/

St.-Pauli-Nights

Krimi | Simone Buchholz: Blaue Nacht

Als trinkfeste Staatsanwältin hat Chastity Riley in Simone Buchholz‘ Krimi Revolverherz (2008) einen brutalen Prostituiertenmörder auf dem Hamburger Kiez zur Strecke gebracht. Weil sie dabei nicht ganz regelkonform vorging und nebenbei auch noch ihren Vorgesetzten der Korruption überführte, hat man die unkonventionelle und beileibe nicht bei allen beliebte Halbamerikanerin danach vorsichtshalber zur Opferschutzbeauftragten gemacht. Als solche treffen wir sie nun wieder In Buchholz‘ aktuellem Buch Blaue Nacht. Doch weil zu jedem Opfer auch ein oder mehrere Täter gehören, stecken Chastity und ihre alten Freunde bald wieder bis zum Hals in Schwierigkeiten. Von DIETMAR JACOBSEN

BuchholzEin Mann liegt in einem Hamburger Krankenhaus. Ins Koma geprügelt. Ein Zeigefinger fehlt – sauber abgeknipst. Auch als er wieder ansprechbar ist, bekommt man nur wenig aus ihm heraus. Dass er sich über den fehlenden Finger nicht weiter aufregt, weil es der rechte ist und nicht der linke – der Mann mit dem österreichischen Akzent ist Linkshänder –, versteht der Leser erst später. Dann nämlich, wenn herauskommt, dass es sich bei dem geheimnisvollen Fremden um einen Profikiller handelt, der für die Ausübung seines Jobs gerade auf diesen Körperteil nicht verzichten kann.

Aber Killer hin und her – Joe, wie der Bursche genannt werden möchte, hat etwas, dass Chastity Riley anzieht, die sich als Opferschutzbeauftragte der Staatsanwaltschaft um ihn kümmern muss. Und so taucht sie von Zeit zu Zeit an seinem Krankenbett auf, stellt Mutmaßungen an, was einen Alpenbewohner ins norddeutsche Flachland verschlagen haben könnte – »Österreicher finden sich hier oben traditionell in zwei Branchen: im Verlagswesen und im Rotlichtgeschäft.« – und gewinnt langsam sein Vertrauen. Bis er sie nach ein paar mitgebrachten Bieren sogar einen Blick in seine Vergangenheit werfen lässt – »I woar a mutig’s Kind.« – und sie auf die Spur jener Männer bringt, deren Hang zur Gewalttätigkeit er wohl selbst ein wenig unterschätzt hat.

»I woar a mutig’s Kind.«

Und plötzlich ist die Frau, die man eigentlich abgeschoben hatte auf einen Posten, auf dem sie weder ihre Vorgesetzten noch Hamburgs Unterwelt mehr düpieren konnte, mitten drin in der Jagd auf einen der ganz großen Fische im Geschäft mit synthetischen Drogen. Doch sie muss sich diesem Gjergj Malaj, einem Mann, der sich schon lange nicht mehr die Hände selbst schmutzig macht, stattdessen in der feinen hanseatischen Gesellschaft ein und aus geht und jeder Falle, die man ihm stellt, geschickt ausweicht, nicht allein stellen. Auch alte Freunde von ihr – wunderbar, wie Simone Buchholz die Vergangenheit ihrer Heldin und von deren kleinem Freundeskreis in kurzen, schlaglichtartigen Kapiteln in den Roman einfügt – haben noch Rechnungen mit dem Albaner und seinem Clan offen.

Wie es sich für einen Sankt-Pauli-Thriller gehört, spielen die letzten vier Seiten von Simone Buchholz‘ Roman im Stadion am Millerntor. Alle, die sich ansonsten in der »Blauen Nacht«, Kiezkneipe und zweites Zuhause von Chastity und ihrer Clique, treffen, sind zum Saisonfinale ihres Herzensklubs – das wie so oft ein Abstiegskrimi ist – gekommen. Um live mitzuerleben, wie nicht nur der Fußball siegt, sondern auch die Gerechtigkeit. Letztere braucht zu ihrem Triumph allerdings ein wenig Nachhilfe – doch wozu hat man neue Freunde?

Ein herausragender Thriller von einer deutschen Autorin

Blaue Nacht ist in jeder Beziehung ein Buch, das herausragt aus der Masse der in unseren Buchhandlungen ausliegenden inländischen Krimiware. Geradezu souverän handhabt seine Autorin die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart ihrer Figuren. Vor allem aber besticht dieser Roman mit einer Sprache, wie man sie nur selten zu lesen bekommt in einem Werk der Spannungsliteratur.

Hart kann die sein, wenn es nötig ist, und gleich darauf wieder poetisch verspielt. Kurze, knappe Sätze treiben die Handlung voran. Stimmige Bilder sorgen für Atmosphäre. Die Dialoge sind genau auf den Punkt geschrieben. Nichts Überflüssiges stört den Lesefluss. Wenn deutsche Thriller immer so wären – wir wüssten, woraus unsere Lektüre in Zukunft bestünde. Denn der Ton, den Simone Buchholz anschlägt, macht echt süchtig. Allein noch gehört sie zu den wenigen Ausnahmen in einem Genre, in dem allzu viel schriftstellerisches Mittelmaß unterwegs ist. Was es doppelt schmerzlich macht, dass man nun wahrscheinlich wieder Jahre warten muss auf etwas Neues aus ihrer Feder.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Simone Buchholz: Blaue Nacht
Berlin: SuhrkampVerlag 2016
238 Seiten. 14,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

 

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf Heimatsuche

Nächster Artikel

Das letzte Abenteuer

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Vierundachtzig plus vier

Film | Im TV: ›TATORT‹ Schwerelos (WDR), 3. Mai   Wie machen sie das, sofort ist man drin und dabei handelt es sich doch lediglich um die üblichen routinemäßigen Anrufe, das Klingelgeräusch langweilt sonst nur, wie kriegen sie das gebacken. Ach und die Suche nach dem Fallschirm in der stillgelegten Grubenanlage, der Blick aus dieser Höhe macht schwindeln, so liebevoll sind sie um uns bemüht. Von WOLF SENFF

Ein Psychopath kommt nach Miami

Roman | Charles Willeford: Miami Blues Auch Thriller haben erste Sätze, die in den Bann ziehen können. So wie der in Charles Willefords 1984 zuerst erschienenem Roman Miami Blues. »Frederick J. Frenger jun., ein unbekümmerter Psychopath aus Kalifornien, bat die Stewardeß in der ersten Klasse um ein weiteres Glas Champagner und Schreibzeug«, heißt es da in der deutschen Übersetzung, die der sich schon emsig um das Werk von Ross Thomas kümmernde Berliner Alexander Verlag soeben in erweiterter und neu durchgesehener Auflage herausgebracht hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Mord ist ihr Hobby

Roman | Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

Elizabeth, die Ex-Spionin, Joyce, vorzeiten Krankenschwester und gegenwärtig eine Schriftstellerkarriere planend, sowie Ron, der als Gewerkschafter den nom de guerre »Der Rote Ron« trug, und der feinsinnige Psychiater Ibrahim bilden den »Donnerstagsmordclub«. Ungelöste Kriminalfälle sind das Hobby der rüstigen Rentner, die sich, wenn es nottut, auch Hals über Kopf in die gefährlichsten Aktionen stürzen. Diesmal, im dritten Band der international höchst erfolgreichen Romanreihe des Autors, Produzenten und Fernsehmoderators Richard Osman, ist das zehn Jahre zurückliegende Verschwinden einer Investigativjournalistin Anlass für die Nachforschungen der vier. Und kaum auf der Spur, wird die auch schon so heiß, dass man sehr vorsichtig sein muss, um nicht selbst Schaden zu nehmen. Von DIETMAR JACOBSEN

Vom allmählichen Verschwinden eines Menschen aus der Welt

Roman | Friedrich Ani: Der Narr und seine Maschine Es scheint der letzte Auftrag zu sein für Tabor Süden, jenen Helden, dem sein Erfinder Friedrich Ani über einen Zeitraum von zwanzig Jahren 21 Romanauftritte gönnte. Der schon einmal verschwunden war, als er sich auf die Suche nach seinem Vater begab. Und nun offensichtlich – der Roman beginnt am Münchner Hauptbahnhof – erneut im Begriff ist, sich davonzumachen. Doch seine letzte Chefin, Edith Liebergesell, weiß, wo sie Süden finden kann. Und bittet ihn ein letztes Mal darum, einen Vermissten aufzustöbern. Von DIETMAR JACOBSEN

Leben am Rande der Hölle

Roman | Hervé le Corre:  Durch die dunkelste Nacht

In Frankreich ist er ein Star und vielfach prämiert. Im deutschsprachigen Raum kennt man ihn bisher kaum. Nun hat der Suhrkamp Verlag in seiner von Thomas Wörtche kuratierten Reihe mit internationalen Kriminalromanen einen ersten Text von Hervé le Corre publiziert. Und der ist so dunkel, wie es sein Titel verspricht. Allenfalls über seine poetische Sprache lässt er ein wenig Hoffnung ein. Aber die ist nicht von Dauer im Leben der drei Personen, die le Corre ins Zentrum seines Buchs gestellt hat: einen Polizisten, eine alleinstehende junge Mutter und einen Serienmörder. Ihre Wege verfolgt Durch die dunkelste Nacht, bis sie, nachdem sie eine ganze Weile nebeneinanderhergelaufen sind, sich schließlich treffen. Und en passent wirft der Autor dabei auch noch einen Blick auf die aktuelle Stimmungslage in unserem westlichen Nachbarland – eine Analyse, die alles andere als zukunftsfroh stimmt. Von DIETMAR JACOBSEN