Ich will mein eigener Freund sein

Roman | André Heller: Das Buch vom Süden

»Es ist die Geschichte eines Menschen auf der Suche nach der angstlosesten Form seiner selbst.« Mit diesen Worten hat André Heller kürzlich seinen eigenen Roman Das Buch vom Süden, das soeben im Wiener Zsolnay erschienen ist, beschrieben. Mit nun fast 70 Jahren hat der Wiener Universalkünstler (Chansonnier, Theatermacher, Gartenkünstler, Entertainer und Feuerwerker) nach den Erzählungen Schlamassel (1993) und Wie ich lernte, bei mir selbst zu sein (2008) ein stark autobiografisches Sehnsuchtsbuch vorgelegt, eine pathetische Hymne auf das Unkonventionelle. Gelesen von PETER MOHR

Unbenannt-1»Meine Kindheit, meine Jugend, waren fast grundlegend anders als bei allen schreibenden Menschen meiner Generation«, räumte der 1947 in Wien geborene und in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene Heller ein. Ähnlich verhält es sich mit seiner Hauptfigur Julian Passauer, der als Sohn des Vize-Direktors des Naturhistorischen Museums in einer Dienstwohnung im Schloss Schönbrunn aufwächst. Er wird groß mit klassischer Musik, macht sein Abitur und begibt sich dann auf einen Afrika-Trip. Sein Studium beendet er später ohne Abschluss und bricht dann auf in den von seinem Vater Gottfried gepriesenen Süden.

Der alte Passauer bedauert den durch die Folgen des Ersten Weltkriegs erlittenen Verlust des mediterranen Teils Österreichs. Bei André Heller entsteht daraus eine seltsam dissonante Hintergrundmusik aus Trauer und Sehnsucht.

Biografie und Fiktion

Eher zufällig lässt sich Julian am Gardasee nieder (»eine wohlsortierte Narreninsel im Ozean der allgemein akzeptierten Konventionen«), frönt dem einträglichen Pokerspiel und vergnügt sich mit rasch wechselnden weiblichen Bekanntschaften. Ob Aimée, Sonja oder Mebrat – sie fungieren nur als Anhängsel.

Julians wahre Leidenschaft gilt seinem »Eidechsengarten«, ein Refugium, das er sich rund um seine Villa angelegt hat und das nicht zufällig an Hellers Garten-»Paradies« in Marokko erinnert. Überall duftet es anziehender als in einer Parfümerie. Hier hat der Roman seine stärksten Passagen. Der ausgeprägte Geruchssinn und die dadurch geweckten Fantasien entfachen (um es Heller-Like auszudrücken) ein »Feuerwerk der Sinne«.

Der Wiener »Ton«

André Heller erzählt mit großem Elan und spürbarer Freude in einer leicht altbackenen Sprache, die mit Mundart-Vokabular durchzogen ist. Joseph Roth, Friedrich Torberg und Heimito von Doderer lassen aus der (historischen) Ferne grüßen. Das liest sich aufreizend elegant, aber dennoch auch ermüdend, weil beinahe sämtliche Heller-Figuren in ähnlicher Weise »ticken«, ihr Denken und ihre Sprache ein Höchstmaß an Kongruenz aufweisen.

André Heller weiß dies alles, die Manierismen sind beabsichtigt und Passauers narzisstische Eitelkeit kein Zufall (»Ich will mein eigener Freund sein.«). Schon als Zwölfjähriger wurde der Protagonist gefragt: »Wovon redest du so geschwollen?« Das Anders-Sein, die Existenz als dauer-flanierender moderner Taugenichts, wird hier wonnevoll zelebriert.

Und doch bleibt die Hauptfigur – trotz des ausschweifenden Lebenswandels – seltsam farblos. Julian Passauer wird facettenreich beschrieben, aber der Blick hinter die Fassade des vermögenden Lebemannes gelingt nicht. Er ist verspielt, versnobt, um Stil bemüht und genießt eine Art erträgliche Leichtigkeit des unbegrenzten Wohlstands. Das Leben als Gesamtkunstwerk, eine perfekte Selbstinszenierung und Nabelschau. Wunderbar arrangiert, aber trotzdem nicht Jedermanns Sache.

| PETER MOHR

Titelangaben
André Heller: Das Buch vom Süden
Wien: Zsolnay Verlag 2016
335 Seiten, 24,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wer mit dem Feuer spielt

Nächster Artikel

Chiffrierter Geheimnisträger statt Volkstümelei

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Retter, Götter, Romantiker

Roman | Annette Mingels: Dieses entsetzliche Glück

Sie heißen Amy und Aiko, Tessa und Tara, Robert und Basil. Dieses entsetzliche Glück ist das unerreichbare Ziel, dem sie unentwegt entgegenhecheln, egal ob sie Bücher schreiben, Häuser verkaufen oder Anthropologie studieren. Annette Mingels hat mit ihrem neuen Buch einen hellsichtigen Episodenroman verfasst, der sich tief in die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft gräbt. Für die Lektüre sollte man sich Zeit zu lassen. Von INGEBORG JAISER

Alles auf Anfang

Roman | Tabea Hertzog: Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer Vieles ist schlichtweg eine Frage der Sichtweise: ›Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer‹. Eine fantasievolle Vorstellung, wenn der eigene Mikrokosmos in Wirklichkeit durch Krankenhausflure und Wartezimmer begrenzt wird, mit Blick auf Katheter, Kanülen, Drainagen. Tabea Hertzog berichtet in ihrem Debütroman mit bewundernswerter Leichtigkeit von einer existentiellen Erkrankung und dem schmalen Grat zwischen dem Leben der Kranken und der Gesunden. Von INGEBORG JAISER

Liebeslügen zwischen Leipzig und Lagos

Roman | Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir? Wenn der Himmel grau über der Stadt hängt und der Tag wenig Verheißungsvolles verspricht, könnte jede am Handy aufploppende Nachricht die Flucht in eine reizvolle Parallelwelt eröffnen. Martina Hefter spielt in ihrem aktuellen Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? verschiedene Lebens- und Realitätsebenen durch. Von INGEBORG JAISER

Leichen tropfen von den Bäumen

Roman | Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Es gibt sie doch noch, die so rar gewordenen Momente, wenn man aus dem immer unüberschaubarer werdenden Berg an Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt auf ein echtes Juwel stößt, wenn man die berühmt-berüchtigte Stecknadel im Heuhaufen ausfindig gemacht hat. Die 47-jährige, mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Marburg lebende Stefanie vor Schulte hat uns mit ihrem Romanerstling Junge mit schwarzem Hahn einen solchen Glücksmoment beschert. Von PETER MOHR

Das Geheimnis des Efeuhauses

Roman | Tana French: Der dunkle Garten Ein neuer Roman von Tana French ist immer ein Ereignis. ›Der dunkle Garten‹ macht da keine Ausnahme. Die 1973 in den USA geborene und heute in Dublin lebende Autorin legt mit diesem, ihrem siebenten Buch zum ersten Mal ein Werk vor, das nicht durch personelle Überschneidungen mit ihrem bisher vorliegenden Romankosmos verbunden ist. Und doch ist die Handschrift der 45-Jährigen auf Anhieb zu erkennen. Und auch auf einen Mord müssen die Leser dieses spannenden Romans nicht verzichten. Von DIETMAR JACOBSEN