Zwischen den Kulturen

Jugenduch | Susanne Hornfeck: Mulan. Verliebt in Shanghai

Im Trend liegen gerade die Fremd-in-unserer-Welt-Geschichten. Aber auch wer von hier – aus Deutschland – kommt, hat es in einem anderen Land nicht leicht. Nicht einmal wenn die Reise zur eigenen Familie führt. Von ANDREA WANNER

Susanne Hornfleck - MulanDie 15jährige Mulan lebt mit ihren Eltern in München. Die Mutter ist Chinesin, der Vater Deutscher. Was jahrelang wunderbar funktioniert hat, wird zum Problem, als der kratzbürstige Teenager sich gegen den wöchentlichen Chinesischunterricht auflehnt. Mulan hat keine Lust mehr auf die Sprache, mit der sie seit ihrer Kindheit mit ihrer Mutter, einer Dolmetscherin und Übersetzerin, geredet hat. Sie weigert sich, die chinesischen Schriftzeichen zu lernen. Die Atmosphäre daheim ist unerträglich, Mutter und Tochter sind in ständigem Streit miteinander. Normaler Teenagerstress? Vermutlich liegt das Problem tiefer, denn zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, ist die Suche nach der eigenen Identität für Mulan eine zusätzliche Herausforderung.

Der Vater löst das Problem auf die energische Art: Mulan wird für drei Monate zu ihrer Verwandtschaft nach Shanghai geschickt. Das Brisante an der Sache ist: Mulan kennt weder ihre Großmutter noch den jüngeren Bruder ihrer Mutter, dessen Frau und deren Sohn, ihren Cousin. Ihre eigene Mutter war seit 25 Jahren nicht mehr in China, hat die Familie nicht gesehen, seit sie zum Studieren nach München ging – und nach dem blutigen Massaker im Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht in ihre Heimat zurückkehren wollte.

So macht sich ein missmutiges junges Mädchen auf eine Reise ins Ungewisse – und erlebt viel Neues, Ungewohntes und Überraschendes. Der Mangel an Intimsphäre, die ungenierten Fragen nach Persönlichem und das Gefühl, permanent kontrolliert zu werden, prägen die erste Zeit des Aufenthalts. Aber zwischen Hochhäusern, chinesischem Feilschen auf dem Markt, geschlürften Glasnudeln, grünem Tee und Räucherstäbchen lernt Mulan das fremde Land besser kennen und verliebt sich – nicht nur in Shanghai.

Susanne Hornfeck lebte und lehrte fünf Jahre in Taipeh. Sie ist eine ausgewiesene Kennerin von Land und Leuten und vermischt in ihrem Jugendroman Landeskundliches und die persönliche (Liebes)geschichte von Mulan auf geschickte Art. Geschichte und Kultur, Werte und Normen werden über die Familie authentisch vermittelt. Außerdem erhält Mulan Briefe von ihrer Mutter, die ebenfalls nicht nur einen persönlichen Mutter-Tochter-Konflikt lösen, sondern die chinesische Geschichte nochmals aus einer anderen Perspektive zeigen.

Was Fremdsein bedeutet, ist vielleicht einfacher zu verstehen, wenn man an denselben Stellen überrascht ist, den Kopf schüttelt und sich wundert: es ist eben doch nicht überall auf der Welt wie bei uns. Ein Stück interkulturelle Toleranz und Kompetenz ist der zusätzliche Gewinn der unterhaltenden Lektüre.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Susanne Hornfeck: Mulan. Verliebt in Shanghai
München: dtv, Reihe Hanser
264 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren

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