man eine Beziehung über drei Ecken und was nährt und was gefährdet sie – wie bei ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹, dürfte aber wohl nahezu jeder kennen. Und auch der Vater, der Hamlet im gleichnamigen Stück recht früh entrissen wird, dürfte die eine oder andere reale Lebensbiographie zumindest beeinträchtigen. Und doch ist in der Welt der Fiktion und damit in der dargestellten Welt des Schauspiels etwas anders: Hamlets Spiegelbild, sozusagen Freud’sches Über-Ich (selbstbewusst, kühn und souverän, einfach gelungen: Theresa Martini), ist die gesamte Spieldauer des ›Hamlet‹-Schauspiels gegenwärtig und sie ist es auch, die durch ein Fingerschnipsen mit erhobener Faust und selbstbewusstem Gesichtsausdruck, das Stück beschließt. Dabei kritisiert sie Hamlet sowohl für seine vermeintliche Doppelmoral, nämlich dann, wenn er, einen Becher mit Weihrauch in der Hand haltend, von der »ehrenwerten Königin«, seiner Mutter, spricht, zugleich aber auch von seinem Vater, der noch eine Weile als irrer Geist umherirren werde.
Kurz danach zertritt Hamlet wie im ekstatischen Rausch das aktuelle Bühnenbild. Ein neues, mit dem Abbild der ihn umgebenden und tragenden Bühnenbrettern, samt einer Mauer, wird aufgezogen. Hamlet (gekonnt, souverän und tiefgründig: Robert Besta) hält Ophelia (leider reichlich gekünstelt, wenn auch ausdrucksstark: Jula Zangger) im Arm, beide stürmen ekstatisch auf die Bühne, er reißt ihr förmlich das weiße Kleid vom Leib und sie wird vorm Publikum bis auf den weißen Büstenhalter und Pants entblößt, untermalt von Stöhn-Geräuschen wie sie nach oder während des Geschlechtsverkehrs mitunter auftreten. Im Kontrastverhältnis dazu werfen sich Rosenkranz und Güldenkranz gesittet, brav und ehrerbietig vor dem Publikum auf den Bühnenboden. Anschließend liest Polonius (im ›Hamlet‹ stets ernst und anstandsgemäß, in ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ passend witzig-ausfallend: Hartmut Volle) Hamlets Brief an Ophelia vor. In beiden Stücken wird er in seiner Anstandshaltung alsdann aus Scham im Tonfall leiser, wenn er das Wort »Busen« erwähnt und dem Publikum berichtet, wie Hamlet Ophelia laut den Aussagen des entsprechenden Briefes auch zwischen den Beinen berührt habe.
Wiederholungen der Szenen, aber unterschiedliche Zugänge zum Thema
Eine weitere Wiederholung im Vergleich der beiden Stücke wird gewahr, als Hamlet seine Liebe zu Ophelia auf offener Bühne reflektiert, dass Liebe Nicht-Leben, sondern Tod heiße und sie im Anfall eines Gefühls der Moral anweist, sie solle ins Kloster gehen und gerade im ›Hamlet‹ dafür kritisiert, sie solle »keine Henne für Übeltäter« sein, damit sie nicht entsprechende Kinder gebäre. Zugleich kritisiert er sich, dass er selbst zu fehlerhaft, ja gar charakterlos, sei. Claudius (überzeugend: Tobias Bode), seinerzeit König von Dänemark und der Mörder des Vaters Hamlets, sagt anschließend zu Ophelia, dass Hamlet »wirr« sei.
Hamlet selbst versucht in beiden Stücken die ganze Zeit über, den anderen diese Wirrheit vorzutäuschen, um seine eigene Hilfslosigkeit im Umgang mit dem Tod des Vaters, und die daraus resultierende Sinnlosigkeit, zu überdecken. Gerade die ständige Präsenz dessen Spiegelbilds und vermeintlichen Über-Ichs und »Alter Egos«, dargestellt von Theresa Martini, beweist, dass es zumindest im Verlauf der Handlung des ›Hamlet‹ keine Lösung in dieser Existenzfrage gibt. Wer sind wir, wenn wir unsere Eltern nicht kennen, wenn sie tot oder schlichtweg nicht gegenwärtig sind, wie es Hamlets Mutter (authentisch durch ihre Nicht-Präsenz, dadurch aber auch nicht ganz glaubwürdig: Joanne Gläsel) im Stück durch ihre sofortige Wiederheirat mit dem Mörder ihres Mannes ist? Nicht umsonst spricht Hamlet versinnbildlichend davon, dass der Leichenschmaus am Grab seines Vaters zugleich die Häppchen bei der erneuten Hochzeit seiner Mutter mit dem Mörder ihres Mannes gewesen sei.
Die Frage nach dem Sinn der Existenz bleibt gewiss und zurecht bestehen
Wenn auch ähnlich witzige Szenen wie schon im Stück ›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹ zwischen den Schauspielern im »Spiel im Spiel« des Stückes auftauchen, zum Beispiel wenn sich der eine Schauspieler im Frauenkleid (komödiantisch perfekt: Jens Peter) mit zwei Ballons Frauenbrüste anlegt und diese dann plötzlich platzen lässt oder er sich im Zeichen des Geschlechtsakts am anderen Schauspieler reibt (ebenfalls ein perfekter Comedian: Fredi Noël), ist klar: Wenn auch die beiden Stücke unterschiedliche Perspektiven der Figuren und Zugänge zum Thema aufweisen – wenn auch mit zum Großteil identischer Besetzung und ähnlichem Bühnenbild (gelungen: Isabelle Kittnar) und damit einerseits Komödie (›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹), andererseits Tragödie sind (›Hamlet‹) ist ihnen neben des beiderseitigen Todes der jeweiligen Protagonisten eines gewiss: Die Lebensfragen eines jeden, gerade die Frage nach dem Sinn der Existenz des jeweiligen Individuums, sind auch 400 Jahre nach Shakespeares Tod noch immer gegenwärtig und noch lange nicht geklärt … Beide Stücke im Podium (›Rosenkranz und Güldenstern sind tot‹) und im Großen Haus (›Hamlet‹) sind dementsprechend nicht nur gut besucht, sondern ernten nach der jeweiligen Aufführung auch einen tosenden Applaus des Publikums. Zu Recht!
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: SABINE HAYMANN
Titelangaben
Hamlet
Inszenierung — Alexander May
Bühnenbild — Isabelle Kittnar
Kostüme — Lorena Díaz Stephens
Hamlet — Robert Besta
Laertes — Julian Culemann
Güldenstern / Fortinbras — Henning Kallweit
Rosenkranz — Sergej Gößner
Termine:
08.04.2016 Beginn: 19:30
12.04.2016; 13.04.2016; 20.04.2016; 27.04.2016; 19.05.2016; 24.05.2016; 31.05.2016: Beginn: 20:00
Rosenkranz und Güldenstern sind tot
Hamlet — Robert Besta
Güldenstern — Henning Kallweit
Rosenkranz — Sergej Gößner
Termine:
24.03.2016: Beginn: 20:00