Reality Bites

Comic | Adrian Tomine: Eindringlinge

Adrian Tomine wirft in der Anthologie ›Eindringlinge‹ detaillierte Blicke in die Lebenswirklichkeiten US-amerikanischer Nobodys. Dabei sind seine reduziert gezeichneten, grandios formulierten Comic-Miniaturen selten mehr als 20 Seiten lang. Von CHRISTIAN NEUBERT

Adrian Tomine - EindringlingeEin Gärtner mit künstlerischen Ambitionen. Eine Studentin, die einem Pornosternchen wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ein dope-vercheckender Ex-Alki, der ständig gegen seine Lebenslügen anredet. Eine junge Frau, die sich auf eine neue Welt einlässt. Ein stotterndes Mädel, das sich als Stand-up Comedian versuchen möchte. Ein Kerl, der immer wieder in seine ehemalige Wohnung eindringt, um ein neues Stück Leben im alten zu entdecken: Allesamt sind sie leibhaftige Alltags-Antihelden. Adrian Tomine kennt sie in- und auswendig. Er sieht sich genau um in den USA. Im Amerika des nicht ganz so großen Scheins und noch kleineren Seins. In jenem der Vorgärten und Platzdeckchen, das wenig zu tun hat mit den hippen Straßen Brooklyns, wo der in Sacramento geborene Zeichner inzwischen mit seiner Familie wohnt.

Die Comic-Anthologie ›Eindringlinge‹, benannt nach einer der sechs aufgeführten Storys, besticht durch ihre leise Töne – und mehr noch durch das, was zwischen ihnen passiert. Tomines Alltagsgeschichten kommen ohne Paukenschläge aus, ohne wildes Gestikulieren und explodierende Splash Pages. Der Leere des Alltags seiner Protagonisten begegnet er mit kaum mehr als eben Leere. Doch gerade aus dieser Kargheit gewinnen die dargestellten Lebenswirklichkeiten ihre überwältigende Wahrhaftigkeit. Die Informationen, die Tomine über wohldosierte Worte und über die reduzierten Züge seiner Figuren streut, haben stets das richtige Maß.

Maßvolle Größe

Dabei psychologisiert Tomine nicht mal. Er schenkt lediglich den unterschwelligen Prozessen, die das Vermögen haben, den Alltag von unscheinbaren Nobodys etwas aufzubrechen, ein wenig Aufmerksamkeit. Ein bisschen, nicht zu viel. Die wichtigsten Infos erhält der Leser dabei wie im Nebenher, oft auch über die Zeichnungen. Die Storys erschließen sich so fast von selbst. Weil man gar nicht gemerkt hat, dass man längst mittendrin steckt.

Nachdem sich der Erzähler Tomine als ein Meister der Reduktion entpuppt, liegt es wohl nahe, dass der Zeichner Tomine den zurückgenommenen Strich der Ligne Claire bemüht – wenngleich er jede der Comic-Miniaturen in einem anderen illustrativen Licht erstrahlen lässt. Sogar die Seitenlayouts sind akkurat und aufgeräumt wie gepflegte amerikanische Vorgärten. Nichts reißt hier den Trott und die Routine auf. Wenn sich etwas tut, dann lediglich im Kleinen. Dort, wo man genau hinsehen muss, um überhaupt Veränderungen wahrzunehmen. Wo Katastrophen und Momente des Glücks und der Hoffnung sich nach außen hin kaum äußern, weil sie stattdessen zu implodieren drohen. Wo alles kleinlaut ist oder kleinlaut wird, weil man der Aufmerksamkeit nicht gewachsen ist.

Am Leben entlang hangeln

Lakonischer Humor, ein Leben nahe am Stillstand, über allem ein melancholischer Schleier: Eventuell fühlt man sich bei der Lektüre von »Eindringlinge« an Tomines Landsmann Daniel Clowes erinnert. Das liegt an den Zeichnungen, die eine europäische Schule erkennen lassen, das liegt aber umso mehr an dem blinden Verständnis für die einfachen Leute und für die kleinstädtische Tristesse, aus der sie gerne ausbrechen würden. Die Höhepunkte, die das Leben der »Eindringlinge« aufwirft, sind lediglich kleine Hügel, und ihre Abgründe klaffen nur so breit und tief, dass man schlicht darüber hinwegsteigen könnte.

Es ist furchtbar, wenn persönliche Dramen kein Potenzial für Tragödienstoffe haben. Und wirklich grandios, was Tomine von dieser Prämisse ausgehend leistet. Denn ›Eindringlinge‹ ist wie das Leben selbst: Meistens unaufregend, dabei aber dauernd für herzhafte Lacher, ehrliche Rührung und tiefe Trauer gut.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Adrian Tomine: Eindringlinge
(Killing And Dying – aus dem Amerikanischen von Björn Laser)
Berlin: Reprodukt, 2016
120 Seiten. 24 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

| Adrian Tomine bei Reprodukt
| Homepage des Künstlers

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Tokyo sucht den Superstar

Nächster Artikel

Es könnte so einfach sein

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Trigan rises again

Comic | M.Butterworht (Text), D.Lawrence (Zeichnungen): Trigan 1: Kampf um Elekton Im Rahmen seines neuen Albenprogramms legt der ›Panini-Verlag‹ die britische Science-Fiction-Reihe ›Trigan‹ aus den 60er Jahren neu auf – eine besondere Perle für Nostalgiker wie BORIS KUNZ.

»Comics nur für den deutschen Markt – das geht nicht«

Comic | ICSE 2016 Spezial: Interview mit ›Cross Cult‹ Verleger Andreas Mergenthaler Die Podiumsdiskussion ›Abenteuer Made in Germany‹ beim 17. Internationalen Comic Salon Erlangen hat auf eine Entwicklung der jüngeren Zeit im deutschen Comicmarkt aufmerksam gemacht: Statt ausländische Lizenzen einzukaufen, lassen Verlage professionelle Abenteuercomics selbst produzieren, vor allem auch von internationalen Künstlern, die sich den Marktregeln anpassen. Diese Titel rechnen sich dann umgekehrt durch Verkäufe ins Ausland. Zum Beispiel CrossCult in Ludwigsburg geht diesen Weg. Auch wenn nur Verleger Andreas Mergenthaler und die Zeichner Peter Snejbjerg und Nic Klein sowie Autor Ivan Brandon (alle CrossCult) auf dem Podium saßen und

Die zwei Gesichter von Blake und Mortimer

Comic | Y.Sente, A.Juillard: Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 18: Das Gelübde der fünf Lords / J.Dufaux, A.Aubin & É.Schréder: Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 19: Die Septimus-Welle / D.Convard, A.Juillard: Blake und Mortimer: Das letzte Kapitel Mittlerweile gibt es mehr Abenteuer von Blake und Mortimer aus der Feder anderer Zeichner und Autoren, als aus der von Edgar Pierre Jacobs. Doch wie in kaum einer anderen Comicreihe, die von unterschiedlichen Künstlern fortgeführt wurde, ist der Atem ihres Schöpfers noch auf jeder Seite zu spüren. BORIS KUNZ über die Mischung aus Nostalgie und Abenteuersehnsucht beim Lesen der

Geile Gefälligkeiten gefällig?

Comic | Colleen Coover: Small Favors

Collen Coovers ›Small Favors‹ ist ein Porno-Comic mit und über lesbischen Sex. Er ist witzig und geht ordentlich ran. In deutscher Sprache erschien er zuerst beim konkursbuch verlag. Nun liegt er neu bei Cross Cult vor. CHRISTIAN NEUBERT hat ihn sich vorgenommen. Und schreibt nun darüber. Wobei er ohne die Vokabeln feuchtfröhlich und bumsfidel auskommt.

Witchy Wild West

Comics | M.Mignola, D.Fegredo, R.Corben: Hellboy 11 Im elften Band der ›Hellboy‹-Reihe mit dem Titel ›Der Krumme‹ stellen Mike Mignola und eine ganze Horde Zeichner die Mythen des Westens vor und legen eine Sammlung von Kurzgeschichten oben drauf. PETER KLEMENT ist mit dem roten Dämon in die Berge Virginias gereits und hat die Grenzen der Zivilisation ausgelotet.